Debüt einer Toten

Ihr Talent hätte die US-Literatur bereichert

Das undatierte Handout des S.Fischer-Verlages zeigt die US-Schriftstellerin Marina Keegan.
Die verstorbene US-Schriftstellerin Marina Keegan © picture alliance / dpa / Fischer-Verlag
Von Ursula März · 18.04.2015
Marina Keegan starb mit 23 Jahren bei einem Autounfall - kurz nach ihrem Abschluss in Yale. Ihre Abschlussrede bei der Elite-Uni trug denselben Titel wie ihr Erzählband "Das Gegenteil von Einsamkeit". Ihre Eltern haben die Essays ihrer Tochter posthum veröffentlicht.
Um dieses Buch liegt ein tragischer Schatten: Wer es aufschlägt, weiß, dass es nicht nur das erste, sondern auch das letzte der jungen Frau sein wird, die es verfasst hat. Marina Keegan, so der Name der Amerikanerin, wurde 23 Jahre alt. Wenige Tage nachdem sie bei der Abschlussfeier ihres Studienjahrgangs an der Universität Yale eine mittlerweile im Internet legendär gewordene Rede mit dem Titel "Das Gegenteil von Einsamkeit" hielt, kam sie bei einem Autounfall auf der Strecke von Boston nach Cape Cod ums Leben.
In Yale hat Marina Keegan unter anderem Creative Writing studiert, sie hat erste Erzählungen und Essays verfasst und sie war, wie man dem Vorwort ihrer Literaturprofessorin entnehmen kann, fest entschlossen, eine hart arbeitende Schriftstellerin zu werden, sich von Selbstzweifeln so wenig von ihrem Weg abbringen zu lassen wie von den Aussichten des Literaturmarktes.
Dieser Weg wurde vom Tod beendet. Marina Keegans Prosadebüt, das denselben Titel wie ihre berühmte Rede trägt, ist zugleich ihr Vermächtnis, und diese, in der Literaturgeschichte nicht alltägliche Konstellation bereitet unwillkürlich den Boden für die Legendenbildung um ein Junggenie, das auf tragische Weise an seiner Vervollkommnung gehindert wurde. In Amerika wurde "Das Gegenteil von Einsamkeit" zu einem Bestseller. Marina Keegans deutscher Verlag spricht von einem "Ausnahmetalent".
Lakonischer, sehr präziser Stil
Auf jenen Teil des Bandes, in dem Essays und kurze Erörterungen zusammengefasst sind, trifft der hoch zielende Begriff nicht unbedingt zu. Sie zeigen eine junge Autorin, die mit enormer Wachheit und mit Temperament über ihre Generation, kulturelle Routinen, politisches Engagement oder Desengagement nachdenkt. Aber den Nachweis herausragender Brillanz bleiben sie schuldig. Diese blitzt eher in einigen Erzählungen Marina Keegans auf, die sich offensichtlich an ihr eigenes Lebensmilieu lehnen, das Milieu junger, gebildeter Mittelschichtskinder der amerikanischen Ostküste, die zwischen Elternhaus und Autonomie, zwischen Jugendlichkeit und Erwachsenheit pendeln, vor allem aber zwischen dem Bedürfnis nach nestwarmer Sicherheit und den Attitüden abgeklärter Unnahbarkeit.
Der Titel "Kalte Idylle", den eine der längeren Erzählungen trägt, könnte auch die Empfindungswelt der jungen Leute bezeichnen, um die Keegans Prosa kreist. Die Ich-Erzählerin befindet sich im letzten Studienjahr und unterhält eine Affäre mit einem Mitstudenten, deren verbindliche Unverbindlichkeit beide geradezu kultivieren. Als der Liebhaber plötzlich stirbt, gerät sie bei der Trauerfeier in die Rolle, die sie immer vermied: Die der festen Freundin. Sie wird mit Leerstellen ihrer Seele und ihres Selbstbildes konfrontiert, die sie zuvor überhaupt nicht bekümmerten. Und sie lernt eine Frau kennen, die den Verstorbenen tatsächlich liebte. Der lakonische, sehr präzise Stil dieser Geschichte lassen eine Autorin erahnen, deren Talent die amerikanische Gegenwartliteratur um Bücher bereichert hätte, die es nicht mehr geben wird.

Marina Keegan: Das Gegenteil von Einsamkeit
Fischer Verlag, München 2015
285 Seiten, 18.99 Euro