Das Hakenkreuz von Soest

Wie umgehen mit der Nazi-Vergangenheit?

Das goldene Hakenkreuz am Giebel von Haus Kuhfuß in Soest wurde inzwischen dunkel nachgestrichen.
Das goldene Hakenkreuz am Giebel von Haus Kuhfuß in Soest wurde inzwischen dunkel nachgestrichen. © Foto: Marcus Weidner
Von Michael Frantzen · 28.03.2017
Die alte Hansestadt Soest in Westfalen ist bekannt für ihre Fachwerkhäuser – zum Beispiel das "Haus Kuhfuß". Ein architektonisches Schmuckstück mit brauner Vergangenheit. Gut sichtbar: Runen und Hakenkreuz.
"Sind Sie zufälligerweise Herr und Frau Schinkel Genau. Ja."
Wer suchet, der findet. Dienstagmittag, die Altstadt von Soest. Es ist ganz schön voll auf dem wuseligen Marktplatz, den man mit ein bisschen Phantasie auch in Norditalien verorten könnte. Doch das hier ist Westfalen. Tiefstes Westfalen.
"Man muss beschreiben, was man sieht. Detailliert beschreiben."
...konstatiert Stadtführerin Christa Schinkel.
"Ursprünglich komm ich aus Holland. Hört man höchstwahrscheinlich am Akzent ein bisschen."
Stimmt nicht. Aus den Niederlanden.
"Aus den Niederlanden. Ja, genau."
Wer etwas über die Stadthistorie erfahren will, ist bei diesem deutsch-niederländischen Gespann an der richtigen Adresse – auch wenn das mit den Stadttouren eigentlich nur ihr Hobby ist: Christa Schinkel arbeitet in einem Wohnheim für Menschen mit geistiger Behinderung. Helmut, ihr Mann, war bis zur Rente städtischer Denkmalpfleger.
"Soest ist im Zweiten Weltkrieg zu zwei Drittel zerstört gewesen. Nur: man hat es im alten Stil, auf dem alten Grundriss, wieder aufgebaut."

Das einstige Wahrzeichen der Stadt: "Haus Kuhfuß"

Schinkels stapfen los. Sie mögen ihre Wahlheimat. Besonders die verwinkelte Altstadt - eine der größten in Deutschland. In Soest, erklärt Heinz Schinkel, ein lebendiger Typ, dem man seine Ende 60 nicht ansieht – in Soests Altstadt stoße man auf Schritt und Tritt auf Geschichte. Und Geschichten. Er bleibt vor einem Fachwerkgebäude stehen. Das "Haus Kuhfuß". Eines der Wahrzeichen der Stadt – und reich verziert. Doch mit den Ornamenten stimmt etwas nicht.
"Ganz links ist eine Fratze mit Hörnern, eine gelbe Fratze. Dann kommen die Flugzeuge. Und ein Drache frisst sie auf. Symbolisch dabei gedacht: die gelbe Fratze soll Churchill darstellen. Die englischen Bomber. Aber der germanische Drache frisst das auf und kann der Stadt nix anhaben."
Der Balkenfries am Haus Kuhfuß zeigt unter anderem britische Jagdbomber, die von einem Drachen verfolgt werden.
Der Balkenfries am Haus Kuhfuß zeigt unter anderem britische Jagdbomber, die von einem Drachen verfolgt werden.© Foto: Marcus Weidner
Das ist noch nicht alles:
"Auf der anderen Seite ist noch ein Hakenkreuz abgebildet. Da ganz rechts. Mit einer roten Flamme drum herum. Soll sagen: Das Hakenkreuz, trotz widriger Umstände, geht leuchtend aus der Flamme empor."
Anfang des Zweiten Weltkriegs wurde das "Haus Kuhfuß" von alliierten Bombern in Schutt und Asche gelegt – und von den Nazis aus propagandistischen Gründen in Windeseile wiederaufgebaut. Helmut Schinkel kennt die Geschichte des Hauses, in dem sich bereits im 16. Jahrhundert eine Fleischerei befand, aus dem Effeff.
"Ich hab dann 1992 mit dem Gebäude zu tun gehabt, da wurde es mal wieder neu gestrichen. Wir haben damals entschieden: Na ja, das Hakenkreuz bleibt dran. Aber es wird nicht mehr vergoldet, sondern im Balkenton mit übergestrichen. So dass es da ist, aber halt nicht so auffällt."

Originalgetreue Renovierung sorgt für Diskussion

Gut zehn Jahre blieb es ruhig um das "Haus Kuhfuß". Bis der damalige Besitzer, Metzgermeister Heinz Husemeyer, Mitte der 2000er das Fachwerk erneut renovieren ließ – diesmal Originalgetreu – sprich: Mit goldenem Hakenkreuz hin zur Straßenseite. Das hätte er besser nicht tun sollen. In der 50.000 Einwohnerstadt am Rande des Sauerlandes gab es einen kollektiven Aufschrei: Ein goldenes Hakenkreuz: Geht’s noch? Christa Schinkel kann sich noch gut an die hitzige Diskussion damals erinnern. Monatelang ging es hin und her. Bis die Streithähne endlich einen Kompromiss fanden: Das Hakenkreuz bleibt, wird aber schwarz überstrichen. Die Stadtführerin kann damit gut leben. Andere weniger.
"Es gibt immer wieder Leute, die empört sagen: aber da ist doch ein Hakenkreuz dran. Ja. Das ist einfach ein Teil der Geschichte hier. Das hat mit den Besitzern des Hauses überhaupt nichts zu tun."
"Es ist ein denkmalgeschütztes Gebäude. Und da gehört auch dieses Ornament natürlich dazu."
Findet Bernd Hackethal, dessen Nachname Programm ist. Metzgermeister ist er und hat im November 2013 das Geschäft im "Haus Kuhfuß" übernommen.
"Es ist einfach da. Aber es ist für Soest oder für uns als Geschäftsbetreiber kein Problem."
Ich guck jetzt die ganze Zeit da schon nach diesem - ist das nicht, glaube ich, von Occupy? Oder haben Sie das da hingemacht?
"Nein! Auf keinen Fall. Um Gottes Willen. Das ist eher eine Schmiererei. Die wahrscheinlich abends aus einem ganz üblen Scherz erfolgt ist."
Das schwarz-weiße Graffiti mit dem Symbol von Occupy, den Globalisierungs-Kritikern.
Wenn Fleisch, dann Hackethal: Wer im Kreis Soest auf Bio verzichtet und trotzdem kein Billigfleisch vom Discounter will, landet früher oder später in einer der sieben Filialen der Traditions-Metzgerei.
"Frischwurst. Fleischwurst. Leberwurst."
Sind die Klassiker. Dazu: Regionale Spezialitäten.
"Ich muss nur noch mal kurz schauen. Haste noch Möpkenbrot da?" Ja! Muss gerade gucken. Hier! Als klassische Rotwurst wird das hergestellt. Und in Kugeln geformt."
Früher war das Möpkenbrot ein Renner. Doch die Zeiten ändern sich. Das muss man Bernd Hackethal nicht zwei Mal sagen. Nach seiner Fleischerlehre hat der blonde Mittdreißiger ein BWL-Studium in Düsseldorf drangehängt – und den Betrieb auf Vordermann gebracht.
"Das Umfeld wandelt sich. Ob es schwieriger ist, mag ich gar nicht so sagen. Es ist schon so, dass es natürlich immer wieder Genuss-Trends, Food-Trends, gibt. Wir haben auf der einen Seite natürlich eine Vegetarier- und Vegan-Welle. Andererseits haben wir auch eine wahnsinnige Beef- und Fleischwelle, die über Barbecue sehr ausgeprägt ist und mit einer ganz tollen Fleischqualität sich auch niederschlägt. Klar müssen wir uns diesen stellen."

"Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht"

War anfangs nicht ganz so einfach. Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht, lautet ein geflügeltes Sprichwort in Westfalen. Kennt Bernd natürlich auch – den Spruch. Doch sein Vater, der Seniorchef, ließ ihn nach anfänglicher Skepsis gewähren – und die alte Metzgerei der Husemeyers entstauben: neues Sortiment, neue Theke, neue, schicke Möbel – mit Holztischen und Stühlen für Kunden, die in der Filiale zu Mittag essen.
"Wir können natürlich auch mal gerne hier in die Küche schauen, da, wo der gute Duft herkommt. Man hört gerade den Ofen noch etwas. Da ist gerade noch ein schöner Braten für den Mittagstisch drin."
Zumindest der Ofen ist noch vom alten Husemeyer. Bernd grinst. War ja auch nicht alles schlecht, was sein Vorgänger hinterlassen hat.
"Das sind Holzschnitzereien an den Deckenbalken. Die halt Tierköpfe im Wesentlichen darstellen. Da sind zum Beispiel: Ziegen, Füchse, ein Hirschkopf ist dabei, ein Hasenkopf. Also ganz viele heimische Tiere."
Die mittelalterlichen Holzschnitzereien im Laden waren der ganze Stolz von Husemeyer. Bernd hat ihn noch kennen gelernt, kurz vor seinem Tod. War ein richtiger Poahlbürger, wie sie in Westfalen sagen: Ein Alteingesessener.
"Der Senior, Herr Heinz Husemeyer, der das ja auch alles initiiert und miterlebt hat, der hat mir dann natürlich auch viel erzählt. War auch immer sehr stolz auf dieses Gebäude und auf den historischen Werdegang."
"Ja?! Also für mich die Familie Husemeyer - ja, wie soll ich’s jetzt sagen, um nicht beleidigend zu wirken? Das war eine Familie, die sich schon eingemischt hat."
16 Jahre lang war Klaus Wehmeyer Stadtbaurat von Soest. 16 Jahre, in denen ihn die Husemeyers ein ums andere Mal um den Schlaf brachten.
"Sicherlich auch aus ihrer eigenen Familiengeschichte heraus. Ich will das gar nicht werten. Aber: Es war schon manchmal etwas befremdend, sich dann mit diesen oder ähnlichen Leuten auseinander zu setzen."
Wehmeyer stöhnt leise in seinem Reihenhaus, das von gutem Geschmack und vielen Reisen kündet. Ja, ja, die Husemeyers und ihr Hakenkreuz-Haus. Hat ihn schwer beschäftigt, damals. Denn natürlich musste er als zuständiger Stadtbaurat in der Angelegenheit Position beziehen. Kann die Stadt einen Haus-Eigentümer dazu verdonnern, ein goldenes Hakenkreuz zu übermalen?

Widerstand gegen goldenes Hakenkreuz

Wochenlang, erinnert er sich, habe er recherchiert, unter anderem in Düsseldorf, beim zuständigen Ministerium für Städtebau. Sein Fazit: nein, die Stadt darf das nicht. Bei den Grünen und etlichen Mitgliedern des Stadtentwicklungsausschusses kam das nicht gut an. Bei Husemeyer umso mehr. Der Metzgermeister drehte jetzt erst richtig auf. Verschickte Leserbriefe, stand bei Wehmeyer auf der Matte, ließ seine Kontakte spielen:
"Es ging damals auch um Pflasterung. Das ist ihnen vielleicht beim Durchgang aufgefallen. Die Pflaster unter den Arkaden - von dem Gebäude Husemeyer - durften dann nicht so sein, wie wir das eigentlich nach dem Konzept machen. Das musste also plainiert sein, ebener sein. Da warn wir zweiter Sieger. Wenn man ein politisches Amt - und das ist es ja als Stadtbaurat – bekleidet, dann steht man zwischen Politik, Bürgern, Interessenten. Entweder verbiegt man dann sein Kreuz oder man geht geradeaus weiter."
Wehmeyer ist geradeaus gegangen – bis ihn die Kommune nach zwei Legislaturperioden vor die Tür setzte. Zwar war er danach noch länger Geschäftsführer einer Stiftung, doch sein unfreiwilliger Abgang wurmt ihn heute noch, dass die Stadt den Posten des Baurats einfach einsparte.
"Es gibt auch Bauten, gegen die ich gekämpft habe, aber politisch verloren habe. Nämlich eine Betonschale dahinter und dann Fachwerk davor gesetzt. Das ist das alte Hemmer-Haus. Das hat mich, glaube ich, 16 Jahre lang begleitet. Wir haben damals von der Verwaltung andere Entwürfe vorgestellt, wie wir neben dem "Wilden Mann", wirklich einem guten Fachwerk mit hervorragender Qualität, kein schlechtes Bild, kein nachgebautes Bild, haben wollten, sondern hätten gern was dagegen gesetzt, was der heutigen Zeit, der heutigen Architektur, entspricht. Und das andere wirklich noch mehr herauszuheben. Das alte Fachwerk. Aber Politik und Eigentümer wollten es damals anders."
Wehmeyer schaut aus dem Fenster. In seinem kleinen Garten blühen die ersten Sträucher und Blumen. Dahinter fängt die Soester Börde an mit ihren endlosen Wiesen und Feldern. Ende sechzig ist er jetzt, die Kinder sind längst aus dem Haus. Seine Tochter ist gerade zusammen mit ihrem Mann nach Sydney gezogen. Wehmeyers Augen leuchten. Tolles Land: Australien. Genau wie Norwegen. Da fliegen er und seine Frau regelmäßig hin. Da gibt es Platz und Weite. Aber er wolle nicht klagen, meint er lapidar. Schließlich habe er es mit seinem Reihenhäuschen auch nicht schlecht getroffen. Es ist zwar neueren Datums, aber trotzdem laut einer Plakette vor der Haustür ein Denkmal. Soests Ex-Stadtbaurat lacht. Die Plakette haben ihm Kollegen zum Abschied geschenkt.
"Ich beobachte manchmal vom Fenster aus, dass Spaziergänger draußen plötzlich ganz mit dem Kopf zurückgezogen davor stehen und sich wundern. Das angucken. Was soll denn hier für ein Denkmal sein? Und gehen dann manchmal kopfschüttelnd weiter. Das ist sehr schön, dass man plötzlich durch so eine Aktion eigentlich eine Reaktion hervorbringt, dass die Leute mal überlegen: hm, Denkmal?! Was soll ein Denkmal sein?"
"Ja, Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich da einen Zettel reingelegt. Nein! Das is hier nicht drin. Ist ja Quatsch. Das müsste ich Ihnen jetzt raussuchen."
Ein neuer Tag, eine andere Ecke von Soest. Und auch hier: jemand, der sich bestens auskennt mit der Geschichte Soests; der braunen.
"Da isses doch! Da isses doch. Das ist das Gebäude. So sah das aus."
Das hier ist es?
"Ja, genau. Das ist es."
Die 1940 angebrachte Gedenktafel erinnert an die Zerstörung von Haus Kuhfuß in Soest.
Die 1940 angebrachte Gedenktafel erinnert an die Zerstörung von Haus Kuhfuß in Soest. © Foto: Marcus Weidner

Soest in der Zeit des Nationalsozialismus

Jetzt hat Stadtarchivar Norbert Wex doch noch die richtige Seite gefunden im dicken Wälzer über Soest während des Nationalsozialismus. Vorsichtig streicht er über das Schwarz-Weiß-Foto des "Haus Kuhfuß".
"Das ist schon ein Bild-Programm: wenn man das während des Dritten Reichs schafft, kann man nicht sagen, ich mach hier germanische Schnitzwerke. Es war eine Auftragsarbeit. Das muss man auch sagen. Er hat das jetzt nicht aus eigenem schöpferischen Drang so gemacht."
Der Soester Bildhauer Fritz Viegener.
"Aber einen Auftrag kann man auch annehmen oder ablehnen."
Seit 2001 ist Wex, ein lässiger Typ in Jeans, Archivar der Hansestadt:
"Nein, nein, ich bin kein gebürtiger Soester."
Sondern Münsteraner.
"Dann spielt’s eben eine Rolle: Jetzt kommt der Neue. Sind ja auch viele Experten vor Ort, die sich alle unheimlich gut auskennen. Und jetzt kommt von außen einer."
Mit der Zeit hat sich Wex Respekt verschafft - als kompetenter und leidenschaftlicher Historiker.
"Eigentlich so richtig gepackt hat es mich - meine komplette Familie kommt aus Hagen-Böhle und traf sich, wenn dann die Münsteraner kamen, in einem, man muss schon sagen, kleinem Zimmer. Da waren dann 25 Leute versammelt und tranken Kaffee und erzählten von früher. Die Kinder, wir Kinder, saßen da irgendwie staunend dabei. Ich bin Jahrgang 1960. Als ich geboren wurde, war der Zweite Weltkrieg grad‘ 15 Jahre her. Das war nicht Steinzeit, sondern ganz frische Erinnerung. Das waren erlebte Dinge. Der eine war in russischer Kriegsgefangenschaft. Der andere ist bombardiert worden. Einer ausgebrannt. Und es wurde erinnernd da so eine Art familiäre Selbstvergewisserung betrieben. Und man saß da staunend bei."
Das "Tausendjährige Reich" hat Wex sein halbes Leben beschäftigt. Soest, doziert er, sei zwar keine Nazi-Hochburg gewesen wie Nürnberg oder Braunschweig, aber auch kein Widerstandsnest. Im Gegenteil.

Weder Nazi-Hochburg noch Ort des Widerstands

"Es gab hier ein großes Durchgangslager für Zwangsarbeiter. Das hing mit dem Bahnhof zusammen. Eine Verschiebe-Geschichte. Deshalb haben aber, als die Zwangsarbeiter-Entschädigungen vor vielleicht zwanzig Jahren, als diese Fragen des Zwangsarbeiter-Entschädigungen kamen, konnten sich viele an Soest erinnern, weil sie die erste Station in Deutschland war. Es war leider, dass man wirklich nicht sagen kann, dass es irgendwie besser war als andernorts. Hitler war Ehrenbürger. Man muss schon sagen: Es gab schon ein Mitmachen, ganz klar."
Wex hat den dicken Wälzer über die Nazi-Geschichte Soests zur Seite gelegt. Es ist kurz nach sechs, vom Innenhof fallen die letzten Lichtstrahlen ins Stadtarchiv. Filmscouts - auf der Suche nach einer mittelalterlichen Bibliothek für einen Historienstreifen à la Harry Potter hätten ihre helle Freude am Patriziergebäude. Die Holztreppe knarzt, was das Zeug hält, an den Wänden: Ölportraits von Wex‘ Vor-, Vor-Vorgängern. Einige der Schriften in den Regalen stammen noch aus dem Mittelalter. Viel mehr Patina geht nicht. Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges gehörte die Villa der Familie Meyer.
"Der überregional namhafteste des Namens Meyer, der aus dieser Familie stammt, ist Alfred Meyer. Der als Gauleiter in Westfalen und Oberpräsident in Münster eine furchtbare Rolle gespielt hat bei der Wannseekonferenz, bei der bekanntlich auch die Endlösung beschlossen wurde. Und da war eben Alfred Meyer dabei. Das ist natürlich auch eine Belastung insofern, dass das Haus hier dann auch mit dem Auftrag versehen ist, solche Dinge im Gedächtnis zu halten."
Diesen Anspruch hatte schon Wex’ Vorgänger. Gerd Köhn war bis zu seinem Tod in Soest bekannt wie ein bunter Hund. Wex schmunzelt. Ein komischer Kauz, dieser Köhn. Nahm kein Blatt vorm Mund. Insbesondere, wenn es um die Zeit zwischen 1933 und 1945 ging. Das "Haus Kuhfuß" etwa – die Nazi-Ornamente im Fachwerk: Für Köhn ein Beweis dafür, dass sowohl Husemeyers, die Besitzer, als auch der ausführende Bildhauer, Fritz Viegener, wenn nicht lupenreine Nazis waren, dann doch Nazi-Sympathisanten.

Ein Nazi-Künstler oder "nur" Mitläufer?

"Bei Fritz Viegener ist in den letzten Jahren zwischen zwei Personen: nämlich meinem - inzwischen verstorbenen - Vorgänger Gerd Köhn und einem Viegener-Enthusiasten eine Debatte entstanden, deren rationaler Kern fast nicht mehr zu greifen ist."
"Da schneiden Sie ein ganz delikates, ganz brisantes Thema an."
... tönt es vom anderen Ende der Stadt.
"Ich kämpfe hier auf einsamer Front."
Gerd Köhn mag zwar tot sein, doch Josef Kleine, seines Zeichens pensionierter Religionslehrer und selbsternannter Viegener-Experte, lässt am verstorbenen Stadtarchivar immer noch kein gutes Haar.
"Er hat, um das moderne deutsche Wort zu nehmen, Fake-news verbreitet. Oder eben: alternative Fakten."
Mit seinen Schriften und Büchern über Viegeners Schaffen während der Nazi-Zeit. Kleine hat andere Quellen.
"Die sind hier unten drin. Ich finde das schnell. Schnell ist gut."
Die Sache mit Viegener lässt dem 77-Jährigen keine Ruhe.
"Augenblick! Da ist er schon."

Viegeners' Verteidiger ist von seiner Unschuld überzeugt

Der Stammbaum von Viegeners erster Frau, der laut Kleine beweist, dass der Bildhauer alles war, nur kein Nazi.
"Er war auch kein Mitläufer. Er hat 1934 den Stammbaum seiner Frau gefälscht. Er hat den Stammbaum gefälscht, handschriftlich gefälscht, und hat ihn hier in Soest der Kreisstelle vorgelegt, dem Kreisleiter der damaligen Zeit. Und der Kreisleiter hat damals so sinngemäß geschrieben, er hoffe, dass damit die Angelegenheit aus der Welt sei, dass eben Viegeners Frau ne Jüdin war. Wie er das geschafft hat, weiß ich nicht. Wenn er damit aufgeflogen wäre, dann wäre das für ihn das Todesurteil gewesen. Für seine Frau natürlich auch."
Kleine wedelt mit einem vergilbten Brief. Ein weiterer Beweis für Viegeners Unschuld:
"Dann hier ist das von dem Kreisleiter. Eine Bescheinigung: dem Bildhauer und Malermeister Fritz Viegener in Soest wird bescheinigt, dass das verbreitete Gerücht, seine Frau sei eine Jüdin, unwahr ist. Nach dem von Herrn Viegener beigebrachten und nachgeprüften Unterlagen ist seine Frau arischer Abstammung."
Kleine schüttelt den Kopf, wenn das kein Beweis ist. Seit er Rentner ist, hat er Zeit, viel Zeit. Kaum ein Tag, an dem er nicht versucht, die Ehre seines Seelenverwandten zu retten.
"Ich hab auch einen guten Draht zu ihm da oben hin."
Wenn Kleine nicht gerade Kontakt zum verstorbenen Bildhauer im Jenseits aufnimmt, durchforstet er dessen Nachlass, den er von Viegeners Neffen erhalten hat.
"Der Fritz Viegener hat die Zeitungsausschnitte über seine Werke und Arbeiten akribisch gesammelt. Die hab ich auch alle. Fein säuberlich von ihm zusammengeklebt. Ich hab mal nachgezählt: Das sind so etwa 250 Zeitungsausschnitte, die ich habe. Die ganze Zeit, bis dieser ominöse Herr Köhn auftrat, gab es nur positive Kritiken über ihn."
Kleine schaut im Wohnzimmer zu Marlis rüber, seiner Frau. Auch sie eine Viegener-Expertin durch und durch.
"Vor allen Dingen bei den ganzen Recherchen. Dann sind wir fast dreiviertel Jahr, glaube ich, durch die Lande gefahren. Hagen, Breckerfeld, Witten. Und jedes Mal, wenn wir bei einer Kirche, wo er sehr viel gearbeitet hat, waren, dann haben wir vorher das Pfarrbüro angerufen oder den Pfarrer. Und dann wurden die Arbeiten erst Mal aus dem Keller geholt. Vorzeigefähig gemacht."

"Haus Kuhfuß" – (k) ein Meisterwerk?

Ordnung muss sein – bei Kleines. Gedankenversunken blättert der Herr des Hauses in seinen Unterlagen. Natürlich kennt er das "Haus Kuhfuß". Er schaut da häufiger vorbei, um sich daran zu erfreuen. An Viegeners Meisterwerk. Wo andere Nazi-Symbole und Winston Churchill als diabolische Fratze sehen, sieht er rosarot.
"Da gibt’s überhaupt keine Ähnlichkeiten. Da muss man schon eine überreife Phantasie haben, um da den Churchill drin zu erkennen. Das ist nun wirklich gar nicht der Fall."
Ähnlich wie Viegener sammelt Kleine alle Zeitungsausschnitte über sich. Die zwei anonymen Briefe auch. Wüste Beschimpfungen, wirklich übel, Unterstellen ihm, Nazi-Sympathisant zu sein, nur weil er Mitte der 2000er meinte, wenn es nach ihm ginge, könne das Hakenkreuz an Husemeyers Haus golden bleiben.
"Warum sollte man die Geschichte, die Tatsachen, verschweigen."
"Da ist irgendwo für unsere heutige Zeit - da geht es einfach zu weit. Wenn man sagt: das stellt ich dann so dar."
Gibt Anne Richter Kontra.
"Nicht vertuschen, nicht schwarzmalen, aber es so leuchtend darzustellen – das ist eigentlich nicht unsere Vorstellung, wie wir mit Vergangenheit umgehen."
Wir – das sind in diesem Fall die Soester Grünen. Seit Ende der 1990er sitzt die gebürtige Rheinländerin für die Öko-Partei im Stadtrat, seit 2014 als Fraktionsvorsitzende. Richter kann sich noch gut an die Diskussion damals erinnern, die hitzigen Debatten im Stadt-Entwicklungsausschuss, die Bedenken der anderen Parteien.
"Es war schon sehr der Tenor, dass man sagte: Nicht zu viel dazu äußern. Das Thema nicht zu breit treten. Dann ist es zu stark in der Öffentlichkeit. Man hat ja auch immer wieder Sorge, wenn man ein Thema stark thematisiert, dass dieses Thema Raum einnimmt. Es zeigt schon auch eine gewisse Berührungsangst, die da war."
Natürlich hatte auch Richter Sorge, dass sich durch die Diskussion über die Nazi-Schnitzereien, die ganzen Zeitungsartikel, die falschen Leute angesprochen fühlen könnten. Irgendwelche Neo-Nazis und Ewig-Gestrige. Doch glücklicherweise blieb es vor dem "Haus Kuhfuß" ruhig. Keine Nazi-Aufmärsche, keine dumpfen Horden, nichts. Würde auch nicht zu einer bürgerlichen Stadt wie Soest passen. Sinniert Richter in ihrem Büro am Rande des Bahnhofs. Dass ihr Lernstudio für Nachhilfe und Begabtenförderung ausgerechnet hier ist, ist kein Zufall. Viele ihrer Nachhilfeschüler kommen von außerhalb, aus den Dörfern und Kleinstädten rund um Soest.
"Es gibt viele Schüler, die begabt sind. Die aber an einem Punkt ankommen, wo sie selber nicht besser werden können. Weil irgendetwas sie hindert. Sie geben sich Mühe und schaffen es nicht. Und da brauchen sie eine Hilfestellung, wie sie das angehen können. Da muss man aber genau gucken: wie arbeiten sie? Wie lernen sie? Oder: Wo haben sie wirklich etwas nicht gelernt, was man mit ihnen nacharbeiten muss."
Ein paar Sachen nacharbeiten muss auch Kira Fischer. Die 20jährige ist angehende Augenoptikerin und hat morgen wieder Berufsschule.
"Wir sind in einer multikulturellen WG gerade. Hier in Soest in der Innenstadt."

Multikulti in Soest

Das "Haus Kuhfuß": es hat nicht nur ein braune Geschichte, sondern oben in der dritten Etage unterm Dach auch ein "Rendezvous mit der Globalisierung".
"Hier wohnt ein Mexikaner. Hier war schon ein Chinese, Russe, Polen. Alles halt gemischt."
In Kiras WG:
"Das ist so mehr eine Zweck-WG. Also, es ist eigentlich nicht, dass wir alle zusammensitzen. Ich hab meine zwei Jungs hier – also die Polen - mit denen sitz ich halt zusammen."
Die anderen machen ihr eigenes Ding. Kira findet das manchmal schade, aber zumindest hat sie ja ihre Jungs. 25 Quadratmeter groß ist ihr Zimmer, die Miete ok, 300 Euro warm. Dass sie in einem ziemlich speziellen Haus wohnt: Davon hat sie keinen Plan. Sie schaut entgeistert. Was soll da sein? Nazi-Schnitzereien unterhalb des Küchenfensters.
"Davon hab‘ ich noch nichts gehört. Ich kann mich dazu nicht so äußern, weil ich setz‘ mich damit nicht so auseinander. Ich weiß nicht. Ich lass‘ die Vergangenheit so Vergangenheit sein. Ich find das schön – das Haus. Für mich, jetzt, hier, in diesem Moment."
Es ist Nachmittag geworden, kurz vor drei Uhr. Christa und Helmut Schinkel, das niederländisch-deutsche Stadtführergespann, schauen ein letztes Mal zum "Haus Kuhfuß" hoch, ehe sie quer über den Marktplatz gehen. Kaum zu glauben, dass die fast original restaurierte Soester Altstadt zu Kriegsende zu zwei Drittel zerstört war. Die beiden reden häufiger über den Zweiten Weltkrieg. Auf ihren Stadttouren, aber auch privat. Wie das war – damals für ihre Väter.
"Mein Vater hat ihn überstanden. Er war während des Krieges die meiste Zeit in Belgien. An einer Flakstellung gegen Bomber aus dem Westen. Zwei seiner Brüder sind im Krieg geblieben. Irgendwo: Stalingrad oder in Jugoslawien. Es wurde nicht viel darüber erzählt."
Bei Christa Schinkels Vater war das anders:
"Der ist als Zwangsarbeiter in Deutschland eingesetzt gewesen. Die deutschen Männer waren ja im Krieg, da musste gearbeitet werden. Und der hat natürlich sehr viel erzählt, hat auch Tagebuch geschrieben über diese Zeit. Musste in einer Ziegelei arbeiten. Hat es relativ gut gehabt. Das kann man nicht vergleichen mit dem Schicksal der anderen Zwangsarbeiter, die es wirklich katastrophal gehabt haben. Er hat eigentlich mit viel Humor über diese Zeit erzählt. Er hat nichts Schlimmes erlebt im Prinzip."
Die Geschichte: in Soests Altstadt verfolgt sie einen auf Schritt und Tritt. Helmut Schinkel bleibt vor der historischen Stadtmühle stehen. Heute ist hier die Touristeninformation untergebracht.
"1938 erweitert. Sie sehen die beiden Ladenluken da übereinander? Über den oberen Ladenluken ist ein grüner Punkt. Da waren die SS-Runen drin. Und über der unteren Ladenluke ist ein X. Das war ein rundgeschnitztes Hakenkreuz."
Heute ist davon nichts mehr zu sehen. Am "Haus Kuhfuß" schon. Und das ist auch gut so, findet Christa Schinkel.
"Das ist Baugeschichte. Das gehört schlicht und ergreifend dazu."
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