"Der Glanz ist abgeblättert"

Moderation: Liane von Billerbeck · 24.07.2008
Beate Kayser, frühere Kulturchefin der Münchner "Tageszeitung", hat ihre Karten für die Bayreuther Festspiele, die morgen beginnen, an andere weitergegeben. Die Diskussionen um "Erbfolge statt Kunst" in Bezug auf die Nachfahren Richard Wagners seien ihr zuviel geworden. Der Glanz von Bayreuth sei abgeblättert.
Liane von Billerbeck: 2008, das sind die letzten Spiele des Alten. Wolfgang Wagners Abschiedssaison beginnt mit "Parsifal", dem letzten Werk von Richard Wagner. Doch interessiert eigentlich tatsächlich die Oper, die Kunst, oder hat sich das Interesse für Bayreuth geradezu hysterisch konzentriert auf den Clan, auf Intrigen, auf die Erbfolge? Eine, die Kunst wie Klatsch seit Jahrzehnten verfolgt hat, ist Beate Kayser, die langjährige Kulturchefin der Münchener "TZ", der dortigen Tageszeitung, und sie hat etwas getan, was Wagner-Verrückten vermutlich nur ein Kopfschütteln hervorruft. Sie hat ihre Karten für Bayreuth weggegeben. Frau Kayser, ich grüße Sie!

Beate Kayser: Ja, ich grüße Sie auch!

Von Billerbeck: Womit hat Ihnen Bayreuth denn den Rest gegeben?

Kayser: Ja, eigentlich mit der Erbfolge statt Kunst. Ich konnte dieses Gewürge nicht mehr hören. Und das Gewürge, das Hin und Her, und wer nun und wer tritt zurück und wie wird es, das war ja eigentlich auch, lief ja parallel damit, dass einfach der Glanz von Bayreuth ziemlich abgeblättert ist. Es wurde immer beliebiger, man sah keine Linie, irgendjemand wurde engagiert, irgendjemand sagte wieder ab. Dann wieder ein Neuer, und man hatte nicht mehr das Gefühl, dass da mit Verstand etwas Großes vorbereitet, angeregt, weitergeführt und überhaupt bedacht wurde. Es ging eigentlich ums reine Durchkommen.

Von Billerbeck: Wer so enttäuscht ist, wie Sie jetzt sich gerade anhören und sogar die begehrten Karten, auf die andere Jahrzehnte warten, an andere weitergibt, der muss ja eigentlich mal eine große Liebe zu Bayreuth gehabt haben. Was hat Sie damals, vor vielen Jahrzehnten, als Sie angefangen haben, nach Bayreuth zu fahren, so fasziniert?

Kayser: Na ja, immer dasselbe: Dass das Werk natürlich riesig ist und natürlich auch von keinerlei Äußerlichkeiten angetastet werden kann. Auch nicht von schlechten Inszenierungen, schlechten Dirigenten oder sonst was. Es bleibt die ganz, ganz große Herausforderung nach wie vor und ist das Größte, was das 19. Jahrhundert hervorgebracht hat. Das ist ganz klar. Und ich war als, wirklich mit 19 als Studentin per Anhalter da und war selig, dass man also irgendein Auto gefunden hat, mit dem man noch pünktlich rein kam und so. Das war alles ganz, ganz fabelhaft. Und …

Von Billerbeck: Wie sind Sie denn damals an die Karten gekommen als Studentin? War das noch nicht so schwer?

Kayser: Doch, doch. Aber es gibt auch, gab wohl da auch irgendwie Studentenkarten. Ich weiß es gar nicht mehr. Irgendein Platz, der gerade noch, bevor die Türen zugemacht wurden, wurde man dann noch reingequetscht. Das ging schon irgendwie. Aber ich hab das auch nur einmal gemacht. Aber dann hinterher ist man ja als Kritiker wirklich unglaublich privilegiert, indem die Karten dann einfach da sind. Nicht Karten, jeder eine! Und nicht Doppelkarten, wie man also meistens in den anderen Theatern kriegt. Aber dass man …

Von Billerbeck: Das heißt, man ist schon privilegiert und weiß das dann vielleicht gar nicht mehr zu schätzen, wo man da sitzt?

Kayser: Doch, selbstverständlich! Also, ich hoffe, dass ich nicht zu Brennen aufgehört habe bis zum heutigen Tage. Das wäre entsetzlich. Ein Kritiker, der sich da muffig reinschiebt, der gehört des Platzes verwiesen, finde ich. Denn man muss als Kritiker immer mit bedenken, dass alle, die rund um einen herum sitzen, mit unendlicher Mühe und auch viel Geld sich das besorgt, erkauft, erstanden, ersessen haben. Und wenn man selber da so einmarschiert und sagt: Ach ja, heute ist ja irgendwie der "Tristan"- das geht nicht, das darf nicht sein. Soweit darf man sich auch, ja, das ist eine Frage auch der geistigen Disziplin, dass man sich nicht durchhängen lässt. Und außerdem ist es ja, dass man ja nichts lieber tut, als das Zeug immerzu zu hören. Und wenn man es hundert Mal gehört hat, will man es zweihundert Mal hören. Das geht mir bis heute so.

Von Billerbeck: 2008, ich hatte es gesagt, das ist ja die letzte Saison des Alten, die von Wolfgang Wagner. Wenn Sie so lange in Bayreuth waren, wie haben Sie ihn erlebt?

Kayser: Na ja, erstmal habe ich natürlich erlebt, wie er es genossen hat, dass er da der Herrscher aller Reußen war. Und die ganze Wagner-Familie lebt wie eine Königsfamilie in Bayreuth. Und die Töchter haben das auch immer gesagt. Also, dass, sie waren einfach die Königskinder. Ob das jetzt beim Schlachter war oder irgendwo sonst. Und haben also in diesem Wahnfried rumgetobt und Wolfgang Wagner, der da nicht war, aber, der hat geherrscht. Und der liebe Gott hat ja diesem ganzen Clan immer wieder dieses Wagner-Kinn verliehen, sodass man immer wusste: Ja, das ist er! Das haben die auch alle immer sehr unterstrichen, nicht.

Von Billerbeck: Wie wird das nun ohne ihn werden. Kann das funktionieren auf dem Grünen Hügel?

Kayser: Es muss funktionieren! Ich meine, der Mann wird am letzten Augusttag 89 Jahre alt. Das ist ja klar, dass da was passieren muss. Also, was mir kluge Leute, die das Haus von innen sehr gut kennen, gesagt haben, dass es finanziell nicht mehr so funktionieren wird. Denn Wolfgang Wagner hat es immer verstanden, gut zu wirtschaften, die Leute auch kurzzuhalten. Also, alle Sänger kriegten das Gleiche. Irgendeiner, der irgendeine kleinere Rolle sang oder auch eine große, aber nicht so berühmt war, wie etwa Placido Domingo, kriegte dasselbe. Also, es gab das Geld für die Rolle. Ob das jetzt Placido Domingo oder Fritz Müller war, war egal. Und das war natürlich gut. Das hat auch jeder anerkannt, denn das große Geld hat man dann gekriegt, wenn man in Bayreuth gesungen hat. Es war also das Renommee, was einen dann höher stufte.

Von Billerbeck: Sie haben es vorhin schon so in so einem Nebensatz gesagt, dass auch die Inszenierungen seit Jahren bergab gingen.

Kayser: Ja.

Von Billerbeck: Wann, würden Sie denn sagen, ist dieser Kipppunkt gewesen? Bis wohin war es gut, bis wann hat es Ihnen gefallen und wann war es eher mäßig in Bayreuth?

Kayser: Na ja, also der Neuanfang nach dem Krieg, dann eben mit Wieland Wagner, der war blendend, nicht. Das war ein großer Regisseur. Das war und ist Wolfgang Wagner nicht. Und er hat manchmal Glück gehabt. Es war natürlich fantastisch, dass Chéreau diesen "Ring" gemacht hat, es war wunderbar, dass Harry Kupfer vor vielen, vielen Jahren einen fabelhaften "Fliegenden Holländer" gemacht hat und vielleicht auch ein "Parsifal" von Ponnelle und so. Das hat es immer gegeben. Aber es lief nicht mehr so, dass man das Gefühl hatte, wenn wir dieses Jahr dieses machen, müssen wir nächstes Jahr das nächste machen, sodass man das Gefühl hatte, es ist ein geistiges Band dahinter. Und zum Schluss war es ein richtiges Gepolter, sodass man sagt, du lieber Gott, in Bayreuth werden die Maßstab setzenden Wagner-Aufführungen nicht mehr gemacht! Die kann man eventuell ganz woanders hören.

Von Billerbeck: Ohne mich - hat die langjährige Bayreuth-Kritikern Beate Kayser gesagt und ihre Karten für 2008 an andere weitergegeben. Bisher, Frau Kayser, ist es ja so, dass ein Kanon von genau sieben Wagner-Werken in Bayreuth gespielt wird. Müsste Ihrer Meinung nach etwas dazukommen, um Bayreuth ein bisschen zu öffnen?

Kayser: Ja, ich glaube nicht. Ich glaube, also, dieses Festival ist das weltweit bekannteste überhaupt und hat diesen Charakter, dass es eben nur diesen einen immer wieder dreht und wendet und in jeder Pfanne mit irgendeinem anderen Öl neu röstet. Und ich glaube, dass das Potenzial von Wagner selber immer noch groß genug ist. Der kann natürlich auch an irgendwelche Zeitläufe und an veränderte politische Verhältnisse und so drangeschnitten werden, das geht. Also, und jeder wirklich intelligente Regisseur wird das Stück nicht kaputtmachen und trotzdem was von seiner Zeit, in der er lebt, rein geben. Ich glaube, das wird immer möglich sein. Und wenn man jetzt, also bestenfalls vielleicht noch die Werke, die Wagner selber nicht wollte, die frühen, also "Rienzi" und so, das könnte man vielleicht noch machen. Aber sonst, dass man jetzt irgendwo nun Mendelssohn oder Bruckner oder sonst irgendwas, das glaube ich, das würde das Festival verwässern und diesen Charakter des Einzigartigen wegnehmen.

Von Billerbeck: Was erhoffen Sie sich denn für Bayreuth für die Zukunft? Wenn Sie dieses Jahr nicht hinfahren, ich vermute, werden Sie trotzdem aus dem Augenwinkel so ein bisschen nach Bayreuth blinzeln.

Kayser: Aber wie! Ja, klar. Natürlich. Jetzt ist ja der junge Herheim, dieser Mitt-, Enddreißiger aus Norwegen dran, der macht jetzt den "Parsifal" und wird irgendwas Intelligentes da hinlegen, das ist mir schon klar. Und es wird Daniele Gatti dirigieren, der auch also ein sehr, sehr guter Dirigent ist. Da haben wir Schlimmeres erlebt. Aber das erhoffe ich mir schon, dass das irgendwie was wird. Aber im Moment ist, sind, also, es werden ja die Töchter wohl, die beiden aus der zweiten und aus der ersten Ehe, Katharina und Eva, die Sache übernehmen, was wahrscheinlich im Moment das Vernünftigste ist. Und der Clan kann sich noch so zerfleischen, so wie die Nibelungen auch und alle, ist ja alles in Wagners Werk vorgegeben, sowie von außen einer kommt, hält der Wagner-Clan zusammen. Also, eh dann von außen einer reinkommt, dann vertragen sie sich lieber. Und so ist es jetzt. Jetzt hoffe ich, die Eva Wagner ist eine ausgewiesene Theatermanagerin, ein Leben lang. Und die wurde ja als Lieblingskind und als Brünhilde sozusagen von Vater Wotan verstoßen, als der eine jüngere Frau geheiratet hat. Und der alte Wagner hat immer behauptet, es gäbe keinen in der Familie, der das könnte. Das war grotesk, weil wir alle wussten, dass die Eva genau das kann, was nötig ist.

Von Billerbeck: Und darauf hoffen wir dann, darauf hofft auch Frau Kayser. Ich danke Ihnen schön. Kunst statt Erbfolge. Die einstige Kulturchefin der Münchener Tageszeitung "TZ" und Opernkritikerin, die in diesem Jahr nicht nach Bayreuth fährt, über das, was sie von diesen Opernfestspielen erhofft. Danke nach München!

Kayser: Danke!
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