Der letzte Missionar

Von Anne Boschan · 19.07.2008
Während sich Kapstadt auf die WM 2010 vorbereitet, kämpfen tausende von Menschen, hauptsächlich Schwarze, in den Elendsvierteln der Stadt ums tägliche Überleben. Einziger Hoffnungsschimmer im Township Philippi ist ein Gemeindezentrum. Der letzte in Südafrika verbliebene Missionar des Berliner Missionswerkes bietet den Menschen Arbeit, Bildung, Nahrung und eine medizinische Versorgung.
"Das ist die Eislebenstraße, benannt nach Martin Luthers Geburts- und Sterbeort."

Die Eislebenstraße - mitten in Kapstadt, Südafrika. Vor Jahrzehnten haben sich hier deutsche Bauern aus der Lüneburger Heide angesiedelt, Felder bewirtschaftet und die Stadt mit Gemüse versorgt. Heute führt die Eislebenstraße durch das Elendsviertel Philippi, durch eines der ärmsten sogenannten Squatter-Gebiete der Stadt. Die endlose asphaltierte Straße ist gesäumt von kleinen Blech- und Holzhütten. Direkt an den Rand herangebaut, festgehalten von rostigen Nägeln oder zusammengeknoteten Schnüren.

Hier arbeitet Otto Kohlstock. 1,70 groß, kurze graue Haare, weißes Hemd, blaue Jeans. Der 54-Jährige ist seit über 20 Jahren in Afrika. Als letzter in Südafrika verbliebener Missionar des Berliner Missionswerks wurde er vor vier Jahren nach Kapstadt gerufen.

"Also das Leben ist schon hart hier draußen. In dem Gebiet in dem wir uns hier befinden, ist die höchste Mordrate des Landes. Wir haben hier täglich mindestens einen Mord. Viele Vergewaltigungen, Gruppenvergewaltigungen. Aids wird dadurch übertragen, es gibt keine Sozialhilfe. Wenn man hier nichts hat, Hunger hat, wo geht man hin? Es gibt eigentlich keine Stelle, bei uns zum Beispiel, da können die dann kommen und was zu essen kriegen. Aber sonst ist es schwierig, den Leuten hier bleibt eigentlich als Ausweg nur Kriminalität."

Oder das Gemeindezentrum iThemba Labantu. iThemba Labantu heißt auf Xosa "Hoffnung für die Menschen".

"Als ich Probleme hatte, bin ich hierher gekommen und der Vater hat mir geholfen. Ich habe elf Kinder, keinen Mann. Ich wusste nicht, wie ich sie alle ernähren soll. Hier bekomme ich Hilfe."

Nopelo, vom Stamm der Xosa, hat hier Hoffnung gefunden. Die kleine kräftige Frau arbeitet in der Suppenküche des Zentrums. Es ist Freitag, Nopelo bereitet eine Suppe, Fleisch und Reis vor - für ungefähr 100 hungrige Menschen. Lächelnd begrüßt sie jeden Einzelnen.

Das Zentrum liegt mitten im Squatter-Gebiet Philippi und ist von einer hohen Mauer umschlossen. Ein Wächter steht am Eingang. Links davon der Gemüsegarten, rechts die Suppenküche, im Innenhof ein kleiner Kindergarten mit grüner Wiese und buntem Spielplatz. In der Mitte steht eine kleine Kirche mit grünem Dach, rechts daneben ein Flachbau, das Hospital.

"Uns wurden am Anfang schwer kranke, Sterbende einfach vor die Tür gelegt oder wir wurden gebeten, sie abzuholen aus den Hütten. Sie können sich ja vorstellen, in so einer Hütte kann man jemanden der Aids hat, ständig Durchfall, Erbrechen, ohne Wasser, es ist schwierig sich um einen solchen Patienten zu kümmern. Dann haben wir zwei Zimmer ausgeräumt, zehn Betten angeschafft und wir haben mit einem Hospiz angefangen. Die kamen zu uns, um in Würde zu sterben."

Das Hospiz ist zu einem Hospital geworden. Ein heller langer Korridor führt zu zehn Zimmern, die Wände sind gelb gestrichen, von oben scheint die Sonne durch das Milchglasdach. Es riecht nach Desinfektionsmittel. Das Hospital wird vom Gesundheitsministerium der Stadt unterstützt, es finanziert zehn Betten und Aids-Medikamente, sogenannte Antiretrovirale.

"98 Prozent können wir entlassen nach ein bis zwei Monaten. Die kommen zu uns, sind wirklich sterbenskrank und denken auch sie müssen sterben. Ich geh dann ans Bett und erzähl denen, dass ich hier schon hundert Patienten hatte, die genauso dachten sie müssten jetzt sterben und kann denen wirklich Mut machen, das ist ne ganz tolle Sache."

Mit dem Gemeindezentrum iThemba Labantu macht Missionar Kohlstock den Menschen Mut. Sie erfahren Pflege, erhalten Nahrung und Beschäftigung.

"Ich habe hier im Zentrum gelebt, jetzt habe ich meinen eigenen Platz. Ich helfe noch täglich in der Suppenküche und im Hospital. Ich will Tourismus studieren, weil ich reisen möchte und alles über die Länder wissen will."

Vor vier Jahren kam Noluthando ins Zentrum, zusammengeschlagen. Die heute 20-Jährige hat keine Eltern und ist im Township von Hütte zu Hütte gezogen.

Überleben heißt auch beschäftigen. So wird die kleine Kirche in der Mitte des Zentrums unter der Woche tagsüber zur Arbeitstätte für das Näh-Projekt und abends zum Fitnessstudio für ungefähr 60 Jugendliche. Die müssen sich austoben können, sagt Kohlstock. Im Township gibt es keine Beschäftigung für sie, kein Kino, kein Cafe. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 80 Prozent, der Drogenkonsum ist groß.

"Wir wollen jungen Leuten die Möglichkeit geben, ein Handwerk zu erlernen. Seit einiger Zeit sind so oft Stromausfälle und die Kraftwerke können das nicht mehr schaffen und jetzt wird ein neues Gesetz erlassen ab 2010, das besagt, das alle Häuser ab einem bestimmten Wert Solartechnisch ausgestattet sein müssen, und da sehen wir einen ganz großen Markt für Südafrika und wollen auch qualifizierte Leute zur Verfügung stellen, die diese Anlagen dann auch richtig aufbauen können und warten können vor allen Dingen."

Im Zentrum iThemba Labantu wird gebaut. Zwei Ausbildungsstätten entstehen, 15 Solartechniker und 15 Automechaniker können hier bald in die Lehre gehen. So werden 30 Jugendliche aus dem Township Philippi eine Zukunftsperspektive haben.

"Ich gehe davon aus, dass Gott mich hierher gesetzt hat an diese Stelle und das auch alles was ich vorher gemacht habe eine Vorbereitung war auf diese Arbeit. Weil erstmal musste ich Sprachen lernen, ohne die man hier nicht viel ausrichten kann, dann auch die Menschen kennenlernen, Verhältnisse kennenlernen. Also für mich ist das schon eine Arbeitsstelle, die ja doch schon wie vom Himmel gefallen ist. Und hier fühle ich mich auch wahnsinnig wohl und ich bin Gott unendlich dankbar, dass ich hier arbeiten kann, an dieser Stelle."