Der Durchschnittsthüringer

Nicht alle sind Schisser, Guschen oder Ochsen

Ein historischer Wegweiser von 1912 zeigt im südthüringischen Berkach in der Rhön Richtung und Entfernung nach Nordheim, Meiningen, Behrungen und Römhild an, aufgenommen am 10.06.2009.
Ein historischer Wegweiser im südthüringischen Berkach in der Rhön © picture-alliance / dpa / Hendrik Schmidt
Von Matthias Biskupek  · 17.03.2015
Der "gemeine" Thüringer ist ein rechter Wandersmann - oder auch eine passionierte Wandersfrau. Und jeder hat ein persönliches Schimpfwort. Aber repräsentiert der Thüringer tatsächlich den Durchschnittsdeutschen - geografisch gesehen müsste er es.
Der Mittelpunkt Deutschlands liegt in Thüringen, also sollte der mittlere Thüringer exakt ein durchschnittlicher Deutscher sein. Oberflächlich betrachtet stimmt das auch, denn vom Leibesumfang liegt der Thüringer Mann an der Spitze aller Deutschen, während er bei den Löhnen am Ende rangiert. Durchschnittlich gesehen ist der Thüringer also ein guter Futterverwerter. Lasst dicke, arme Männer um mich sein, könnte eine sparsame Regierung folglich ausrufen und sich den durchschnittlichen Thüringer als künftigen deutschen Staatsbürger zurechtschnitzen.
Dabei ist der Durchschnittsthüringer immer ein kollektives Wesen, weshalb er auch ganze Kollektive mit eigenen Namen bedenkt. Je nach Herkunft heißen seine Nachbarn Töpfeschisser oder Gersche Guschen, Quatschbeeme, Buffbohnen, Fässleseecher, Striezelworcher und Kuunzer Ochsen. Natürlich sind nicht alle Thüringer Schisser, Guschen oder Ochsen, aber durchschnittlich gesehen, hat jeder Thüringer ein persönliches Schimpfwort am Arsch, um das durchschnittlich häufigste Sudelwort zu nutzen.
Nur als durchschnittliche Anregung zum Weiterdenken: Weil man in Lobenstein, in Lommesteen einst für Tuche berühmt war, die Sparsamkeit (niedrigste Löhne in ganz Deutschland!) aber gebot, das zur Appretur notwendige Ammoniak kostengünstig bereitzustellen, urinierten die Lobensteiner in Fässer und wurden so zu Lommesteener Fässleseecher. Obwohl die Lobensteiner durchschnittlich nicht blasenschwächer als ihre Landsleute sind. Und der Thüringer sich ganz gewiss nicht öfter einschifft, als seine seetüchtigen Landsleute von der Waterkant.
Nur einen Zwanziger weniger Transfermittel als die Thüringer
Durchschnittlich gibt es in Thüringen weniger Familiennamen als anderswo. Die Greiners oder Hollands waren oben auf dem Wald so zahlreich, dass man sie mit modern anmutenden Bindestrichnamen einteilte: Holland-Moritz bis Holland-Cunz und Greiner-Vetter bis Greiner-Stöffele. Weil letzterer aber mal unverhofft auf einer Maid zwecks unehelichen Beischlafs angetroffen wurde, hieß er künftig Greiner-Stöpsele.
Weil wir von der Bewegung im Ehestande sprechen: Die Hälfte aller Thüringer Paare sind nicht verheiratet, was nicht heißt, dass sie nicht als Bedarfsgemeinschaft gelten könnten. Denn der durchschnittliche Zuschuss, gleich ob für verheiratet oder wild Lebende, beträgt für eine Thüringer Bedarfsgemeinschaft gut 900 Euro. Das muss alles der Westen zahlen, denkt der Solidar-Beitragszahler aus Köln. Irrtum. Durchschnittlich bekommt jeder deutsche Haushalt 882 Euro Transfermittel, nur einen Zwanziger weniger als die armen Thüringer. So gesehen, sind die Thüringer doch noch zwanzig Euro vom wahren Mittelpunkt Deutschlands, dem Durchschnittsgeld, entfernt.
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