Der II. Weltkrieg in der deutschen Literatur

Das Gebirge zwischen den Zeiten

"Gebt mir fünf Jahre und ihr werdet Deutschland nicht wiedererkennen" steht in Deutsch und Englisch auf einem Schild vor einem Trümmerberg, ein Mann liest das Schild, schwarz-weiß-Aufnahme.
Das Ende des Zweiten Weltkriegs sah in Deutschland zum Beispiel so aus wie auf diesem Foto. Ralf Rothmanns Buch "Im Frühling sterben" spielt in den letzten Kriegstagen. © AFP
Barbara Wahlster und Hans von Trotha im Gespräch mit Sigrid Brinkmann · 07.07.2015
Derzeit wird viel über Ralf Rothmanns neuen Roman "Im Frühling sterben" gesprochen. Er gilt als bisher bestes Buch des Jahres. Die Handlung spielt in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs. Warum taugt dieses Thema immer noch zum Bestseller?
Der Publizist Hans von Trotha, Autor des Buches "Czernin oder wie ich lernte, den Ersten Weltkrieg zu verstehen", sagt im Gespräch mit Barbara Wahlster, Literaturredakteurin Deutschlandradio Kultur:
"Der Zweite Weltkrieg schiebt sich in unserer Wahrnehmung zwischen unsere Zeit und die Vergangenheit, die vor ihm liegt, wie ein Gebirge. Das ist im Unterricht so, das ist in der Erzählung unserer Familien so, das ist in unserem Bewusstsein, in unserer Gesellschaft so aus vielen guten Gründen."
Während der Erste Weltkrieg in der Literatur Frankreichs, Belgiens und der Niederlande eine große Rolle spiele, sei das in Deutschland nicht der Fall, betont Barbara Wahlster.
Die Zeitzeugen sterben aus
"Offensichtlich ist der Zweite Weltkrieg für uns noch gar nicht eine Zeit historischer Romane, sondern noch Gegenwart", erklärt von Trotha. Dies merke man auch in Rothmanns Roman, der in der Gegenwart damit beginne, dass die Traumata an die nächste Generation vererbt würden.

Programmtipp: Die Besprechung von "Im Frühling sterben" mit Literaturkritikerin Ursula März hören Sie am Dienstag, 14.7.2015, ab 10:07 Uhr in der Sendung Lesart

Dass der Zweite Weltkrieg wieder thematisiert werde, habe damit zu tun, dass die Zeitzeugen aussterben, ist sich Barbara Wahlster sicher. Rothmanns Roman beginne mit einer Art Vakuum, das durch das Schweigen des Vaters des Protagonisten verursacht werde. Der Ich-Erzähler gibt seinem Vater eine Kladde, in die er seine Erinnerungen schreiben soll. Diese Kladde blieb fast leer, heißt es im Roman. Der Rest müsse daher durch Fiktion gefüllt werden.
Barbara Wahlster zieht das Resümee:
"Man kann zur Zeit beobachten, dass es interessante Rekonstruktionen gibt, Vergangenheitsrecherchen, die in Fiktionen übergehen, über den Zweiten Weltkrieg vor allen Dingen in letzter Zeit wie zum Beispiel Katja Petrowskajas 'Vielleicht Esther', auch der vom Familienarchiv angeregte Roman von Peer Leo 'Flut und Boden'. Da verschiebt sich etwas, weil die Zeitzeugen langsam nicht mehr leben und weil sich die Frage stellt, wie gehen wir an diese historische Realität ran."
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