Debatte um AfD

Armseliger Umgang mit politischem Gegner

Ein Parlamentarierin im Bundestag
Wie umgehen mit radikalen Forderungen? - Argumentieren! © picture alliance / dpa / Michael Kappeler
Von Christian Schüle · 02.02.2016
Nach Frauke Petrys Waffeneinsatz-Forderung scheinen die politischen Fronten verhärtet. Der Hamburger Journalist Christian Schüle aber wirbt hier für Öffnung. Der politische Gegner dürfe nicht ausgegrenzt werden, sondern man müsse sich ihm mit Argumenten stellen.
Warum, um Himmels Willen, sollte man die AfD boykottieren und somit aufwerten? Die Dämonisierung dieser Partei ist ein dummer, ärgerlicher und vermeidbarer Fehler. Man kann die Vertreter der "Alternative für Deutschland" widerlich finden, zweifelsohne. Aber wer raffiniert an den ideologischen Randzonen von Dunkeldeutschland entlang surft, ist deswegen noch nicht kriminell oder antidemokratisch.
Vielleicht repräsentiert die AfD den "rechten Rand", ja. Aber dieser Rand ist nun einmal da, er ist Teil der Gesamtgesellschaft, ob es den Nicht-Rechten passt oder nicht. Womöglich versammelt die AfD dieser Tage aber auch jene Enttäuschten, Besorgten und Entsetzten hinter sich, die bislang den mittlerweile inhaltlich nahezu entkernten Alt-Parteien vertraut haben. Dann wäre der Kampf gegen die AfD ein eitles Ringen der Verschmähten mit ihrer eigenen narzisstischen Kränkung.
Ausgrenzung der Ausgrenzer ist Bärendienst für Demokratie
Mit Ausgrenzung und Stigmatisierung nun betriebe man freilich das Geschäft jener, deren angeblichen Ungeist man der Republik gerade austreiben will; besorgte Bürger abzuwerten, weil diese angeblich Andere abwerten, ist ein Widerspruch in sich.
Demokratische Kultur heißt ja doch immer: Überzeugen mittels kommunikativer Rationalität. Also muss man die Vertreter der AfD anhören, muss man Halbwahrheiten und Lügen klar widerlegen, hat man vermeintliche Propaganda mit der Kraft empirisch gesicherter Fakten zu entlarven.
Oder halten die Etablierten in bewährt paternalistischer Manier die eigenen Bürger nicht für klug genug, von sich aus erkennen, was moralisch überlegen sein will, was den Humanitarismus sozialdemokratischer, grüner oder christdemokratischer Güte ausmachen soll?
Man hat sich über Angela Merkels Verdikt von der Alternativlosigkeit politischer Lösungen echauffiert – und nun, da sich eine Alternative zu etablieren scheint, schäumt man vor Empörung. Solcherlei Doppelmoral schürt mindestens Misstrauen.
Millionenfacher Bürgerfrust zwischen den Rändern und eben auch in der Mitte der Gesellschaft, ist ja kein Kinkerlitzchen, und nicht jeder, der unkontrollierte Landesgrenzen für rechtswidrig erachtet und mit kultureller Fremdheit persönliche Probleme hat, ist ein rechtsradikaler Rassist. Solcherart dämliche Simplifizierung funktioniert bei hochkomplexen Sozialverhältnissen nicht mehr.
Es zeigt sich in diesen erregten Tagen auf verstörende Weise die Unzulänglichkeit unserer Eliten, mit "rechts", mit Ordnungsverlust-Gefühlen und lange erfolgreich ignorierten National-Sehnsüchten klug und verantwortungsvoll umzugehen.
Eliten reagieren auf Bürgersorgen unzulänglich
In einer liberalen Demokratie kann und darf man selbst extreme Weltbilder nicht verbieten. Geisteshaltungen lassen sich nur durch Erklärung, Aufklärung und Erziehung verändern. Pardon, aber: Freiheit ist immer auch die Freiheit der Andersdenkenden. Das muss schon für alle gelten, sonst wäre Freiheit ja eine Farce!
Eigentlich müssten sich die AfD-Leute nur entspannt zurücklehnen und abwarten. Wer sie hyperventilierend dämonisiert oder sich ihnen entzieht, hat das Spiel bereits verloren.
Ein Bundesverdienstkreuz gebührte also jenem uns bislang noch unbekannten Verantwortungsethiker, der sich den Herren Höcke und Gauland, den Damen Petry und von Storch in souveräner Manier stellt - im Fernsehstudio, im Radio, in Akademien, auf der Straße. Der den Disput gelassen, kühl und geistvoll führte – mit intellektueller Schärfe, großer Sachkenntnis und überzeugender Differenzierungsfähigkeit.
Wo würden wir uns hintreiben lassen, wenn selbst Demokraten den Instrumenten der Demokratie nicht mehr vertrauten: der öffentlichen Diskussion und dem bestechenden Argument!
Christian Schüle, 45, hat in München und Wien Philosophie, Soziologie und Politische Wissenschaft studiert, war Redakteur der ZEIT und lebt als freier Essayist, Schriftsteller und Autor in Hamburg. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, darunter den Roman "Das Ende unserer Tage" (Klett-Cotta) und die Essays "Wie wir sterben lernen" und "Was ist Gerechtigkeit heute?" (beide Droemer-Knaur/Pattloch). Seit 2015 ist er Lehrbeauftragter im Bereich Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin.
Der Autor Christian Schüle steht vor einer Fensterwand.
Der Autor Christian Schüle© imago / Sven Simon
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