"Demokratie braucht auch Führung"

Heribert Rech im Gespräch mit Nana Brink · 02.10.2010
Baden-Württembergs Innenminister Heribert Rech (CDU) hat der SPD im Streit um das Bahnprojekt "Stuttgart 21" Populismus vorgeworfen. Die Chancen für Schwarz-Grün im Ländle sieht er angesichts der Proteste schwinden.
Nana Brink: Der Stuttgarter Schlossgarten, normalerweise die gute Stube der Stadt, wurde vorgestern Abend zum Schauplatz heftiger Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten. Zumeist friedliche Bürger sahen sich unversehens im Strahl der Wasserwerfer. Gestern Abend nun forderten bei der bislang größten Demonstration Zehntausende Gegner des Bahnprojektes "Stuttgart 21" den Rücktritt von Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus, der zuvor sein Gesprächsangebot erneuert hatte.

Derweil hat der Protest gegen "Stuttgart 21" auch politische Konsequenzen: Bei den kommenden Landtagswahlen im März sehen Umfragen die Mehrheit der CDU-geführten Regierung schwinden. Am Telefon ist jetzt Heribert Rech, Innenminister von Baden-Württemberg. Einen schönen guten Morgen, Herr Rech!

Heribert Rech: Guten Morgen, Frau Brink!

Brink: Ministerpräsident Mappus hat gestern Abend erklärt: Ich möchte mit den Gegnern von "Stuttgart 21" in Kontakt treten und mit ihnen diskutieren, wie man aus dieser Situation wieder herauskommen kann. Ja, wie denn?

Rech: Unser Ministerpräsident hat im Übrigen nicht nur gestern Abend, sondern all die Wochen und Monate zuvor gesagt, dass er mit den Projektgegnern sich an einen Tisch setzen will, dass er die kritischen Äußerungen zu dem Projekt ernst nimmt, weil er überzeugt davon ist, dass auch nach abgeschlossenen Planungs- und Klageverfahren weiterhin das gemeinsame Ziel sein muss, noch bessere Lösungen zu finden möglicherweise …

Brink: Das ist aber nicht passiert, sonst hätte es ja diese heftigen Proteste ja nicht gegeben.

Rech: Ja, ja, das ist nicht passiert, weil auch gestern wieder sein Gesprächsangebot ausgeschlagen wurde durch die Projektgegner. Sie stellen immer wieder neue Vorbedingungen, und das ist natürlich keine Basis für ein offenes Gespräch.

Brink: Nun, man kann aber auf der einen Seite nicht sagen, man hält an den Plänen fest, und sagt, man redet dann weiter. Lassen wir uns doch in die Zukunft blicken: Haben Sie denn die Szenen im Schlossgarten von Stuttgart nicht überrascht, die Heftigkeit? Man könnte das ja auch als Vertrauensverlust in die Politik interpretieren.

Rech: Ich bin in der Tat sehr betroffen über diese Ereignisse im Stuttgarter Schlossgarten - nicht gestern, das war eine Demonstration, die in dieser Form zu erwarten war, sondern die Ereignisse im Schlossgarten von vorgestern, bei denen Kinder und Jugendliche beteiligt waren und ich davon ausgehen muss, dass Kinder und Jugendliche eben in diesem Fall für politische Zielsetzungen instrumentalisiert wurden und in eine Situation gebracht wurden, wo sie unter Umständen selbst Grenzen der friedlichen Auseinandersetzung überschritten haben. Das zeigen auch die Bilder. Wenn Jugendliche, wenn Kinder, wenn Schüler Polizeifahrzeuge blockieren, Einsatzfahrzeuge lahmlegen, wenn sie auf das Dach eines Wasserwerfers steigen …

Brink: Aber das ist jetzt eigentlich nicht die Diskussion, die wir führen wollten, sondern wir wollten uns fragen oder fragen Sie sich: Haben wir nicht etwas falsch gemacht bei der Vermittlung des Projektes, politisch etwas falsch gemacht?

Rech: Also, wissen Sie, man kann natürlich immer die Frage erheben, ob die Kommunikation ausreichend war, ob sie eingängig war, ob sie transparent war, aber Tatsache ist, dass wir seit über 15 Jahren über dieses Projekt diskutieren, dass seit 1993 in über 200 Sitzungen des Gemeinderats der Stadt Stuttgart öffentlich über Aspekte dieses Projekts diskutiert wurde. Das Projekt wurde rauf und runter prozessiert. Wir haben Planfeststellungsverfahren mit zahllosen Bürgerbeteiligungen. Ich erkenne in dem rechtlichen Ablauf dieser Verfahren nicht einen Punkt, wo nicht Gegenargumente einbezogen worden wären, Gutachten der Gegenseite überprüft worden wären. Also, und jetzt …

Brink: Das sind aber alles ja bürokratische Vorgänge, anscheinend ist es unten nicht angekommen. Die SPD fordert ja jetzt einen Volksentscheid. Ist das eine Option für Sie?

Rech: Also wissen Sie, wir lassen natürlich prüfen, ob ein Volksentscheid überhaupt möglich wäre, ich kann Ihnen voraussagen: meines Erachtens nicht. Das ist sehr populistisch, was die SPD da macht, und Demokratie braucht auch Führung und sie muss auch deutlich machen, dass man zu demokratisch zustande gekommenen Entscheidungen dann auch steht. Und diese Entscheidung jetzt im Grunde nicht zu vollziehen, das wäre fast eine Straftat, ich zitiere Joachim Gauck, "fast eine Straftat. Also die Politiker, die jetzt sagen, also ich baue einfach nicht weiter, die dürfen das gar nicht tun, wenn sie sich selbst ernst nehmen." Zitat Ende, Joachim Gauck. Da kann ich mich nur 100-prozentig dahinter stellen.

Brink: Also Sie ziehen das durch, fürchten Sie dann nicht, dass Sie dann auch Verluste einfahren werden oder überhaupt gar die Mehrheit verlieren werden bei den kommenden Landtagswahlen im März?

Rech: Jeder Politiker trägt Verantwortung, dass das Land und seine Bürger eine gute Zukunft haben. Dies ist ein ganz wichtiges Zukunftsprojekt. Und die Politiker, die auf die nächsten Wahlen schielen, nehmen ihre Verantwortung jedenfalls nicht in vollem Umfange wahr.

Brink: Das heißt, Sie halten daran fest?

Rech: Natürlich, es wurde nie ein Zweifel gelassen. Im Übrigen bitte ich mal zur Kenntnis zu nehmen, dass die Politik, dass die Landesregierung diese Entscheidung gar nicht in der Hand hat. Das ist ein Projekt der Bahn und des Bundes, und die Bahn hat Baurecht. Und die Politik, wenn sie sich jetzt davon verabschieden würde, wäre nicht in der Lage, das Projekt zu stoppen. Wir können uns verabschieden aus der Finanzierungsvereinbarung, und dann tragen wir entsprechend die Konsequenzen in Form von Schadensersatzansprüchen. Dann müssten wir die Frage beantworten, was mit diesem maroden Bahnhof Stuttgart künftig geschehen soll, wie die Verkehrsstränge, die wichtigen Magistralen überhaupt tauglich gemacht werden müssen. Das würde das Land eine Menge Geld und eine Menge Vertrauensverlust kosten bei den Bürgern, die auf diesen Rechtsstaat vertrauen.

Brink: Gehen wir noch mal ein bisschen auf die Wahl zurück: Die Grünen sind jetzt schon die Gewinner des Konfliktes, sie waren ja lange dagegen, die SPD ist erst jetzt umgeschwenkt - ist denn dann ein schwarz-grünes Bündnis in weite, weite Ferne gerückt?

Rech: Die SPD ist nicht umgeschwenkt, die SPD droht umzufallen, um es mal ganz deutlich zu sagen. Und das ist das, was das Vertrauen in demokratische Abläufe in den Rechtsstaat am meisten erschüttert. Aber da ist die SPD mit sich selbst beschäftigt, da will ich jetzt nicht weiter kommentieren.

Brink: Aber Schwarz-Grün ist auch vom Tisch?

Rech: Das hat der Ministerpräsident zu entscheiden, nicht der Innenminister. Es wird vieles davon abhängen, inwiefern die Grünen überhaupt noch demokratische Abläufe akzeptieren und dahinterstehen. Und das ist die entscheidende Frage. Aber wie gesagt, über Bündnisse reden wir heute noch nicht, sondern jetzt wird erst mal die Landtagswahl für die CDU gewonnen, und da bin ich ganz sicher, dass dies so kommen wird.

Brink: Heribert Rech, Innenminister von Baden-Württemberg, und wir sprachen über den Protest in Stuttgart und die Folgen für die Wahlen in Baden-Württemberg im nächsten Frühjahr. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Rech!

Rech: Vielen Dank, Frau Brink!
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