Debatte um Abtreibung in Polen

Kampf um den weiblichen Körper

Demonstration gegen eine Verschärfung des Abtreibungsrechts in Polen.
Demonstration gegen eine Verschärfung des Abtreibungsrechts in Polen. © AFP / WOJTEK RADWANSKI
Von Beate Bielecka · 06.12.2016
Polen hat bereits ein sehr restriktives Abtreibungsgesetz, nun will die Regierung es weiter verschärfen. Beifall kommt von der katholischen Kirche - doch die Frauen gehen für ihr Recht auf die Straße. Und das ist auch ganz richtig so, meint die Journalistin Beata Bielecka.
Ich kenne die Mutter der 10-jährigen Ola, die seit ihrer Geburt schwerstbehindert ist – sie ist alleinerziehend. Wenn sie morgens zur Arbeit geht, muss ihre Tochter allein zu Hause bleiben. Nur die 90-jährige Großmutter sieht ab und zu nach ihr. Stundenlang liegt Ola allein im Bett und starrt an die Decke. Dem Staat ist die Betreuung des Kindes umgerechnet nur rund 300 Euro im Monat wert. Damit kommt man auch in Polen nicht weit. Weder die vorherige Regierung noch die jetzige haben irgendetwas getan, um Ola und ihrer Mutter zu helfen. Das hindert sie jedoch nicht daran, den Frauen ins Gewissen zu reden und Vorschiften machen zu wollen.

Protestierende Frauen als "Hexen" bezeichnet

Wir haben Krieg in Polen – um das Recht der Frauen auf Abtreibung! Seit zwei Monaten gehen regelmäßig schwarz gekleidete Frauen mit Regenschirmen auf die Straße. Sie organisieren sich über soziale Netzwerke – und haben die Regierung davon abgehalten, das Abtreibungsrecht noch mehr zu verschärfen. Immerhin haben wir in Polen schon eines der restriktivsten Abtreibungsgesetze Europas.
Das reicht dem Vorsitzenden der Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) noch nicht. Jarosław Kaczyński ist der Auffassung, dass schwangere Frauen ihre Kinder austragen müssen, auch wenn sie stark behindert sein werden oder sogar zum baldigen Tode verurteilt sind, weil sie so zumindest getauft werden! Obwohl ich eine gläubige Katholikin bin, stimme ich dem nicht zu. Eine Frau hat das Recht zu wählen, denn sie – und nicht der Vorsitzende Kaczynski – muss mit all den Konsequenzen leben, die das haben kann.
Um Frauen dazu zu bringen, behinderte Kinder zu gebären, beschloss die Regierung gerade, im Rahmen ihres Programms "Für das Leben" jeder Mutter einmalig umgerechnet tausend Euro zu geben. Das reicht gerade mal für zwei Monate Pflege und Betreuung eines solchen Kindes wie Ola. Was dann?
Aber nicht nur die Regierung schürt die Stimmung gegen Abtreibung in Polen – auch die Kirche. Es gibt inzwischen eine kleine, aber lautstarke Gruppe radikalisierter Priester. Einer von ihnen hat kürzlich Polinnen, die an diesen "schwarzen Märschen" teilnehmen, als Hexen bezeichnet.

Verhütungsmittel sollen verboten werden

Inzwischen ist so mancher dadurch eingeschüchtert: Apotheker, die mit Verweis auf die Regierung ablehnen, Verhütungsmittel zu verkaufen. 86 katholische Organisationen haben von der Regierung gefordert, dass sie den Verkauf von Verhütungsmitteln gesetzlich verbieten soll. Und das Ministerium für Nationale Erziehung hat der Professorin Urszula Dudziak die Verantwortung für das Schulprogramm "Erziehung fürs Leben" übertragen. Einer Frau, die gegen die Verhütung ist, weil diese zum Hedonismus führe, und dazu, den Menschen zu instrumentalisieren, ihn vom Sex abhängig und für Verrat anfällig zu machen.
Ich fürchte mich schon davor, was passieren wird, wenn sie in den Schulen für die Kalender-Verhütungsmethoden werben. Untersuchungen zeigen, dass jede vierte Polin abgetrieben hat. Ich bin gegen eine Abtreibung auf Verlangen und glaube, dass der vor Jahren ausgehandelte Kompromiss zur Abtreibung gut ist. Damit bin ich nicht allein. Aus aktuellen Untersuchungen geht hervor, dass nur elf Prozent der Polen Abtreibung generell verbieten wollen. Den "schwarzen Protest" hingegen unterstützen 55 Prozent der Frauen – und immerhin 45 Prozent der Männer in Polen. Nur 14 Prozent sind explizit dagegen. Deshalb sollte die Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" aufhören, an den Abtreibungsgesetzen herumzufummeln und zu glauben, dass sie damit Polen erlöse. Das tut sie nicht und eine große Mehrheit der Gesellschaft erlaubt es auch nicht.
Beata Bielecka ist Redakteurin der "Gazeta Slubicka", der kommunalen Zeitung der Stadt Slubice, arbeitete zuvor 20 Jahre lang als Redakteurin bei "Gazeta Lubuska", der größten regionalen Tageszeitung Polens an der deutsch-polnischen Grenze, hat 1996 gemeinsam mit Dietrich Schröder ("Märkische Oderzeitung") den "Wächter-Preis der deutschen Tagespresse" verliehen bekommen: für eine Artikelreihe über Regelverstöße bei der Grenzpolizei, war 2014 nominiert für den deutsch-polnischen Journalistenpreis
Beata Bielecka, Redakteurin der "Gazeta Slubicka"
Beata Bielecka, Redakteurin der "Gazeta Slubicka"© privat
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