Das voll implantierbare Kunstherz ist nicht mehr fern

Friedrich Wilhelm Mohr im Gespräch mit Christopher Ricke · 30.11.2012
Vor 45 Jahren wurden die ersten menschlichen Herzen transplantiert - eine "Sensation", sagt Friedrich Wilhelm Mohr, der Präsident der Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie. Er hofft, dass der Mangel an Spenderorganen künftig durch Kunstherzen teilweise kompensiert werden könne.
Christopher Ricke: Musik aus – jetzt geht es um extreme Konzentration. Die Säge wird angesetzt, der Brustkorb geöffnet, das kranke Herz vorsichtig entfernt, ein neues eingesetzt. Höchstspannung im OP-Team, Schweiß auf der Stirn des Operateurs Christian Barnard in Kapstadt. Danach Jubel weltweit. Am Montag ist es so weit: Da jährt sich die erste Herztransplantation der Welt zum 45. Mal, die erste Herztransplantation am Menschen. Am Tier hatte man vorher ausreichend geübt. Seitdem sind mehr als 80.000 Menschenherzen eingepflanzt worden, und wäre die Organspendebereitschaft noch größer, wäre auch die Zahl derer, die gerettet werden, deutlich höher.

Heute tagt in Berlin die Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie. Ich sprach mit dem Präsidenten dieser Gesellschaft, mit Professor Friedrich Wilhelm Mohr. Herr Mohr, die Zahlen sind ja beeindruckend, 80.000. Ist die HTX, wie es international heißt, die Herztransplantation inzwischen eine Standard-OP?

Friedrich Wilhelm Mohr: Ja das hat sich wirklich zu einer Standardoperation entwickelt. Die erste Tat von Barnard war damals natürlich eine Sensation. Es ist wichtig, dabei zu vermerken, dass praktisch zeitgleich in Amerika in zwei Kliniken auch eine Transplantation versucht wurde und es hat sich eigentlich nur um mehrere Tage verzögert. Barnard war tatsächlich der erste. Die ersten Transplantationen waren ja nicht so erfolgreich dadurch, dass wir sehr viele Probleme hatten mit der Immunabwehr und der Abstoßung des Herzens, aber diese Technik war natürlich sensationell 1967 und wir haben natürlich heute die Technik verfeinert, aber vor allen Dingen mit der medikamentösen Behandlung der Abstoßungsreaktionen große Fortschritte erzielt, so dass in den 90er-Jahren dann die wirklich großen Zahlen mit großem Erfolg nach vorne gingen.

Ricke: Diese Zahlen sind ja wirklich sehr groß. Die Statistiker rechnen in Deutschland mit drei bis 400 Herztransplantationen im Jahr, das ist eine am Tag. Aber wie viele wären denn aus Ihrer Sicht eigentlich nötig?

Mohr: Wir haben eine ziemlich klare Übersicht, dass wir pro Jahr ungefähr 1.000 Patienten haben, die derzeit auf die Warteliste bei Eurotransplant aus Deutschland gemeldet werden, und es werden leider nur bis zu 350 Herzen derzeit gespendet, die dann zur Verfügung stehen, so dass hier eine sehr große Schere auseinandergeht jährlich.

Ricke: Es gibt Ängste bei Menschen, zum Beispiel die, dass man dann vielleicht doch nicht so gut behandelt wird, wie man eigentlich behandelt werden könnte, weil die Ärzte schon auf ein gesundes Herz schielen, das sie für einen anderen schwerkranken Patienten brauchen. Wie berechtigt ist diese Sorge?

Mohr: Diese Sorge ist ja seit vielen Jahren in der Diskussion, inwieweit die Diagnose des Hirntods tatsächlich den Tod eines Menschen bedeutet. Ich denke, die Diagnostik heutzutage in der Hirndiagnostik ist so exakt und so genau, dass man sich da sehr genau drauf verlassen kann, und ich denke, da sollten die Patienten keine Sorge haben, denn hier wird ja von unabhängigen Medizinern der Hirntod festgestellt, so dass erst danach die Transplantationschirurgen überhaupt in die Diskussion eingeschaltet werden.

Ricke: Wenn diese Sorge unberechtigt ist, ist ein Ärger, den es gibt, dann doch berechtigt, nämlich der Ärger über Geschäftemacherei. Der letzte Transplantationsskandal, der klingt ja noch immer nach. Kriegt man das wieder hin?

Mohr: Ja ich hoffe, das kriegt man wieder hin. Es gibt natürlich immer wieder solche Situationen, dass Einzelfälle, die in der Regulation schlecht laufen, dann in die Diskussion kommen, und es ist ganz klar, dass hier der Skandal in den letzten Wochen an zwei Kliniken zu Unregelmäßigkeiten in der Organvergabe offenbar geführt hat, was aber sicher für das Gesamtsystem der Organtransplantation so nicht stimmt. Es hat natürlich in Deutschland dazu geführt, dass alle transplantierenden Kliniken, alle Bundesländer und natürlich die Behörden aufgerüttelt worden sind, da auch noch genauer hinzuschauen und die Kontrollmechanismen in dieser Richtung zu verbessern.

Leider hat es dazu geführt, dass die Zurückhaltung in der Organspende in den letzten Monaten deutlich zu verzeichnen ist. Ich denke, wir werden hier gemeinsam vor allen Dingen mit den Patienten, die durch eine Organtransplantation profitiert haben, Öffentlichkeitsarbeit betreiben und demonstrieren, wie sinnvoll Organspende ist und wie es doch vielen, vielen Menschen helfen kann. Gerade bei den Herztransplantationen ist ja die Kontrolle insgesamt über Eurotransplant sehr, sehr intensiv. Es sind ja fast nur noch Patienten, die im allerhöchsten Dringlichkeitsstatus auf den Intensivstationen in den einzelnen Zentren warten, die transplantiert werden. Ein normaler Patient, der zu Hause ist, hat im Moment kaum noch eine Chance aufgrund der wenigen Organe, die zur Verfügung stehen, überhaupt zu einer Transplantation zu gelangen.

Ricke: Für diese Menschen gibt es ja den technischen Fortschritt. Es gibt ja inzwischen auch andere Möglichkeiten: Es gibt das Kunstherz, es gibt Herzpumpen, die ein krankes Herz unterstützen.

Mohr: Ja.

Ricke: Der Fortschritt in den vergangenen 45 Jahren war gigantisch. Sie kommen jetzt zu einem Kongress zusammen, dort werden Sie auch über Entwicklungen diskutieren. Wagen Sie denn eine Aussicht, wo wir in 45 Jahren stehen?

Mohr: Ich bin ganz sicher, dass der technische Fortschritt schon schneller als in 45 Jahren ein voll implantierbares Kunstherz für einzelne Patienten möglich macht. Kleinere Pumpen, die man komplett einbaut, sind ja jetzt schon sehr erfolgreich auch über viele Jahre für Patienten einsetzbar und stellen für manchen Patienten auch tatsächlich die definitive Lösung dar. Zum Beispiel für die älteren Patienten mit schweren Pumpversagen ist sicher die Alternative heutzutage, eine solche Mini-Herzpumpe einzusetzen, um über die nächsten vier, fünf oder auch acht Jahre – so lange halten die Systeme oder können sie halten – tatsächlich wieder Lebensqualität zu gewinnen. Denn man wird sich überlegen müssen, dass man die wenigen Organe, die da sind, doch eher den jüngeren Patienten zur Verfügung stellt.

Ricke: Friedrich Wilhelm Mohr, der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie. Vielen Dank, Professor Mohr.

Mohr: Ich danke Ihnen auch, Herr Ricke. Auf Wiederhören.

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