DDR-Refugium Hiddensee

Der Fluch der schönen Erinnerung

Der Leuchtturm in dem Ort Kloster auf Hiddensee
Der Leuchtturm in dem Ort Kloster auf Hiddensee © dpa / picture alliance / Waltraud Grubitzsch
Von Susanne Schädlich · 19.09.2014
Lutz Seilers DDR-Roman "Kruso" gilt als Favorit für den Deutschen Buchpreis. Er spielt auf Hiddensee, das damals Künstler und Intellektuelle anzog. Unter ihnen war auch die Autorin Susanne Schädlich - die heute mit gemischten Gefühlen auf die Insel schaut.
Auf dem Dampfer von Schaprode nach Hiddensee. Jeden Sommer. Der Kapitän zwinkert mir zu, stupst meine Nase an. In seinem Keller, den durfte er frei vermieten, wohnen wir. Mit seinen Kindern spiele ich. Ich bin ein Inselkind. In Kloster am Hafen Begrüßung der Neuankömmlinge durch Bekannte und Freunde, die schon Urlaub machen. Manch einer steht nur da, um zu wissen, wer ankommt. Tagesritual.
Jetzt geht es mit dem Wassertaxi von Schaprode nach Hiddensee. Im Kloster, am Hafen steht niemand zur Begrüßung. Die Unterkünfte sind keine Keller, sondern moderne Häuser und Hotels mit allem Komfort. Natürlich teuer.
Die Wege sind dieselben geblieben. Ich gehe sie. Nach Vitte. Zum Strand. In die Hügel zum Leuchtturm. Die Insel ist wie eh und je. Sauber, touristenfreundlich. Aber leer. Nicht nur menschenleer. Irgendwie auch inhaltsleer. Es fehlt das Einzigartige. Das Unangepasste. Es fehlen die Einzigartigen und Unangepassten. Für die wir uns damals selbstverständlich hielten und die wir auch waren. Als wir noch Keller mieten mussten. Und Ratten über das Geländer liefen, wenn es regnete. Als wir uns hinter der Mole trafen, am FKK-Strand grillten, jeder etwas mitbrachte, und wir Exil von der DDR zelebrierten. Abseits der FDGB-Urlauber, die sich am "Textilstrand" tummelten. Auf der Insel traf man sich, Jahr für Jahr, Bekannte, Freunde. Der Vater saß auf der Mole und übersetzte ein Buch, ich lernte schwimmen.
Das Geheimnisvolle ist verschwunden
Es fehlt die Inselbar, die verraucht den Erwachsenen abends damals in der Kajüte Raum für manch politisches Gespräch bot. Es fehlt das "Wieseneck" im wienerischen Kaffeehausstil mit Mäding, dem Inhaber, in Lederweste und großmännisch. Auch dort die Truppe, die sich sommers traf. Rauchend, trinkend, diskutierend. Heute ist das "Wieseneck" nichts weiter als eine Kneipe wie aus einem Möbel-Hübner-Katalog. Auch Dittman, den Gemüse- und Lebensmittehändler, bei dem wir Schlange standen, gibt es nicht mehr, man kauft jetzt dort Souvenirs.
Alles scheint jetzt hier so gleich. Gleich schön. Gleich kommerziell. Ich finde die Wildheit der Großstadtflüchtigen nicht, ich finde nicht das Geheimnisvolle, dass die Insel barg, nicht zuletzt, weil die, die sich hier trafen, anders dachten. Im gezähmten Staat gab es auf der Insel so etwas wie das Gefühl Unbezähmbarkeit. Vielleicht begleitet uns auf einer Reise darum auch ein Schriftsteller aus dem Westen. Ganz unheimlich.
Der Bürgermeister soll einst Zuträger der Stasi gewesen sein
Ich fühle mich überlegen, wenn ich die Tagestouristen sehe, weil ich all diese Erinnerungen haben. Ich bin fremd und heimisch. Gleich ermahne ich mich, nicht in die Falle der Nostalgie zu tappen. Der Weg am Leuchtturm abgesperrt. Kein Weiterkommen für den Spaziergänger in den Hügeln. Sicherungsbereich der DDR-Armee. Am Abend kein im Strandkorbliegen für Verliebte oder einfach nur so. Bewaffnete Kontrollen.
Auf der See Schnellbooten der DDR-Marine, Scheinwerfer, die das Wasser absuchen, die dänische Insel Mön ist nicht weit. Die Privilegierten hausten auch nicht in Kellern. Arrivierte Intellektuelle und Künstler hatten sich rechtzeitig Häuser zulegen dürfen: Robert Rompe, Arthur Baumgarten, Walter Ruben, Wolfgang Steinitz, Walter Felsenstein, Gret Palucca, Inge Keller, Ernst Busch.
Am Hafen in Kloster ankert ein Kutter. Es duftet nach Räucherfisch. Man kann ihn dort einfach kaufen, oder auch gleich verspeisen, es gibt Tische und Stühle. Ich sehe Großmutter, die geräucherten Aal wie Siegestrophäen in unsere Kellerunterkunft bringt, damals. Hier und damals. Da ist sie wieder, diese sonderbare Vermischung. Thomas Gens, Inhaber des Kutters, ist auch Bürgermeister, bedient Kunden. Er sei, so lautet der Vorwurf, Zuträger der Stasi gewesen. Während seiner Armeezeit bei der Volksmarine. Ich kaufe bei ihm nicht.
Susanne Schädlich, Schriftstellerin, geboren 1965 in Jena, verließ zusammen mit ihren Eltern, dem Schriftsteller Hans Joachim Schädlich und der Lektorin Krista Maria Schädlich, und ihrer Schwester Anna, 1977 die DDR. 1987 ging sie in die USA, wo sie mit literarischen Übersetzungen begann. Ab 1993 arbeitete sie u. a. am Max Kade Institute in Los Angeles. 1996 erhielt sie ein Stipendium der University of Southern California und schloss 1999 das Studium der Neueren Deutschen Philologie ab. Danach kehrte sie nach Berlin zurück, wo sie mit ihren beiden Söhnen lebt. 2007 veröffentlichte Schädlich ihren ersten Roman "Nirgendwoher, irgendwohin" (Plöttner Verlag), es folgen weitere Veröffentlichungen: "Immer wieder Dezember. Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich" (Droemer), "Westwärts, so weit es nur geht. Eine Landsuche" (Droemer). Gemeinsam mit ihrer Schwester Anna Schädlich gab sie die Anthologie "Ein Spaziergang war es nicht, Kindheiten zwischen Ost und West" (Heyne) heraus. Gerade ist ihr Roman "Herr Hübner und die sibirische Nachtigall" bei Droemer Knaur erschienen.
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