Der Preis der Kunst

Das unfaire Geschäft mit osteuropäischen Musikern

Ein Gitarrenkoffer mit gespendetem Geld
Ein Gitarrenkoffer mit gespendetem Geld © picture alliance / dpa / Britta Pedersen
Von Klaus Joachim Rathjens · 30.06.2014
Wenig bis gar keine Tarifregelungen gibt es für viele Musiker, viele von ihnen aus Osteuropa, die in Deutschland mit großen Ensembles auf Tournee sind. Das Publikum kann helfen, Künstlern eine faire Bezahlung zu ermöglichen.
"Was ist uns Musik wert?", fragt der Deutsche Musikrat in seinem jüngsten Grünbuch. Auf die Frage, was uns ein Pfund Kaffee wert wäre, gibt uns - neben den Preisschildern der Supermärkte - auch die Initiative "Fair Trade" Auskunft, die auf die Arbeitsbedingungen in den Ursprungsländern hinweist und eine faire Bezahlung anmahnt. Aber was hat Kaffee mit Musik auf Tourneen und Festivals zu tun?
Mit dem Ende des Kalten Krieges tat sich ein realer Blick auf das Ost-West-Gefälle auf und lud Profitjäger dazu ein, die niedrigen Einkommensstandards der osteuropäischen Arbeiter für eigene Geschäftsmodelle auszunutzen. Wir kennen viele Beispiele aus der Industrie, aber nur den wenigsten ist es bewusst, dass Selbiges auch in der Musik geschah.
Bis zur Mitte der neunziger Jahre wäre kein Tourneeunternehmer auf die Idee gekommen, für seine Produktionen ein großes Orchester zu engagieren. Der finanzielle Ruin wäre unausweichlich gewesen, denn Musikergagen und Kosten für Unterkunft, Proben und Reisen wären unbezahlbar gewesen.
Auf einmal aber folgten clevere Kulturmanager dem Beispiel ihrer Kollegen aus der Industrie. Sie entdeckten, dass osteuropäische Musiker für Niedriggagen nebst billigsten Unterkünften engagiert werden konnten und dass es für sie keine gewerkschaftlich erstrittenen Arbeitszeiten gab. Während Proben deutscher Kollegen nach zweieinhalb bis drei Stunden zu beenden sind, kann man mit osteuropäischen Künstlern ganztägig proben und damit viel Zeit und Geld sparen.
Tourneen nur möglich wegen fehlender Tarifregelungen
Also gründeten Tourneeunternehmer und Festival-Intendanten in Ländern wie der Ukraine und Belarus eigene Orchester oder schlossen Verträge mit bestehenden Klangkörpern ab. Danach wurden Marathonproben angesetzt und Programme für Deutschland mit heißer Nadel gestrickt. Opern wie "Carmina Burana" oder "Carmen", die bis dato nicht auf Tournee zu sehen waren, weil dies ruinös gewesen wäre, erwirtschaften auf einmal Gewinne.
Mittlerweile gibt es osteuropäische Orchester, die nur auf Konzertreise sind und sich je nach Anforderungen unterschiedlich zusammensetzen. Von einem homogenen Klang und Zusammenspiel kann daher im Vergleich zu den etablierten Orchestern nicht die Rede sein.
Sicher, es gibt Ausnahmen. Doch genau darum geht es, den Qualitätsunterschied wahrzunehmen und vor allem zu schätzen. Und selbst dort, wo Musik gut klingt, darf der kritische Hörer nicht die Augen vor fragwürdigen Rahmenbedingungen schließen. Genau das meint ja auch das Label "Fair trade".
Die osteuropäischen Reisemusiker kommen in ein reiches Land, sehen ein wohlsituiertes Publikum und erhalten indiskutable Niedriggagen. Sie gastieren in repräsentativen Konzertsälen und müssen grenzwertige Lebens- und Arbeitsbedingungen akzeptieren. Und die allermeisten von ihnen sprechen kein Wort Deutsch, so dass die sozio-kulturelle Isolation nahezu perfekt ist.
All das könnten auch wir als Publikum erkennen, wo immer wir Gastspiele oder Festivals besuchen - wenn wir denn wollten und uns vielleicht weniger vom Ambiente täuschen ließen. Ich möchte Sie ermutigen, Ihren Blick zu schärfen und es würde mich freuen, wenn Sie auch bei musikalischen Events an "Fair Trade" denken würden und ihre Konsequenzen daraus zögen. Eine davon könnte darin bestehen, das örtliche Stadttheater zu bevorzugen.

Klaus Joachim Rathjens
studierte Kirchenmusik an der Hamburger Musikhochschule und war Leiter der Schauspielmusik am Schleswig-Holsteinischen Landestheater. Es folgten Engagements als Korrepetitor und Kapellmeister an Opernhäusern, Theatern, auf Tourneen und Festivals wie den Rossini-Festspielen oder den Ludwigsburger Schlossfestspielen. Parallel dazu arbeitet er als Arrangeur und Komponist, schrieb Bühnenmusiken, u.a. zur deutschsprachigen Bühnenfassung des Disney-Films "Das Dschungelbuch", sowie weihnachtliche Klarinettentrios. Interessiert am "Crossover" arrangierte er für sein Pop-Rock-Trio und das Hamburger Sinfonieorchester den Genre-Klassiker "Pictures at an Exhibition".
Klaus Joachim Rathjens, Kirchenmusiker
Klaus Joachim Rathjens, Kirchenmusiker© picture alliance / dpa / Foto: Achim Harbeck
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