"Das ist ja sehr langsam und auch sehr subtil passiert"

Jeffrey Friedman und Rob Epstein im Gespräch mit Holger Hettinger · 02.01.2011
Das Gedicht "Howl" machte Allen Ginsberg berühmt. Die Regisseure Jeffrey Friedman und Rob Epstein haben aus dem Gedicht und der Geschichte Ginsbergs einen Kinofilm gemacht. Für sie waren Ginsbergs Verse die ersten Samen der Befreiungsbewegungen der 60er- und 70er-Jahre.
Holger Hettinger: Ginsbergs Gedicht "Howl" wirkt wie ein wilder Sog, ein assoziativer Strom, und zur Legende der Entstehung gehört auch die Kolportage, dass Ginsberg das Gedicht im Drogenrausch, ja, hingerotzt hat. Später ist dann herausgekommen: Ginsberg hat über einen langen Zeitraum daran gearbeitet, immer wieder akribisch daran gefeilt. Wie ist Ihr Film entstanden – im reißenden Flow des Gedichtsduktus, oder in der akribischen Entwicklung Ginsbergs?

Jeffrey Friedman: Ja, dieses Gedicht, das ist so unglaublich reich und komplex und auch schön, und wir haben es sehr lange studiert, wir haben es sehr lange untersucht, und dann haben wir uns natürlich die Frage gestellt: Wie können wir aus diesem Gedicht einen Kinofilm machen? Und wir mussten dann natürlich, Sie haben es auch schon erwähnt, haben wir versucht, ihn wieder in den Kontext seiner Zeit, wo er entstanden ist, hineinzuplatzieren, in diese 1950er-Jahre, die damals in den USA unglaublich konservative Zeiten waren. Und dieses Gedicht war schon der erste Samen einer Gegenkultur der 60er- und 70er-Jahre, und wir nennen das wirklich auch Befreiungsbewegungen, die damals entstanden sind und die in diesem Gedicht auf eine sehr eloquente Art und Weise ausgedrückt worden sind. Nein, das ist natürlich nicht so ganz schnell und spontan so eruptiv entstanden, sondern das hat sich schon sehr, sehr langsam entwickelt, dieser Film.

Hettinger: Ich glaube, das teilt sich mit: Er ist sehr sorgsam komponiert und auch von den Proportionen her hat er eine unglaubliche Eleganz, was ihm einen, ja, ich sage mal, ein ganz eigenes Parfum, einen ganz eigenen Duft verleiht. Ihr Film hat drei Ebenen: Die Gerichtsverhandlung ist als Kammerspiel angelegt, sehr dramatisch, mit heftigen, flammenden Reden über die Freiheit der Kunst, dann die zweite Ebene, der Dichter, verkörpert von einem ganz wundervollen James Franco, erzählt in seiner Wohnung von seiner Motivation, und dann – das hat mich am meisten überrascht – gibt es animierte Partien, in dem das Gedicht selbst mit grafischen Mitteln interpretiert war. Was war der Hintergrund Ihrer Entscheidung, dieses Gedicht auf diesen drei Ebenen anzulegen?

Rob Epstein: Nun, dass diese Art und Weise, an diese, so filmisch da heranzugehen, damit wollten wir die verschiedensten Aspekte der Geschichte auch unterstreichen. Es ist einmal so, dass wir versuchen wollten, dieses Gedicht als eine Art kinematografisches Erlebnis, als eine Art Visualisierung darzustellen, deswegen die Animationen, dann ist natürlich die Geschichte von Allen selbst, erzählt durch James Franco, der seine eigene Geschichte erzählt, der da erzählt, was in ihm gefühlsmäßig vorging, in welchem Zustand er sich damals befand, als er diesen Poem geschrieben hat, dieses Gedicht, und dann natürlich das Drama, also dieser Prozess, das war sozusagen die Reaktion der Gesellschaft, die Antwort der Gesellschaft, die versucht hat, dieses Gedicht zu unterdrücken.

Hettinger: Hinter Ihrem Film steht eigentlich eine sehr schöne Botschaft, denn er erzählt von einem bestimmten Kräfteverhältnis: Ein Land, das in dieser McCarthy-Starre ist, wird geradezu gesprengt durch die Kraft eines einzelnen Gedichtes. Was Kunst so alles machen kann – eigentlich unglaublich. Wenn man auf das heutige Amerika schaut, da bietet sich irgendwie so ein anderes Bild, da wird alle Hoffnung, alle Zukunftsvisionen auf einen Menschen, auf den Präsidenten, projiziert, und wenn es dann ein bisschen hakt, dann hat man so ein Abschlaffen. Sind Sie manchmal ein bisschen neidisch gewesen auf diese Eruptivkraft, die die Kunst damals, Mitte der 50er-Jahre, in einer Gesellschaft wie der amerikanischen entwickeln konnte?

Jeffrey Friedman: Na ja, wir leben in den Zeiten, in denen wir leben, und wir sind sehr glücklich über diesen Präsidenten, den wir gewählt haben, und wir können nur hoffen, dass man ihn auch ein bisschen machen lässt, dass man ihm auch ein bisschen die Chance gibt, dass er nicht sofort wieder, ja, weggerissen wird von dem, was er da versucht zu tun. Und es ist natürlich eine sehr romantische und auch eine sehr schöne Idee, dass Kunst so einen großen Einfluss hat und "Howl", also dieses Gedicht, das ist ja sehr langsam und auch sehr subtil passiert, das hat ja jahrelang gedauert, bis es sich dann auch in intellektuellen Kreisen herumgesprochen hat, bis es breitere Schichten auch der kulturellen Welten erreichen konnte. Es ist ein Geben und Nehmen, und Kunst und Politik schließen sich eben da manchmal auch aus. Politik kann eben sofort etwas bewirken, auf eine sehr, sehr schnelle Art und Weise, aber eines der stärksten Impulse bei der Obama-Kampagne, bei dem Wahlkampf war ja ein Poster, das ist uns ja allen in Erinnerung geblieben, das ist ein Poster von Shepard Fairey, auf dem "Hope" stand, also Hoffnung, und das ist ja ein Poster, was jetzt alle kennen. Also auch heute haben Kunstwerke durchaus noch einen Einfluss im öffentlichen Leben.

Hettinger: Die Beat-Generation steht für den Aufbruch in ein neues Amerika, und wie so ziemlich alles, was als Generation zusammengefasst wird, handelt es sich auch bei den Beatniks keineswegs um eine einheitlich motivierte Gruppe. Da gab es Ruhelose, on the road, die das hohe Lied des Unterwegsseins sangen, da gab es Drogenjünger, Menschen, die sich aus der asiatischen Gedankenwelt ihre Inspirationen verschafften, und, und, und. Welche Elemente waren denn für Sie wesentlich zum Verständnis dieser Gruppe um Allen Ginsberg?

Rob Epstein: Ich denke, da ist ein gemeinsames Element, was sie alle doch verbunden hat, und das ist die Authentizität, das ist das, was Jack Kerouac auch immer wieder gesagt hat: Du musst das alles aus deiner eigenen Erfahrung heraus beobachten, aus dem, was du selbst fühlst. Und ich glaube, dass das etwas geblieben ist, was die Beat-Literatur auch heute noch für junge Menschen unglaublich attraktiv macht.
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