"Das Glück der großen Dinge"

Von Hans-Ulrich Pönack · 10.07.2013
Wie erlebt ein Kind den Sorgerechtstreit ? "Das Glück der großen Dinge" erzählt die Geschichte der kleinen Maisie, und wie sie mit den Streitereien und dem Herumgeschubstwerden umgeht. Hauptattraktion: eine grandiose sechsjährige Hauptdarstellerin.
Wir haben es hier mit einem großen kleinen Meisterwerk von Außenseiterfilm zu tun, der unbedingt der angemessenen umfangreichen (Weiter-)Empfehlung bedarf. Er ist einer jener wunderbaren "Sleeper"-Movies, die hin und wieder und erst einmal nichtssagend im wöchentlichen Kinostart-Massenangebot völlig unbekannt auftauchen und bei denen man nach dem Anschauen die filmische Perle aus der Kino-Muschel begeistert erkennt.

Auch die Produzentin muss erwähnt werden: Daniela Taplin Lundberg. Denn sie hat schon mit dem Film "The Kids Are All Right" von Regisseurin Lisa Cholodenko 2010 ein kleines Meisterwerk (mit Julianne Moore und Annette Bening) zum Leben erweckt, das mit vier "Oscar"-Nominierungen Außenseiterfurore machte. Mit diesem Schmuckstück hier hat sie ein weiteres Glanzstück für die Leinwand produziert, basierend auf einem Roman "What Maisie Knew" (deutscher Romantitel: "Maisie") des amerikanischen Schriftstellers Henry James aus dem Jahr 1897. Diesen Roman hat das Drehbuch-Autoren-Team in die Jetzt-Zeit transportiert. Im Mittelpunkt (und darstellerisch sicherlich mit das Schwerste, was es im Film glaubhaft darzustellen gilt): die 6-jährige Maisie, ein Trennungskind.

Die Mutter ist eine Rock-Ikone - Susanna (Julianne Moore) -, der Vater ein herb-charmanter Kunsthändler: Beale (Steve Coogan). Die beiden leben großzügig in einem New Yorker Appartement und streiten sich oft. Ganz klar, diese Beziehung der Egomanen ist kaputt. Das Ehepaar steht vor der Scheidung. Einziges "Problem" ist ihre sechsjährige Tochter Maisie (unglaublich einnehmend: Onata Aprile). Beide Partner lieben sie und wollen sie auf keinen Fall aufgeben. Aber auch das Berufsleben wollen sie konsequent weiter und zeitintensiv durchziehen. Wie aber alles und vor allem die eigene Tochter da auch noch unterbringen? Das klappt natürlich nicht. Dabei stört Maisie keineswegs. Sie erkennt die Dinge in ihrem Umfeld und nimmt sie altersgemäß eher ruhig und erstaunlich gelassen als gegeben hin. Sie glaubt an und hofft auf die vielen Versprechungen und Zuneigungsbeteuerungen. Freut sich, wenn man ihr überhaupt Aufmerksamkeit schenkt, auch mit den neuen Ehepartnern ihrer Eltern. Die widmen sich Maise etwas näher.

Maisies Blicke wird man nie vergessen. Obwohl gerade einmal süße sechs Jahre jung, zeigt sich "Maisie" Onata Aprile als grandioser, faszinierender Star des Films. Die vielfach geehrte, mit bislang vier "Oscar"- und sieben "Golden Globe"-Nominierungen bedachte Julianne Moore hat als gealterte Rock-Lady großartig zerfahrene Psycho-Momente. Zwischen Wut, Verzweiflung und übergroßem Ego. Ihr britischer Kollege Steve Coogan gibt den desorientierten Papa, dem Geldverdienen halt doch mehr bedeutet. Alexander Skarsgard, Sohn des schwedischen Stars Stellan Skarsgard und fünfmaliger "Sexiest Man" in Schweden, ist endlich einmal ein normaler Lover (der Mama) mit viel Barkeeper-Charme.

Maisie wächst ihm nach und nach ans Herz. Die Britin Joanna Vanderham mimt die ständige Maisie-Begleiterin (erst als Kindermädchen, dann als Neu-Ehefrau des Vaters) in ihrem Spielfilmdebüt mit angenehmer Unaufgeregtheit – vielleicht weil sie gegen die Kleine sowieso keine Chance hätte. Wie die ihren Part als dezent-grausam Herumgeschubste körperinnig ausdrückt, ist einfach herzerwärmend. Onata Aprile fängt einen sekündlich ein und lässt einen emotional nicht mehr los. "Das Glück der großen Dinge" ist ein Meisterwerk über das gemeine Erwachsenenleben aus der Sicht eines unverdorbenen sechsjährigen Kindes, dessen Sichtweise bei Henry James so erklärt wird: "Maisies Unschuld ist mit Wissen gesättigt".

USA 2012; Regie: David Siegel und Scott McGehee; Darsteller: Onata Aprile, Julianne Moore, Steve Coogan, 99 Minuten; freigegeben ab 12 Jahren

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