Debatten in der Hauptstadt

Wem gehört Berlin?

Zuckerwürfel mit Berliner Bär
Wie lange bietet Berlin noch Freiräume? © imago / Gerhard Leber
Von Katharina Döbler · 13.10.2015
Derzeit dominieren vor allem Bilder von Flüchtlingen die Debatten um Berlin. Ähnliche Hoffnungen auf ein besseres Leben in Berlin wie diese Flüchtlinge nun hatten schon Generationen. Denn die Stadt bot Freiräume zum Ausleben dieser Sehnsüchte. Doch wie lange noch?
Die Einwohnerschaft unserer Hauptstadt wächst. Und wächst und wächst. Wer hätte das gedacht, als vor etwas mehr als zwanzig Jahren die Mitarbeiter der Bunderegierung mit Nachdruck und zahlreichen Vergünstigungen zum Umzug nach Berlin überredet werden mussten.
Inzwischen kommen die Leute freiwillig und von überall her, so wie in den 1920er Jahren. Leute mit einer Geschäftsidee und Leute mit Rosinen im Kopf, Künstler mit Talent und ohne, Studenten und überhaupt: solche, die sich von dieser Stadt etwas erhoffen: eine Zukunft.
Um Zukunft scheint es hier immer zu gehen, sie scheint stets vielleicht demnächst fertig zu werden. So wie unser Flughafen. Und unser schönes neues Stadtschloss, dieses unselige Ergebnis eines Inzests der Zukunft mit der Vergangenheit.
Einst träumten hier die Besitzlosen von ihrem Glück
Was uns die Vergangenheit beschert hat, sind die Brachen, auf denen seltene Pflanzen seit siebzig Jahren vor sich hin wachsen, und die vielen aufgelassenen Industriebauten und -gebiete. Im Gegensatz zu den glänzenderen Weltstädten, in denen seit vielen Jahrzehnten jeder Quadratzentimeter immer wieder neu verwertet und verkauft wird, staubte Berlin mit seiner Mauer ziemlich unprofitabel vor sich hin. Seine breiten Straßen dienten wie zu Zeiten der alten Preußen vor allem für Paraden, und das auch nur ein- bis zweimal im Jahr. Dreckig und leer war es, kein Spekulant hätte sich hier die Finger an den armseligen Wohnbauten verbrannt.
Lediglich die illegalen Interventionen der Hausbesetzer in den 1980er Jahren verhinderten, dass die schäbigen Altbauquartiere völlig abgerissen und - im Namen der Zukunft - funktionalen Wohnblocks weichen mussten. "Wohnen darf nicht Ware werden", schrieben diese Idealisten damals auf ihre Flugblätter und träumten von Gemeineigentum und einer anderen Art von Zukunft: dem Glück der Besitzlosen.
Der Fortschritt? - Visionen der Immobilienentwickler
Ironischerweise haben sie damit dem Spiel um innerstädtische Wertsteigerung, genannt Gentrifizierung, die passende Steilvorlage geliefert. Aber wer konnte damals wissen, dass in dieser hässlichen, bedrohten Stadt nur 25 Jahre später auf einer der vielen Brachen einst die teuerste Wohnung Europas gebaut werden würde? Für 6,25 Millionen Euro soll sie verkauft werden, die Innenarchitektin schlägt für die Deckengestaltung Platin vor, das ist kein Witz. Sie liegt nahe der Weidendammer Brücke, wo in den 1920er Jahren Erich Kästner den armen Anton und das reiche Pünktchen zusammenkommen ließ.
Bis vor kurzem war diese Gegend in Berlin Mitte noch fast durchsichtig, so viele Brachen gab es: Überbleibsel von Krieg und Teilung. Die meisten davon sind inzwischen beseitigt, bebaut mit vielversprechenden Objekten, trotz des gewaltigen Überhangs an Gewerbefläche, den Berlin immer noch hat. Immobilienentwickler sehen in diesen Lücken aus der Vergangenheit ihre eigene goldene Zukunft und sprechen von Fortschritt.
Aber für die vielen anderen, die diese Stadt so attraktiv finden, bedeuten sie vor allem: Freiräume. Spielplatz, Kunstareal, Ort zum Feiern, Experimentierfeld. Aus solchen Möglichkeiten entsteht erst eine lebendige Stadt, deren Bestimmung sich nicht in Arbeit und Konsum erschöpft.
Freiräume sind die Rückzugsorte purer Gegenwart, die Paris, London oder München längst verloren haben. Orte, deren Nutzung und Preis – noch – nicht festgeschrieben sind.
Katharina Döbler, Journalistin und Autorin in Berlin, Redakteurin bei "Le Monde diplomatique", schreibt für "Die ZEIT" und den Rundfunk. 2010 erschien ihr Roman "Die Stille nach dem Gesang".
Katharina Döbler
Katharina Döbler© privat
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