Der Mozart der Townships

Von Claus Stäcker · 26.08.2010
Erst mit zwölf begann er zu geigen, heute spielt er im Cape-Town Symphony Orchestra: Anele Mhahlo legt unglaubliche Disziplin und Ehrgeiz an den Tag. Mit der Musik trotzt er allen Widrigkeiten seines Lebens im Township, wo brutale Morde an der Tagesordnung sind.
Anele steht im vielleicht schönsten Probenraum der Welt - Camps Bay High School, Kapstadt, Blick auf den Atlantik, manchmal ziehen Delfine vorbei. Aber jetzt muss Haydn geübt werden.

In wenigen Tagen steht er das erste Mal als Solist mit dem Cape Town Symphony Orchestra auf der Bühne. Erst vor sechs Jahren, mit zwölf, hat Anele Mhlahlo in einem Township-Projekt zu geigen begonnen:

"Als ich das erste Mal eine Geige sah, dachte ich, das ist wohl eine Minigitarre mit Stock und einem Gummiband. Und so habe ich mir eine Gitarre besorgt, das ging irgendwie und habe es mit Stock und Gummi probiert, aber es hat natürlich nicht geklappt. Heute sehe ich die Violine als etwas ganz Besonderes an. Mit nur vier Saiten kann sie das ganze Spektrum eines Menschenlebens darstellen. Sie kann mehr ausdrücken als jedes gesprochene Wort."

Heute geht Anele zu Jack de Wet zum Unterricht, 84 Jahre alt inzwischen. Ein Meisterlehrer, und zwar der strengste der Welt, sagt Anele:

"Ich stehe jeden Tag um fünf auf und feile an meiner Technik. Professor de Wet sagt immer, wenn du nicht bereit bist, mindestens drei Stunden am Tag zu üben, dann lass es lieber bleiben."

Eine Musikerkarriere war ihm wahrlich nicht in die Wiege gelegt. Sein Vater starb, als er zwei war. Bis heute wohnt Anele Mhlahlo mit seiner Mutter und zwei Brüdern im Township Imizamo Yethu, an dem Tausende Kap-Touristen jedes Jahr vorüberfahren, ohne auch nur zu ahnen, was in den Blechhütten vor sich geht:

"Meine Leute haben keine Ahnung von klassischer Musik, einer hat mich schon mal gefragt, ob ich ein Piano mit mir rumtrage. Nein, es war eine kleine Geige. Wie willst du so jemandem Sibelius erklären? Da fängst du lieber mit etwas Anderem an. Und dann staunen sie, wie schön das ist."

Musik muss Freude machen, Therapie sein, sagt Anele und noch viele andere druckreife Sätze. Aber dann erzählt er auch von seinem Bruder, der Cello spielte und dessen Leben mit 18 zu Ende war. Hier stockt der Atem, die strahlende Anele-Energie ist plötzlich weg, Stromausfall:

"Mein Bruder und ich hatten gerade ein Konzert, es war das letzte Mal, dass wir zusammen spielten. Aber in dieser Nacht wurde er erstochen. Umgebracht, weil die Musik seine Lebenseinstellung verändert hatte, zum Beispiel, dass er Respekt vor Frauen hatte. Er hatte ein Mädchen beschützt, das belästigt wurde. Er starb, weil er einen anderen Menschen beschützte"

Das war vor drei Jahren und der Mörder ist immer noch frei. Nur mit der Musik schaffte es Anele, mit dem Verlust umzugehen. So ist das Townshipleben. Brutal, wie auch letztes Wochenende:

"Sie kämpften direkt vor unserer Tür und stachen auf sich ein wie die Wahnsinnigen! Und nur weil die anderen Jungs aus einer anderen Ecke der Siedlung kommen. Man wird da oft reingezogen, nur weil du zur Probe musst und gerade an der falschen Straße vorbeimusst. Es ist wahnsinnig schwer, sich da rauszuhalten - zu Hause zu sitzen und: zu üben."

Anele schafft es dennoch immer irgendwie. Den halben Weg ist er schon gegangen. Ende des Jahres will er sein Abitur machen und sich dann für Stipendien in Europa bewerben:

"Mal sehen, wohin mich das Leben trägt, aber mein Traum ist, einmal bei den Wiener und Berliner Philharmonikern zu spielen."
Mehr zum Thema