"Der Schreibteufel war hinter mir her"

04.06.2013
Vom Schreiben war sie schon immer besessen. Der Durchbruch kam 1998 mit der Erzählung "Pong" - die Welt, durch die Augen eines Verrückten gesehen. Seitdem sind die Leser verrückt nach den Büchern von Sibylle Lewitscharoff. Nun erhält sie den wichtigsten deutschen Literaturpreis.
Christine Watty: Ich hab noch mal nachgeschaut: Es war genau 9:39 Uhr heute Vormittag, da trudelte die Meldung bei uns ein, und es schallte gleich ein Ruf über die Flure eines Literaturkollegen, der sagte: Super, gute Entscheidung! Und er meinte damit die Wahl der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung für den diesjährigen Georg-Büchner-Preis. Den nämlich bekommt Sibylle Lewitscharoff, und wir freuen uns, die Preisträgerin persönlich zu begrüßen am Telefon. Hallo, Frau Lewitscharoff!

Sibylle Lewitscharoff: Grüß Gott!

Watty: Erst mal natürlich herzlichste Glückwünsche, Sie haben also die wichtigste deutsche Literaturauszeichnung bekommen, stehen damit in einer Reihe unter anderem mit Günter Grass, Peter Handke, Martin Walser, Christa Wolf und natürlich der letztjährigen Preisträgerin Felicitas Hoppe. Das ist toll – wir haben das heute Vormittag gespannt wartend eben den Agenturen entnommen. Wie haben Sie das denn erfahren?

Lewitscharoff: Ich wurde am Sonntag angerufen von Herrn Detering, dem Präsidenten der Akademie, und hab natürlich erst einmal Freudentänze aufgeführt und war natürlich glücksüberströmt, klar.

Watty: Für die Fachkollegen war das keine ganz große Überraschung, weil eher im vergangenen Jahr die Überraschung war, dass Sie es damals nicht waren – so haben zumindest einige sich hinterher geäußert. Hatten Sie so ein klitzekleines bisschen gehofft, dass es diesmal klappt, oder wäre das zu verwegen?

Lewitscharoff: Das ist zu verwegen, weil ich immer dachte – ich hatte auch das letzte Mal überhaupt nicht daran gedacht, um Gottes Willen, weil ich dachte, da sind etliche Kolleginnen, die auch älter sind als ich, eigentlich vor mir dran. Also insofern hab ich nicht damit gerechnet.

Watty: Sie sind schon eine gewissermaßen routinierte Preisträgerin, kann man sagen – Sie haben den Bachmann-Preis, den Preis der Leipziger Buchmesse, den Berliner Literaturpreis, den Kleist-Preis. Was bedeutet Ihnen in dieser langen Reihe der Preise jetzt der Georg-Büchner-Preis?

Lewitscharoff: Na, zunächst einmal, ich hab mich über jeden Preis gefreut wie ein Schneekönig, auch über kleinere Preise, weil das ist ja doch immer eine wunderbare Auszeichnung. Man kriegt was geschenkt, Menschen haben an einen gedacht und wollen einen ehren, also das hat mich immer wahnsinnig gefreut und war immer zutiefst dankbar auch. Und nun ist natürlich der Büchner-Preis eine große Schüttung in jeder Hinsicht. Es ist finanziell viel, es ist von der Ehre her sehr viel – das ist natürlich noch einmal ein tolleres Paket, ganz einfach.

Watty: Mit dem Bachmann-Preis 1998 ging Ihre literarische Karriere los für die Erzählung "Pong", und schon damals haben die Experten gejubelt: Da kommt was Neues, was ganz Tolles. Und diesen Ruf, den haben Sie mit einem Buch nach dem anderen bestätigt. Hat dieser große Erfolg Sie manchmal selbst verwundert?

Lewitscharoff: Das hat er mich schon, weil ich bin doch von der, sagen wir einfach von der pietistischen Erziehung her eher kleiner gebaut im Denken über mich selbst, immer wieder. Ich schwanke zwischen Hochmuts- und Kleinmutanfällen – Hochmut braucht man übrigens auch zum Schreiben, sonst geht’s nicht –, aber das wird immer sofort gedeckelt. Also insofern bin ich so ein schwankendes Wesen, was die eigene Selbsteinschätzung angeht, natürlich wie viele andere Menschen auch, aber Hochmut ist zumindest bei mir nicht die Dauerplage, sagen wir so.

Watty: Aber noch so einem Preis gibt’s vielleicht zwei Tage Hochmut oder auch gar nicht?

Lewitscharoff: Nee, gar nicht Hochmut, sondern überströmendes Glück macht einen ja nicht hochmütig, sondern ganz im Gegenteil. Also ich war hier ganz glücklich, dass ich hier in der Villa Massimo mit meinem Mitstipendiaten gleich feiern konnte, die zum Essen ausführen konnte und kleine Freudentänze hier im Atelier aufgeführt werden konnten. Also ich feiere sehr gerne sowieso mit anderen, und raus und in die Welt und die Freude mitteilen und ja, ein bisserl einfach rumgeben und so weiter, ja.

Watty: Sagt die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff. Heute wurde bekannt, dass sie den diesjährigen Georg-Büchner-Preis erhält. Schauen wir mal in Ihr literarisches Werk: "Montgomery", "Consummatus", "Apostoloff" – so heißen drei Ihrer hoch gepriesenen Romane, und es sind Bücher mit jeweils anderen Stoffen, völlig unterschiedlichen Stoffen. In "Montgomery" geht es um einen Filmproduzenten, in "Consummatus" findet ein innerer Monolog von Lebenden und Toten statt, in "Apostoloff" reisen zwei Schwestern nach Bulgarien, um ihren verstorbenen Vater zu beerdigen. Man hat das Gefühl, man weiß nie, was als Nächstes kommt bei Ihnen. Wie finden Sie denn all diese Stoffe, wie geht das zu?

Lewitscharoff: Na ja, ich gehör tatsächlich nicht zu den Schriftstellern, die, sagen wir mal, ein Thema hauptsächlich bearbeiten und darin einen Fortlauf stiften, also Thomas Bernhard wäre das beste Beispiel dafür. Die Bücher haben einen gleichen Gleichklang nicht nur, sondern auch thematisch sind die sehr in sich aufeinander verwiesen, was übrigens trotzdem sehr, sehr gut sein kann, das ist überhaupt kein Qualitätskriterium. Meistens sind es Männer, die so schreiben. Das sind etwas mehr Männer, die so, sagen wir, in so einem, von einem Aspekt heraus scharf das Weltgehäuse überblicken. Frauen sind da meistens ein bisschen offener veranlagt. Ich bin es auch, ich brauche wirklich wechselnde Themen für meine Neugier, und ich wechsle auch thematisch gerne bisserl von einem hoheitlichen Stoff zu einem niedrigeren Stoff.

Watty: Und all diese Stoffe, die verpacken Sie dann in einer sehr kunstvolle und unterhaltsame Sprache – das war auch noch mal ein weiterer Auszug aus der Jurybegründung –, und auch unsere Kritikerin heute Morgen hier im "Radiofeuilleton" hat Ihre Wortkreation noch mal hervorgegeben. Wann hat es für Sie angefangen, dass Sie die Schönheit von Sprache, die Möglichkeiten, angefangen haben zu begeistern? Ich hab gelesen, es gab sogar mal ein Brettspiel, das Sie entwickelt haben und das sich mit dem Thema des Satzbaus beschäftigt, also diese spielerische Herangehensweise, die hat für Sie schon früh eine große Rolle gespielt, so scheint mir.

Lewitscharoff: Ja, das hat eigentlich ganz früh angefangen. Ich war wirklich schon als Kind ein richtiger Büchernarr, also mit allem, was dazugehört – fliegende Fahnen, ich lebte in der Welt der Bücher. Ich konnte sehr früh lesen, und das war es auch dann, meine Hauptbeschäftigung. Also das ist mir schon sehr vertraut, und ich habe immerhin doch schon also in der späteren Pubertät angefangen, einen ganzen Roman zu schreiben. Ich bin da wirklich … der Schreibteufel war schon ziemlich hinter mir her. Es taugte natürlich lange alles gar nichts, das wusste ich Gott sei Dank auch, aber versucht hab ich das doch sehr, sehr häufig – mit großen Anläufen.

Watty: Wer hat Ihr Schreiben, Ihre Literatur am meisten beeinflusst?

Lewitscharoff: Ja, da gibt es wirklich den Meister aller Klassen für mich, das ist Franz Kafka, und dann kommen die Zweitmeister. Aber das ist wirklich für mich der Gott, der über mir und überhaupt allem thront.

Watty: Jetzt hören wir schon die ganze Zeit, dass es bei Ihnen so schön hallt, und Sie haben die Villa Massimo auch gerade schon erwähnt. Das ist natürlich auch noch eine weitere Auszeichnung, von der Sie im Moment gerade ganz aktuell profitieren, Sie sind Stipendiatin in der Villa Massimo. Lassen Sie uns doch noch einen Blick in den Alltag dort werfen: Was tut Sibylle Lewitscharoff in der Villa Massimo derzeit?

Lewitscharoff: Sibylle Lewitscharoff ist glücklich in der Villa Massimo. Auch dieses extrem luxuriöse Geschenk mit einem Riesenatelier, umgeben von einem traumhaft gepflegten Park, verbunden mit höchst sympathischen Mitstipendiaten, wunderbaren Angestellten, die sich um jedes Wehwehchen kümmern – also ich meine, verwöhnter kann man nicht sein. Privatgärtchen … das Wetter ist nicht gut, das macht mir aber nichts. Die Römer fluchen, weil das Wetter ist sehr schlecht, das ist mir aber wurscht.

Watty: Ja, und jetzt auch noch mit dem schönen Grund zum Feiern wahrscheinlich noch ein bisschen mehr wurscht. Vom Büchner-Preisträger wird eine bedeutende Rede erwartet, die Verleihung wird im Herbst stattfinden, womöglich machen Sie sich jetzt gerade in der Villa Massimo nicht als Erstes darüber Gedanken, aber haben Sie womöglich schon eine Idee?

Lewitscharoff: Nein, das ist noch ein bisschen wirklich zu früh, weil mich traf es wirklich vollkommen unvorbereitet. Ich hab noch nie vorher jetzt über eine Büchner-Preis-Rede nachgedacht. Da werde ich … Ich meine, gut, das gehört dazu schon, ich werde mich schon ein bisschen an den Kanon insofern halten, diese Reden sind eine Mischung ein bisschen aus einer politischen Mixtur, das gehört zu Büchner, auch eine aktuelle. Ich bin nicht ganz die Büchner-Kennerin, die Büchner-Vertraute, da muss ich auch mich noch mal einlesen und einfinden überhaupt, was ich daraus nehmen kann, da bin ich mir nicht sicher. Büchner gehört nicht zu meinen Leib…, wie soll ich sagen, die Leibesvisitationen im Werke Büchners, die nehme ich nicht wöchentlich vor wie bei Kafka. Also da muss ich ein bisschen gucken, was ich da mache.

Watty: Danke schön an Sibylle Lewitscharoff. Erst mal ist es ja auch noch ein bisschen Zeit, und vor allem gibt es jetzt erst mal bestimmt noch ein bisschen Platz zum Feiern. Wir schicken noch mal die herzlichsten Glückwünsche nach Rom. Sibylle Lewitscharoff hat den Georg-Büchner… oder bekommt den Georg-Büchner-Preis in diesem Jahr. Alles Gute Ihnen und vielen Dank, dass Sie Zeit für uns hatten, danke schön!

Lewitscharoff: Herzlichen Dank! Adieu!

Watty: Tschüss!


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