DBC Pierre: "Frühstück mit den Borgias"

Lust am Gespensterspiel

Der Vollmond über der Nebelbank
Der Vollmond über der Nebelbank © dpa / picture alliance / Julian Stratenschulte
Von Gabriele von Arnim · 23.06.2016
In DBC Pierres neuem Roman geht es um einen Informatikprofessor, der im Nebel verloren geht. Das klingt nach Schauer, und schaurig ist es auch. Allerdings schlägt der Autor in seiner Lust am Gespensterspiel ein wenig über die Stränge.
"Technologie sei der Weg, die Wahrheit und das Leben." - Das jedenfalls glaubt der Nerd Ariel Panek, gerade mal 30 Jahre alt und Professor für Informatik in Boston. Auf dem Weg nach Amsterdam, wo er einen wichtigen Vortrag über Künstliche Intelligenz halten soll, geht er im Nebel verloren.
Seine Maschine musste notlanden, und auf einmal sitzt er in einem Taxi auf dem Weg an die englische Küste und wird abgeliefert in einem riesigen alten Hotelkasten, der offenbar nicht nur durch den Nebel gänzlich abgeschnitten ist von der Welt. Es gibt keine Bar, kein Essen und vor allem: Kein Internet. Er kann weder Laptop noch Tablet und noch nicht einmal sein Handy benutzen. Eine Katastrophe für einen, der seine Tage im Netz verbringt.

Plötzlich in einer Art Spukschloss

Ariel ist in einer Art Spukschloss gelandet. Die einzigen Gäste: eine höchst sonderbare Familie am flackernden Kamin, die aus einem Cartoon von Charles Addams entsprungen sein könnte; eine alte Matrone, die auf einmal kompetent über Quantenmechanik mit Ariel diskutiert, deren männergierige Jungfrau-Tochter, die ihn zu verführen sucht, ein schwergewichtiger, abgewrackter Steuerflüchtling, der ihn in Geschäfte verwickeln will und das magersüchtige, sich ritzende Gretchen, einst angeblich aus Barmherzigkeit aufgenommen und nun der Familienterror schlechthin. Merkwürdigerweise hat sie als einzige ein Handy, das hier funktioniert.
In der Nacht schleicht sie sich in Ariels Zimmer, steht nackt und mit blutenden Armen vor ihm. Das Klappergestell will endlich einmal geliebt werden. Angeekelt und mitleidig stillt er mit seinem Handtuch ihr Blut und wird am nächsten Morgen von der Polizei als Verdächtiger im Missbrauchsfall gegen Gretchen im Hotel festgehalten.

Zwischen Psychoterror und Realsatire

Ein Roman zwischen Spuk, Psychoterror und Realsatire, in dem man nicht sicher sein kann, wer ein Mensch ist aus Schweiß und Blut und wer ein Geist der Ewigkeit. Es verflechten sich Bilder und Fantasien in Ariels Kopf, die den Algorithmiker schier in den Wahnsinn zu treiben scheinen.
DBC Pierre, der 2003 den begehrten Booker Preis gewann für seinen grandiosen Roman "Jesus von Texas", wurde 1961 als Peter Finlay in Australien geboren. DBC Pierre ist sein Schreibname und heisst "dirty but clean Peter". Also einer, der sich herausgezogen hat aus dem schmutzigen Sumpf von Drogen und Betrug, aber trotzdem kein kernseifengeschrubbtes Bübchen geworden ist.
Das Werk ist eine Auftragsarbeit. Der Verlag Random House hatte DBC Pierre gefragt, ob er eine sogenannte "Hammer novel" schreiben wolle, einen Gruselroman. Er wollte. Wollte von modernen Ängsten erzählen. Davon, was passiert, wenn ein Mensch getrennt wird von seiner Technologie. Mit welchen Fantasien er konfrontiert wird, von welchen Alpträumen verfolgt. Wie unfähig ist er, menschliches, ergo unberechenbares Verhalten kontextuell zu erfassen.
Es hätte ein großartiges Buch werden können. Doch ein bisschen liest sich der Roman wie ein Entwurf.
Trotz der raffiniert verschränkten Zeit- und Bewusstseinsebenen, fehlt der tiefenscharfe Blick. Was diesem Autor sonst so meisterlich gelingt, seine abgefahrenen Ideen mit Ironie und bissiger Kritik an der Gesellschaft zu verbinden und zugleich von der Zartheit der Menschen zu erzählen, bleibt hier stecken in der Lust am Gespensterspiel.

DBC Pierre: Frühstück mit den Borgias
Aus dem Englischen von Max Stadler
Blumenbar Verlag, Berlin 2016
224 Seiten, 18 Euro

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