Der Bastler der Bitmaschine

Von Thomas Gith · 21.06.2010
Ende der 1930er-Jahre werkelte in Berlin ein junger Mann rastlos vor sich hin. Sein Ziel: Er wollte eine automatische Rechenmaschine bauen. Die Idee war genial: Die Maschine sollte statische Berechnungen automatisieren - und damit mühsames Hand- und Kopfrechnen überflüssig machen. Konstrukteur des Geräts war der Bauingenieur Konrad Zuse, der am 22. Juni 1910 geboren wurde. Zuse gilt heute als Erfinder des weltweit ersten Computers - dessen Bau war damals allerdings fast zwangsläufig.
Das Bauingenieurwesen im frühen 20. Jahrhundert war eine aufwändige Angelegenheit: In großen Räumen saßen Männern und Frauen, die sich an statischen Berechnungen abmühten.

Aus Tabellen entnahmen sie Zahlenkolonnen, multiplizierten oder dividierten sie, beispielsweise, um eine Autobrücke zu konstruieren. Es war eine kleinteilige Hand- und Kopfarbeit. Große Bauleistungen waren dennoch nicht möglich, erinnerte sich Konrad Zuse zu Lebzeiten.

"Damals wurde eben nur verhältnismäßig wenig gerechnet. Nehmen wir mal den Brückenbau: Wenn man eine Brücke baute über Tal, dann baute man die stur gerade. So wurde es in der Hochschule gelernt und der Autoverkehr hatte sich dem anzupassen."

Zwar gab es schon Schalentheorien, die den Bau gewölbter Brücken mit geschwungenen Kurven erklärten, doch die dafür notwendigen statischen Berechnungen waren sehr aufwändig. Schlichtere Bauwerke wurden errichtet, doch auch deren zugrunde liegenden monotonen Berechnungen frustrierten Zuse. Eine Maschine musste her, die ihm diese Arbeit abnahm! In nächtelanger Arbeit konstruierte er die Z1 - 1938 war sie fertig. Ein Nachbau steht heute im Deutschen Technikmuseum in Berlin. Hadwig Dorsch geht an der mechanischen Maschine entlang, die groß ist wie drei geräumige Kühlschränke.

"Diese Maschine besteht aus sehr, sehr vielen Blöcken. Es ist eine mechanische Maschine. Jeder einzelne Block besteht aus ganz vielen Schichten. Man sieht es ja, es sind immer übereinander gebaute Schichten von Blechen, die sich dann unterschiedlich verschieben können."

Das Geniale an der Z1: Sie ließ sich frei programmieren. Die Befehle kamen von Lochstreifen, die Zahlen wurden über eine Tastatur eingegeben. Und: Alle Daten wurden binär ausgedrückt, also in langen Reihen von Nullen und Einsen. Oder anders gesagt: Blech links, Blech rechts. Der Haken dabei: Die Bleche verkanteten sich ständig. Zuse baute deshalb die gleiche Maschine mit elektronischem Antrieb: Rund 2600 Relais steuerten schließlich die Z3, die 1941 präsentiert wurde.

Konrad Zuses Sohn Horst ist sich heute sicher: Eine ähnliche Maschine hätte schon früher gebaut werden können.

"Man hätte die Z3 auch schon 1920 bauen können! Die Technik war da, das waren die guten alten Telefonrelais, das war ausgereift, aber niemand hat es gemacht."

Das die Erfindung des Computers technikgeschichtlich notwendig war, belegen auch Entwicklungen in den USA: Zeitgleich mit Zuse werkelten dort ebenfalls Männer an automatischen Rechenmaschinen - von Zuses Z3 ahnten sie nichts. So baute der Harvard-Professor Howard Aiken 1944 die Mark 1: Sie war zweieinhalb Meter lang, 18 Meter breit und ließ sich ebenfalls frei programmieren. Das binäre Zahlensystem kannte sie hingegen nicht, genauso wenig wie die 1946 ebenfalls in den USA entwickelte ENIAC.

Gute Maschinen, sagt Hadwig Dorsch vom Deutschen Technikmuseum, allerdings nicht so wegweisend wie Zuses Gerät.

"Also die Eniac oder die Mark 1 hatten eine völlig andere Computerarchitektur. Da war was anderes dahinter. Es waren natürlich schon fortschrittliche Rechner, weil sie schon mit Röhren betrieben wurden, aber von der Architektur her war Zuse weiter."

Dennoch galt lange Zeit Howard Aiken als Erfinder des Computers. Der Grund: Zuses Z3 hatte in den USA niemand zur Kenntnis genommen - wohl auch, da sie 1944 durch eine Kriegsbombe zerstört wurde. Als Konrad Zuse erstmals in die USA reiste und Aiken traf, wollte der von Zuses früheren Erfindungen nichts wissen. Erst 1962 räumte Aiken in einem Brief an Zuse dessen Pioniertat ein. 1967 gab es dann einen Rückschlag in Deutschland: Die Behörden verweigerten ein Patent für die Z3.

Horst Zuse: "Es ist heute sehr umstritten wissenschaftlich diese Entscheidung, auch juristisch. Die Entscheidung war eigentlich so: Er hat nichts erfunden, weil er nichts Neues gemacht hat. Relais gab es schon, Lampen gab es schon, Lochstreifenleser gab es schon - er hat es halt anders zusammengebaut. Und das ist nicht patentwürdig gewesen."

Neu waren nicht die Bauteile des Computers, neu war die Leistung der Maschine: Sie zerlegte mathematische Rechenoperationen in Null- und Eins-Ketten, es gab dafür ein Rechenwerk und vor allem eine freie Programmierung. Doch auf diese geistige Leistung wurde kein Patent erteilt - rückblickend schwer zu verstehen. Zumal sich dieses Prinzip bis heute bewährt hat.

"Man kann sagen, dass die Z1 und Z3 wirklich die ersten Maschinen waren, die die sogenannte Potenzrechnung ausführen konnten. Und das Interessante ist: Man baut heute diese Maschinen kaum anders! Also, wenn Sie in einen modernen PC hineinschauen, dann ist das Gleitkommarechenwerk, was da drin ist, fast identisch, nur die Anzahl der Bits, die ist ein bisschen unterschiedlich."

Möglich wurde der Computer in seiner heutigen Form letztlich durch viele technische Erfindungen und zahlreiche geniale Tüftler. Sie alle haben ihre Verdienste. Konrad Zuse reiht sich hier an exponierter Stelle als Mister Bit ein - als der Mann, der das binäre Prinzip in seinen Geräten konsequent umsetzte.
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