Datenbrille oder Funkchip im Hirn?

Von Dirk Asendorpf · 05.11.2013
Die Zukunft der Mobilkommunikation ist ein großes Thema für die Industrie - und für die Wissenschaft. Auch in Deutschland nehmen zahlreiche Forschungsinstitute die rasante Entwicklung in den Blick und achten dabei nicht nur auf die Technik, sondern auch auf ihre gesellschaftlichen Auswirkungen.
Knochen wurde das erste Mobiltelefon genannt, das Motorola vor genau 30 Jahren auf den Markt brachte, fast ein Kilo schwer. 1998, 15 Jahre später, hatte in den Industrieländern schon jeder Vierte ein Handy in der Tasche. Es wog nur noch 150 Gramm und man konnte damit telefonieren, SMS-Kurznachrichten verschicken, ein Adressbuch führen, spielen und sich morgens wecken lassen. Heute, weitere 15 Jahre später, stecken in den Smartphones, die wir mit uns herumtragen, enorm leistungsfähige Computer. Telefonieren ist Nebensache, der Datenverkehr für die mobile Internetnutzung verdoppelt sich alle zwei Jahre.

Wie werden die Geräte für mobile Kommunikation in 15 Jahren aussehen und funktionieren? Mit Sicherheit wieder völlig anders als heute.

Von der Hand aufs Auge
Zum Beispiel so wie in dem Werbefilm, mit dem Google die Nutzung seiner Datenbrille anpreist, die demnächst auf den Markt kommen soll? Wer hindurchschaut, erhält Zusatzinformationen zur echten Welt, zum Beispiel die Namen der Personen im Blickfeld oder den Hinweis aus dem Navi, in welche Straße man abbiegen soll. Und ein Sprachbefehl löst die Minikamera aus.

Die Technik ist faszinierend, aber wird sie sich auch durchsetzen? An der TU Darmstadt koordiniert der Informatiker Max Mühlhäuser alle Forschungsaktivitäten rund um die mobile Kommunikation. Auch Soziologen und Psychologen gehören zu seinem Team – und äußern Bedenken.

"Zum Beispiel die Tatsache, dass man auf sichtbaren Displays, die man in der Hand haben kann, besser Informationen teilen kann, sich drüberbeugen, dass junge Menschen das extrem nutzen schon heute in ihren Smartphones, um sich zusammenzutun, dass das so’n Bindeglied ist. Natürlich kann ich Ihnen was auf die Brille beamen, dann sehen Sie’s auch, aber dieser Effekt des gemeinsamen Draufschauens ist dann weg."

Nicht aus technischen, sondern vor allem aus derartigen sozialen Gründen sieht das Team um Max Mühlhäuser die Zukunft eher in roll- und faltbaren Bildschirmen. Damit können winzige Geräte die Inhalte großformatig darstellen.

Enorme Lasten fürs Funknetz
Zum Beispiel im Fußballstadion, schon heute ein Hotspot der Smartphone-Nutzung. Immer mehr Fans haben neben dem Geschehen auf dem Spielfeld auch die Partien der Konkurrenz im Blick – per Internetvideo. Wie das Netz der Zukunft beschaffen sein muss, damit es unter der Last des enormen Datenverkehrs nicht zusammenbricht, erforscht der Nachrichtentechniker Armin Dekorsy an der Universität Bremen. Statt weniger großer Masten setzt er auf das flexible Zusammenspiel vieler kleiner Funkzellen.

"Je kleiner die Zellen sind, desto eher sind sie im Prinzip auch mobil und können bei Bedarf irgendwo installiert werden. Und dann haben Sie natürlich auch die Möglichkeit, diese deutlich einfacher abschalten zu können wie einen großen Mobilfunkmasten und insofern können Sie die gesamte Energiebilanz im Netz deutlich optimieren, wenn Sie hier in diese kleineren Zellstrukturen hineingehen."

Ein Teil des Datenverkehrs könnte mit intelligenter Netzwerktechnik sogar ohne den Umweg über ein zentrales Funknetz direkt von Handy zu Handy laufen. Wenn viele Fans gleichzeitig den selben Videostream sehen wollen, würde es ausreichen, die Daten nur einmal ins Stadion zu bringen.

"Das nennt man dann in der Zukunft bei der fünften Mobilfunkgeneration Device-to-Device-Kommunikation. D.h. Geräte können sich direkt irgendwo austauschen, sich finden. "

Schnittstelle zwischen Computer und Gehirn
Nirgendwo ist der technische Fortschritt so rasant wie in der Mobilkommunikation, vielleicht sogar zu rasant. Daran erinnert Michael Lauster vom Fraunhofer-Institut für naturwissenschaftlich-technische Trendanalysen in Euskirchen.

"Es gibt eine Konstante in der Entwicklung, das ist der Mensch. Der entwickelt sich so schnell nicht, und unsere Ausstattung ist eben noch die Anfangsausstattung, die Version 1.0 oder vielleicht im besten Fall 1.1. Wir können unsere Hardware und unser Betriebssystem nicht so schnell wechseln wie es unsere elektronischen Geräte tun."

Doch auch dafür ist technische Abhilfe in Sicht: ein sogenanntes Brain-Computer-Interface, also eine direkte Schnittstelle zwischen Rechner und Gehirn. Eng anliegende Elektroden auf der Haut oder ein winziger implantierter Funkchip verbinden Mensch und Technik direkt miteinander – ohne den lästigen Umweg über Datenbrille und Touchscreen.

"Stellen Sie sich vor: Wir könnten jetzt praktisch Emails schreiben zwischen unseren beiden Gehirnen. Das wäre eine Art künstlicher Telepathie. Möglicherweise könnte ich aber auch versuchen, Sie zu hacken. Ich könnte versuchen, in Ihr Gehirn einzudringen auf diese Art und Weise. Und das ist eine Frage: Wollen wir so etwas zulassen? "

Kein Ingenieur kann die Antwort darauf geben. Denn sie ist nicht technisch, sondern politisch. Wir alle sind gefragt darüber mitzuentscheiden. Dass wir aber die dafür nötigen Informationen erhalten – auch das ist eine Aufgabe der Wissenschaft.

"Wenn Sie Zukunftsforschung betreiben, dann müssen Sie sich darüber im Klaren sein: Man kann die Zukunft nicht vorhersagen. Sie können verschiedene Zukünfte konstruieren nach relativ rationalen wissenschaftlichen Kriterien. Und sie können die Konsequenzen, die aus solchen Zukünften entstehen, auch abschätzen. Aber man weiß genau: Das, was man sich da ausgedacht hat, wird präzise in dieser Art wahrscheinlich nie aufkommen. Aber es geht nicht darum, richtig vorherzusagen, sondern es geht darum, nicht komplett falsch zu liegen. Man muss sich vorbereiten auf bestimmte Dinge. Das ist das Wichtigste dabei."
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