Der Surrealist im Palais

Von Sven-Claude Bettinger · 21.05.2009
Die Eröffnung des neuen Brüssler Magritte-Museums gilt als eines der wichtigsten internationalen Kulturereignisse des Jahres. Hier kommen nicht nur Liebhaber, sondern auch Forscher voll auf ihre Kosten. Belgiens König Albert II. und Königin Paola eröffneten den Prachtbau.
Brüssels Königlich-Belgische Kunstmuseen und René Magritte - das ist alte Liebe. Als der junge Mann aus der Provinz 1916 an der Kunstakademie der Hauptstadt das Studium aufnahm, schaute er sich regelmäßig die reichen Sammlungen an. Insbesondere die Gemälde der Symbolisten wie James Ensor oder Fernand Khnopff beeindruckten ihn. Nach dem Zweiten Weltkrieg kauften die Museen dann systematisch Arbeiten von Magritte.

Der Surrealist schenkte einige, später seine Witwe Georgette oder der befreundete surrealistische Dichter Paul Scutenaire und seine Frau. So kam die größte und beste Sammlung der Welt zustande, die sämtliche Aspekte des Schaffens dokumentiert und auf zahlreiche Meisterwerke stolz sein kann. Nur ein Bruchteil konnte ständig im Magritte-Saal der Museen ausgestellt werden. Erst der heutige Generaldirektor Professor Michel Draguet, ein anerkannter Magritte-Experte, kam auf die Idee, den Mega-Star mit einem eigenen Haus voll auszuspielen. Das wirkte ansteckend, stellt er zufrieden fest:

"Das Magritte-Museum zeigt rund 200 Werke. 20 davon sind Dauerleihgaben von Privatsammlern. Weitere 50 Exponate hat uns Charly Herscovici, Magrittes Nachlassverwalter, zur Verfügung gestellt: Bemalte Vasen, Plastiken, Fotos und Skizzen. Wir hoffen, im Laufe der Zeit weitere Leihgaben und Schenkungen zu bekommen."

Das neue Museum ist in einem klassizistischen Palais untergebracht. Eine ausgeklügelte Beleuchtung schafft in den Sälen, die im charakteristischen Magritte-Blau-Schwarz gehalten sind, eine geheimnisvolle Stimmung. Die Einrichtung ist intelligent und lehrreich. Oben auf den Wänden stehen kurze Texte von René Magritte, als intellektuelle Leitmotive.

Die Gemälde ergänzen immer wieder Skizzen, Zeichnungen, später Plastiken, aber auch Ausstellungsplakate, Kataloge, Artikel in Kunstzeitschriften. Eine weitere Ebene zum Verständnis bilden ausgewählte Fotos, Schmalfilme, Briefe, Interviews, die Magrittes Bedeutung für den belgischen und europäischen Surrealismus unterstreichen. Dieser Aspekt wird in Zukunft noch vertieft:

"Ab 2010 wird ein Saal für wechselnde Ausstellungen zur Verfügung stehen. Im Augenblick bereiten wir bereits zwei Ausstellungen vor, über das Verhältnis von Magritte und Mirò und von Magritte und Dalì. Ich persönlich arbeite an einem Projekt, das sämtliche Varianten des ‚Reichs der Lichter’ zusammenbringt, um über Magritte hinaus das Thema der Repetition in der Kunst zu behandeln."

Die Gesamtschau ist auf drei Etagen verteilt. Das entspricht den drei Schaffensperioden. Jede wartet mit Überraschungen auf. Am Anfang faszinieren die Gehversuche. Der junge Magritte probierte den fauvistischen und den kubistischen Stil aus und verdiente seinen Lebensunterhalt als Werbegrafiker. Glamouröse Plakate für Blues-Konzerte oder Tango-Abende entwarf er da, so manche Partitur verzierte er.

Bald werden die Einflüsse von de Chirico und Neuer Sachlichkeit sichtbar, allmählich kristallisiert sich die eigene, plakative Handschrift heraus. Schließlich entstehen die Wort-Bilder, dessen berühmtestes "Ceci n’est pas une pipe" ist. Gestellte Fotos belegen, wie intensiv der Maler sich mit dem Begriff der Realität, der Möglichkeiten ihrer Verfremdung, dem Problem der Wahrnehmung auseinandersetzte.

In der zweiten Abteilung steht der Zweite Weltkrieg zentral. "Die Rückkehr" aus dem Jahr 1940, mit der Silhouette einer Taube, in der sich ein blau-weißer Wolkenhimmel von einer dunklen Sternenlandschaft abhebt und ein Nest mit drei Eiern beleuchtet, drückt die Sucht nach Frieden aus. Das besetzte Belgien ist davon weit entfernt. Zum Protest malt Magritte neo-impressionistisch. 1948 folgt die kurze, heftige "période vache", mit in der Tat unflätigen, blasphemischen, hocherotischen Gouachen in grellen Farben.

Die letzten Säle werden die populärsten sein. Dort sind die Gemälde des international erfolgreichen Malers zu sehen, mit dem Orgelpunkt des "Reichs der Lichter": Das Haus mit ein paar beleuchteten Fenstern steht im nächtlichen Wald, davor brennt eine Laterne, darüber wölbt sich ein strahlender Himmel. Mit zwei großen Versionen prunkt das Museum, die dank Postern und Postkarten weltberühmt sind. Spannend sind mehrere kleinere Variationen, mit anderen Konstellationen, Details, Farben. Das Ensemble, erläutert Michel Draguet, ist symptomatisch:

"Magritte wertete ständig das Unikat, das einzigartige Kunstwerk ab. Dass Leute zig Millionen Dollar für ein Gemälde hinblätterten, interessierte ihn nicht. Ihm ging es ihm um die Verbreitung des poetischen Bildes. Man darf nie vergessen, dass Magritte aus der Werbung kam. Er wusste, welches Bild echt wirkte."

Mit dem neuen Museum verknüpfen sich große Hoffnungen. Die Königlich-Belgischen Kunstmuseen versprechen sich von der Magnetwirkung Magrittes mehr Besucher in den anderen, ebenfalls reichen Abteilungen. Die Stadt Brüssel denkt, ihr Imago als langweilige EU-Schaltstelle abschütteln zu können. Ebenso wichtig wie der garantierte Zulauf ist jedoch die Tatsache, dass im Archiv des Hauses Forscher arbeiten können. Das erste, gigantische Projekt steht bereits fest: Die Herausgabe des umfangreichen Briefwechsels. Brüssel, das ist ab jetzt Magritte total.