Das Stromnetz der Zukunft

Von Dirk Asendorpf · 27.03.2011
Das Stromnetz kann Elektrizität nicht speichern. Damit es keinen Blackout gibt, müssen Erzeugung und Verbrauch in jeder Sekunde exakt gleich sein – keine leichte Aufgabe für die Betreiber der Übertragungsnetze. Und sie wird immer schwerer. Denn der Anteil erneuerbarer Energie aus Sonnenstrahlung und Wind nimmt rasant zu, 2050 soll er 80 Prozent betragen. Doch die Natur liefert ihre Energie aus Sonnenstrahlung und Wind wann sie will, und nicht dann, wenn gerade viel Strom benötigt wird. Um die Schwankungen abzupuffern, muss das deutsche Stromnetz in den nächsten Jahrzehnten massiv aufgerüstet werden.
Am fünften Februar war es mal wieder so weit. Ein Sturmtief fegte über Brandenburg und trieb Tausende Windräder auf maximale Leistung. Und das ausgerechnet in der Nacht von Samstag auf Sonntag, wenn der Stromverbrauch am geringsten ist. Maximale Einspeisung bei minimaler Abnahme – das ist die Situation, in der die Mitarbeiter der Netzleitzentrale in Berlin-Marzahn ins Schwitzen kommen.

"Wenn halt ein unruhiger Tag ist, ist es meine Entscheidung, die Sachen zu stoppen, zu sagen: Ich muss mein System stabil halten, es geht heut nicht."

Als Schichtmeisterin hat Karin Zimmermann die Hand an den Knöpfen, mit denen sie Großkraftwerke herunterfahren, überschüssigen Strom in Nachbarnetze exportieren und im schlimmsten Fall sogar einzelne Windparks stilllegen kann. Hans-Peter Erbring ist ihr Chef bei der 50-Hertz Transmission GmbH. Das Unternehmen ist für die Stabilität des Stromnetzes in den neuen Bundesländern zuständig. Schon heute dreht sich dort fast die Hälfte aller deutschen Windräder. Mit neuen Offshore-Windparks in der Ostsee wird ihre Zahl weiter ansteigen.

"Es wird immer mehr produziert, die Installation der Erneuerbaren wird weitergehen und insofern: Immer mehr Produktion bei stabilem Verbrauch heißt: die größer werdende Schere, die Differenz muss irgendwohin exportiert werden. Und dann sind die heute schon hoch belasteten und eigentlich ausgeschöpften Leitungen dafür nicht ausreichend, also: Wir brauchen Netzausbau."

Bis zum Jahr 2020 müssen mindestens 1700 Kilometer Höchstspannungsleitungen neu gebaut, viele bestehende Leitungen verstärkt werden. Das hat die Deutsche Energieagentur dena für ihre jüngste Netzstudie ausgerechnet. Eine Stromtraße soll die nordostdeutschen Windparks mit den Industriezentren im Südwesten der Republik verbinden – und dabei quer durch den Naturpark Thüringer Wald führen. Diese sogenannte Rennsteigquerung ist heftig umstritten. Vor allem Naturschützer beklagen den Eingriff in die Landschaft.

Auch fast Tausend Kilometer von den Windparks an der Ostseeküste entfernt, auf dem Abhau, einem 1020 Meter hohen Gipfel des Südschwarzwalds, wird an der Aufrüstung des Stromnetzes für die Integration erneuerbarer Energie gearbeitet. Und auch hier hat sich dagegen eine Bürgerinitiative gegründet, Michael Peter ist ihr Sprecher:

"Wir haben fast keine Vorbelastung an Lärm und Gestank und wenn dann fünf Jahre LKWs laufen, allein um diesen Oberboden hinzubringen auf die Deponien haben Sie 400 LKWs pro Tag. Das ist ein hohes Opfer, das der Kreis hier leisten muss oder soll oder wird, und da wehren wir uns einfach dagegen, dass hier alles unser Gebiet abbekommt."

Auf dem Abhau soll Deutschlands größtes Pumpspeicherkraftwerk entstehen. Dafür muss die Bergspitze gesprengt und in eine riesige Betonwanne verwandelt werden. Wenn dann im Norden der Wind kräftig bläst, sollen mit dem überschüssigen Strom gewaltige Wassermengen hineingepumpt werden. Herrscht Flaute, schießt das Wasser durch ein Kraftwerk im Inneren des Berges zurück ins Unterbecken. Eine der größten Staumauern Deutschlands soll das idyllische Haselbachtal dafür absperren. Projektleiter Andreas Schmidt ist überzeugt davon, dass es keinen besseren Standort für das 1,2 Milliarden Euro teure Großprojekt gibt:

"Ein Pumpspeicherkraftwerk ist immer mit einem Landschaftseingriff verbunden. Aber wir haben hier sowohl die topografischen als auch die geologischen Möglichkeiten für eine Anlage dieser Art. Das ist einmal diese Fallhöhe von 600 Metern und zum anderen ist es dieses standfeste Gebirge. Wir haben hier Grundgebirge, Gneis und Granit, und auf und in diesem Grundgebirge können wir unsere Anlagen sicher anlegen. Und dann haben wir natürlich hier im südlichen Schwarzwald entsprechende Niederschläge, das garantiert uns entsprechende Wasserführung in den Flüssen und auch im Rhein, und das garantiert uns auch die Wassermenge, die wir für die Befüllung der Anlage benötigen."

Bereits heute stellen Solaranlagen, Windparks und Wasserkraftwerke ein Drittel der deutschen Kraftwerkskapazität. Allerdings erzeugen sie damit nur 17 Prozent unseres Stroms, denn nur an wenigen Stunden im Jahr sind Sonnenstrahlung und Wind stark genug, um die volle Kapazität der Anlagen auszuschöpfen. Doch das Netz muss auch dann noch stabil funktionieren. Ohne neue – und hässliche – Großtechnik geht das nicht. Davon ist auch Peter Ahmels überzeugt. Er war viele Jahre Präsident des Bundesverbands Windenergie und leitet jetzt die Abteilung für erneuerbare Energien bei der Deutschen Umwelthilfe.

"Im Moment ist der Umbaubedarf dermaßen irre groß – um mal ne Zahl zu nennen: Bisher haben wir ein Speichervolumen von ungefähr 0,04 Terawattstunden in Deutschland und müssten, wenn wir einigermaßen auf Erneuerbare ergänzen wollen, müssten wir ungefähr zwischen fünf bis 20 Terawattstunden bauen, also ein Mehrhundertfaches dessen, was wir bisher haben. Da ist es jetzt noch zu früh, um auf irgendwelche Technologien sich festzulegen, wir brauchen eigentlich alles"