"Der eingebildete Kranke" an der Berliner Schaubühne

Freudlos kaltes Konzepttheater

Szene aus "Der eingebildete Kranke" in der Inszenierung von Michael Thalheimer an der Berliner Schaubühne mit Renato Schuch, Ulrich Hoppe, Peter Moltzen, Jule Böwe, Regine Zimmermann.
Szene aus "Der eingebildete Kranke" in der Inszenierung von Michael Thalheimer an der Berliner Schaubühne mit Renato Schuch, Ulrich Hoppe, Peter Moltzen, Jule Böwe, Regine Zimmermann. © Katrin Ribbe / Berliner Schaubühne
Von André Mumot · 18.01.2017
Der Titel verrät es ja: Molieres Argan ist ein eingebildeter Kranker, und über den darf man eigentlich herzlich lachen. Doch an der Berliner Schaubühne verwandelt Regisseur Michael Thalheimer Molières Komödie in eine monströse, unlustige Groteske.
Eigentlich könnte am Ende alles so schön sein. Argan, der sein Umfeld mit jeder Menge eingebildeter Krankheiten gequält hat, verzichtet auf die Einläufe der Quacksalber, schmeißt seine heimtückische Frau raus, lässt die Tochter ihren Traumprinzen heiraten und denkt drüber nach, lieber selbst Medizin zu studieren. Es gelten schließlich die Regeln der Komödie in Molières letztem Stück, das 1673 uraufgeführt wurde.
Man konnte es sich schon denken: Dramensezierer Michael Thalheimer belässt es nicht dabei. Sein Argan ist ein ziemlich finsterer Geselle und zitiert schon zu Beginn unheildräuende Verse von Andreas Gryphius. Etwa zur selben Zeit entstanden wie "Der eingebildete Kranke", repräsentieren sie den deutschen Barock mit seiner ewigen Umkreisung von Vergänglichkeit und körperlichem Leid.

Hier leidet der Protagonist - und das Publikum

Thalheimers Protagonist leidet also wirklich: Peter Moltzan gibt den Pflegefall im Rollstuhl, der seine kleine Kachelzelle in konvulsivischen Verrenkungen mit Erbrochenem und Kunstblut besudelt. Ziemlich unappetitlich das Ganze, zumal auch noch ausgiebig mit der vollen Windel gewunken wird.
Leicht ist sowieso gar nichts an diesem Premierenabend an der Berliner Schaubühne, alles dafür menschenfeindlich und böse. Da wundert es auch nicht mehr, wenn in der düster grotesken Schwankaustreibung der Tod persönlich vorbeischaut: Argons Bruder (Kay Bartholomäus Schulze) tritt als eifrig ausblutende Horrorfilmmumie auf und ermahnt den geifernden, zuckenden, monströs grimassierenden Peter Moltzen, sich mit der eigenen Hinfälligkeit abzufinden.
Intelligent ist diese Konstruktion durchaus, aber das Ergebnis bleibt freudlos kaltes Konzepttheater. Wann immer sich doch mal hemmungslose Albernheit einstellt, muss der Regisseur sogleich demonstrieren, dass es eigentlich keinen Grund zum Lachen gibt: Seine groß aufspielenden Darstellerinnen und Darsteller dürfen ausschließlich penetrante Verkommenheit zum Ausdruck bringen und menschliche Erbärmlichkeit, während sie sich in barockartigen Kostümen im engen Krankenzimmer von Meisterbühnenbildner Olaf Altmann tummeln und auf eine Erlösung warten, die hier tatsächlich nur der Tod bringen kann.
Deprimierender war Komödie wirklich selten.

Der eingebildete Kranke
von Molière
Deutsch von Hans Weigel
Regie: Michael Thalheimer
Aufführung an der Berliner Schaubühne

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