"Der Wille ist immer der erste Schritt"

Von Jürgen Liebing · 29.12.2012
Stefan Herheim gehört zu den gefragtesten Opernregisseuren unserer Zeit. 2013 nun wird er bei den Salzburger Festspielen Wagners "Meistersinger von Nürnberg" inszenieren. Bilder- und anspielungsreich sind seine Inszenierungen und ebenso anspielungsreich sind seine Ansichten über das, was ihm heilig ist.
Was mir heilig ist, geht immer wieder zurück auf Heiltum, Heiligkeit als etwas Ganzes als etwas, was einmal eins war, was deswegen auch heilig sein muss, weil es nicht aufzuspalten ist, nicht differenziert, auseinandergezerrt werden kann und sich eben aufspaltet in Begrifflichkeiten, die wiederum höchst dialektisch alles kaputt machen müssten und überhaupt keine Glaubenswürdigkeit mehr erzeugen kann.

Heilig kann so vieles sein in diesem Zusammenhang, aber letztendlich gilt es ja immer wieder, das Heil zu stiften vielmehr, als das Heil nur anzubeten. Und für mich ist es eine große Herausforderung, die mit dem Wort verbunden ist. Mensch zu sein und in Würde andere Menschen wahrzunehmen, zur Kenntnis zu nehmen, zu Wort kommen zu lassen. und Teil dieses Heils zu werden, das das Leben als Geschenk Gottes, wenn man so will, auch darstellen kann.

Für mich geht es eigentlich um das Licht des Lebens in dem Sinn einer Not, das gewahr zu werden und zuzulassen, wissend auch, dass, wo Licht scheint, ist natürlich immer viel Schatten, aber ohne kommen wir gar nicht von der Stelle, sind wir eingeschränkt und reduzieren uns auf etwas, was in keinster Weise irgendwie heil sein könnte.

Der Wille ist immer der erste Schritt, und insofern kann Heiltum und das Heile in uns Menschen sehr, sehr oft in wunderbarer Weise erfahrbar gemacht werden in diesem Rahmen, wenn eben Oper als ganz offenherziger Versuch wahrgenommen werden kann, von Menschen zu Menschen etwas zu kommunizieren, also zwischen Bühne und Zuschauerraum, nicht diese unsichtbare vierte Wand als Wand, als 'was dichtes, undurchdringliches zu verstehen, ganz im Gegenteil als etwas höchst Fragiles, und wie eine lebendige Membran, etwas Organisches, was in Schwingung gesetzt wird, weil suchende Menschen auf sprechende Menschen zugehen und wo diese zueinander finden. Auch wenn es um höchst kritische, labile, subversive Angelegenheiten gehen kann, passiert da eine Kommunikation, die uns sonst nicht zuteil wird oder die im Alltäglichen kaum zu praktizieren ist.

Das hat natürlich in der Oper sehr viel mit Musik zu tun. Aber durch diese ganzen Mechanismen, die da greifen, hat das Ganze etwas höchst kontemplativ Wirkendes. Natürlich kann etwas Kontemplatives scheinbar nur für das Individuum zunächst greifen, aber in der Oper passiert eben dieses Wunder, dass das kollektiv greift und dass nicht immer alle einig werden, aber immerhin alle spürbar eingeladen werden, Teil dieses Ganzen zu sein und sich darauf einzulassen und in dem Sinne sozusagen Hoffnung auf Heil wenigstens zu suchen, wenn nicht sogar gelegentlich zu finden."

Die Oper operiert natürlich auf höchster glorifizierter Ebene, insofern das Evangelium, das vorgetragen wird, nicht aus diesem einen heiligen Buch stammt, sondern eben aus der Geschichte der Menschheit, die sich auch fortwährend in Bewegung hält und auf der Opernbühne immer von lebendigen Menschen zu lebendigen Menschen versucht wird zu kommunizieren. Das Komische ist ja nur, dass es trotzdem diese Tempelfunktion gibt, insofern, dass tatsächlich das Wort Gottes, das in dem Fall nichts anderes ist als wir Menschen als Erbe dieser Schöpfung uns mit diesen Fragen auseinandersetzen und zwar ohne Vorbehalt. Wir sind letztendlich da selbst die Schöpfer und schaffen eben auch die Illusion, dass es eine Wahrheit geben könnte, und wir müssen auch daran glauben, dass wir uns diesen Glauben schenken können und dass es sinnstiftend ist durch diese Sinnlichkeit, die niemand rational erklären kann."

Das Leben kann gesegnet und ein Tor zu diesem Gefühl, aufgehoben zu sein in etwas viel Größeres jenseits dieser eigenen Nöte, die wir haben, liegt eben in der Hand großer Musiker, das zu artikulieren. Es gibt aber die unterschiedlichsten Möglichkeiten, damit umzugehen, und nach wie vor ist die Oper für mich ein heiliger Ort, hat diesen Tempeleffekt, insofern dass da eine kollektive Sinnsuche stattfindet jenseits dessen, was unter den heutigen Begriffen wie Unterhaltung oder so abgeht."

Über Stefan Herheim:
Der Norweger Stefan Herheim ist einer der gefragtesten Opernregisseure unserer Zeit. In Bayreuth hat er eine spektakuläre Inszenierung von Wagners Bühnenweihfestspiel "Parisfal" gezeigt, im kommenden Jahr wird er bei den Salzburger Festspielen Wagners "Meistersinger von Nürnberg" inszenieren.
Herheim hat Oper und Theater im Blut: Schon als Kind hat er mit seinem Puppentheater die Stücke dieser Welt inszeniert, mehr als mancher Regisseur in seinem ganzen Leben.

Die Serie im Überblick
"Was mir heilig ist"
Prominente geben Antwort - Die Serie im Überblick
Mehr zum Thema