"Dauerhaft die Finanzierung des Systems sichern"

Heiner Garg im Gespräch mit Gabi Wuttke · 17.03.2010
Wie der Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) plädiert auch Schleswig-Holsteins Sozial- und Gesundheitsminister Heiner Garg (FDP) für eine Entkoppelung der Kosten der Gesundheit von den Erwerbseinkommen, um das System dauerhaft finanzierbar zu halten.
Gabi Wuttke: Politik kann so unerotisch daherkommen, zum Beispiel mit der Regierungskommission unter dem Titel "Zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung des Gesundheitswesens". Heute tagt sie zum ersten Mal. Am Telefon ist jetzt Heiner Garg, der FDP-Politiker ist Vize-Regierungschef in Schleswig-Holstein und zudem Gesundheitsminister des Landes. Guten Morgen, Herr Garg!

Heiner Garg: Schönen guten Morgen, Frau Wuttke!

Wuttke: Sie und ich verfolgen seit fast einem halben Jahr nur Zank und Zwist in der Bundesregierung. Welche Chance hat Ihr Parteifreund Philipp Rösler, sich zusammen mit zwei FDP-Ministern gegen die fünf Unionskollegen in dieser Kommission durchzusetzen?

Garg: Ich bin ja eigentlich kein Anhänger einer Gegnerschaft innerhalb einer Koalition, sondern ich würde zunächst mal Gemeinsamkeiten ausloten, oder zumindest versuchen, Gemeinsamkeiten auszuloten, und dann stelle ich fest, dass sich die Koalition in Berlin zunächst mal darauf einigen muss, will man eine Lösung nur für diese Legislaturperiode, will man sich durchwursteln und die Kosten in der gesetzlichen Krankenversicherung halbwegs für die nächsten drei, vier Jahre in den Griff bekommen, oder will man die Finanzierung von Gesundheitsleistungen, die Finanzierung des Zugangs der gesamten Bevölkerung zu medizinischen Leistungen dauerhaft sichern.

Wuttke: Ihre Herangehensweise ist sehr ehrenwert, Herr Garg, aber Sie müssen zugeben: in dieser Koalition klappt nichts und niemand beißt so hart auf Granit wie Philipp Rösler, oder?

Garg: Ja, weil das ein sehr ausgesprochen schwieriges Thema ist. Wir reden seit Mitte der 70er-Jahre darüber, wie wir die Kosten für Gesundheit in den Griff bekommen, und der Herr Seehofer, der da gerade bei Ihnen in der Sendung zitiert wurde, hat es ja als Gesundheitsminister eben gerade nicht geschafft, strukturell so umzusteuern, dass die Gesundheitsversorgung dauerhaft finanziell gesichert wird, vor dem Hintergrund, dass wir immer weniger Erwerbsfähige bekommen, aber immer mehr Menschen, die einen Anspruch auf Leistungen aus diesem System haben. Deswegen ist es geradezu hoch ungerecht, wenn immer weniger Erwerbsfähige das gesamte System über einkommensbezogene Beiträge finanzieren müssen und immer mehr Leistungen daraus in Anspruch nehmen können, ohne tatsächlich signifikant einen Beitrag dazu zu leisten.

Wuttke: Sie sagen, es ist eigentlich ein uraltes Problem. Nur haben wir jetzt in dieser großen Krise ganz besondere Bedingungen. Will heißen: die Arbeitgeber wie gesagt sollen entlastet werden auf Kosten der Steuerzahler, Geld aber haben wir nicht mehr.

Garg: Ich glaube, es geht in erster Linie nicht darum, Arbeitgeber zu entlasten, sondern es geht darum, dauerhaft die Finanzierung des Systems zu sichern. Noch mal: Wir laufen sehenden Auges, wenn wir der CSU-Linie folgen würden, liefen wir sehenden Auges in den nächsten fünf bis zehn Jahren darauf zu, dieses gesamte System nicht mehr finanzierbar zu halten, und daran kann noch nicht mal die CSU, die jeden Tag ihre Meinung im Übrigen zu dem Thema irgendwie ändert, ein Interesse daran haben, sondern es muss jetzt darum gehen, dafür ist doch Politik da, dauerhaft zukunftsfeste Lösungen anzubieten. Und Philipp Rösler hat ganz klar mit der Frage, wie entkoppele ich die Kosten für Gesundheit von den Erwerbseinkommen, wie kriege ich da eine Entkopplung hin, damit ich eben in einer Gesellschaft, in der es immer weniger Erwerbsfähige aufgrund des demografischen Wandels gibt, die Kosten für Gesundheit dauerhaft finanzierbar halte. Ich habe bisher noch keinen einzigen Vorschlag von der CSU gehört und erwarte deswegen heute in dieser Kommission, wenn sie diese Pläne von Herrn Rösler grundsätzlich ablehnt, dass sie einen Alternativvorschlag macht, der all die Kriterien, die ich genannt habe, mindestens ebenso gut erfüllt.

Wuttke: Aber die kleinen Schritte, die von Philipp Rösler derzeit kursieren, könnten doch überhaupt gar nicht das finanzieren, was nötig ist. Der Bundesfinanzminister hat eine Rechnung aufgestellt und spricht von 22 Milliarden Euro, die wir bräuchten.

Garg: Ich bin ja immer erstaunt, wie schnell Herr Schäuble über Nacht Zahlen aus dem Hut zaubert, was angeblich alles nicht geht, was aus dem Bundesgesundheitsministerium kommt. Aber wenn es darum geht, irgendwelche Schutzschirme für Banken und anderes zu spannen, dann sind zweistellige Milliardenbeträge aus dem Bundesfinanzministerium offensichtlich überhaupt kein Problem.

Wuttke: Na ja, das sind ja nur Garantien und Bürgschaften. Hier geht es ja um konkretes Geld, was auf den Tisch gelegt werden müsste.

Garg: Ich halte es für vorgeschoben, was aus dem Bundesfinanzministerium kommt, und ich finde es auch wenig konstruktiv, noch bevor diese Regierungskommission das erste Mal getagt hat, die hat sich noch nicht mal konstituiert, bereits heute aus Teilen der Union zu verkünden, dass alles nicht möglich ist. Dann soll man das klipp und klar sagen, dann wurstelt man sich durch durch diese Legislaturperiode, und wir machen genau das, wofür die letzte Koalition abgestraft wurde, nämlich die Probleme, die wir haben, nicht dauerhaft lösen, sondern wieder nur Flickwerk.

Wuttke: Aber das hieße, Ihr Parteikollege Philipp Rösler hätte nichts mehr zu tun bis zum Ende der Legislaturperiode, denn das ist seine große Herausforderung, den Koalitionsvertrag umzusetzen, der aber so nicht umgesetzt werden kann, weil, noch mal gesagt, wir es uns jetzt derzeit nicht leisten können, das Ganze zu finanzieren.

Garg: Ich bin fest davon überzeugt, dass wir es uns noch viel weniger leisten können, hier nicht umzusteuern, die Entkopplung, und zwar die schrittweise Entkopplung der Kosten für Gesundheit von den Erwerbseinkommen nicht hinzubekommen. Das wird uns sehr viel schwerer auf die Füße fallen als die Frage, wie finanziere ich einen sozialen Steuerausgleich für diejenigen, die von dieser Gesundheitsprämie im Zweifel finanziell überlastet werden. Wenn wir das nicht hinbekommen, dann werden wir dauerhaft die Frage nicht beantworten können, wie wir die Finanzierung der Kosten für Gesundheit für die gesamte Bevölkerung, für eine älter werdende Bevölkerung, die auch immer höhere Ansprüche an das Gesundheitssystem stellt mit all seinen Möglichkeiten im medizinischen und medizinisch-technischen Fortschritt, wenn wir das nicht hinbekommen, dann kann Politik aufhören zu gestalten.

Wuttke: Im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur Heiner Garg, der FDP-Politiker ist Vize-Regierungschef in Schleswig-Holstein und Gesundheitsminister seines Landes. Herr Garg, ich danke Ihnen sehr für dieses Interview und wünsche Ihnen einen schönen Tag!

Garg: Den wünsche ich Ihnen auch. Vielen Dank, tschüss!

Wuttke: Tschüss!
Mehr zum Thema