Das Gehirn schläft nie

21.10.2007
Gut ein Drittel seines Lebens schläft der Mensch. Nicht wenig, aber dennoch keine verlorene Zeit, denn wir träumen. Doch weshalb tauchen wir Nacht für Nacht in eine andere Welt ein? - Dieser Frage ist Michael Schredl in seinem Buch "Träume. Die Wissenschaft enträtselt unser nächtliches Kopfkino" nachgegangen.
3000 Stunden im Jahr schläft und träumt der Mensch. Äußerlich wirkt man dabei ruhig und entspannt. Innerlich aber sorgen Träume für einen wilden Erregungszustand: Man kann fliegen, rennen wie der Wind, man wird von Monstern verfolgt oder man ist in der Lage, Dinge zu sagen, die im Wachzustand so nie über die Lippen kämen. Träume haben daher schon immer eine große Faszination auf Gelehrte und Wissenschaftler wie den Mannheimer Psychologen Michael Schredl ausgeübt. Immer wieder versuchen sie, hinter das Geheimnis des Träumens zu kommen, zu verstehen wozu Träume überhaupt da sind. Das gelang mal besser, mal schlechter, wie Michael Schredl in seinem gekonnt geschriebenen Buch "Träume. Die Wissenschaft enträtselt unser nächtliches Kopfkino" erzählt.

In zwölf Kapitel unterteilt erfährt der Leser, was im Körper passiert, wenn man schläft und träumt. Es wird erklärt, wie man versucht der Träume habhaft zu werden, mit Fragebogen, Tagebüchern, Weckversuchen im Schlaflabor etwa. Und der Leser erfährt, was man aus Träumen fürs Wachleben lernen kann. Das liest sich spannend. Wobei Michael Schredl schnell klar macht, in vielen Bereichen tappen die Forscher noch im Dunklen.

Zwar wissen die Forscher schon viel über die verschiedenen Schlafphasen, sie wissen dank neuster Bildgebender Verfahren, was im Körper passiert, etwa welche Hirnregionen besonders aktiv sind, aber wozu es Träume gibt, das ist bis heute nicht geklärt. Und so halten sich nach wie vor verschiedenste Deutungsmuster am Leben, von wissenschaftlich seriösen bis hin zur esoterisch angehauchten Traumsymbolik. Auch die von Sigmund Freud 1899 ins Leben gerufene These, dass Träume verdrängte Wunschvorstellungen widerspiegeln, erfreut sich heute immer noch großer Beliebtheit.

Dabei hatte mit der Entdeckung des REM-Schlafes 1951 eine neue Ära in der Schlaf- und Traumforschung begonnen, die wie es anfangs schien, den Traum endlich zu etwas wissenschaftlich Greifbarem zu machen. Mit REM-Schlaf ("Rapid Eye Movement") ist die Schlafphase gemeint, in der sich unter den geschlossenen Lidern die Augen des Schlafenden schnell hin und her bewegen und in der auch die Hirnstromkurven des EEG extreme Aktivitäten aufzeigen. Mit dieser damals sensationellen Entdeckung glaubten die Forscher, den Zeitpunkt gefunden zu haben, an dem Träume stattfinden. Freuds These wurde fortan belächelt, und nicht wenige Forscher reduzierten das Traumgeschehen auf ein biochemisches Gewitter im Stammhirn. Das klang zunächst plausible, bis neuere und genauere Messungen bewiesen, auch hier lagen die Forscher falsch. Denn auch in anderen Schlafphasen, während des sogenannten NREM ("Non Rapid Eye Movement), träumt der Mensch. Heute geht man daher davon aus: geträumt wird immer, denn unser Gehirn und unser Bewusstsein stehen nie still.

Es sind Geschichten wie diese, Geschichten über das Entdecken und Scheitern in einer seriösen Wissenschaft, die den Charme von Michael Schredls akribisch recherchiertem Buch ausmachen. Traumforschung, das wird schnell klar, kommt mit unter zu recht amüsanten Ergebnissen. So testen kalifonische Traumforscher, welchen Einfluss äußere Reize auf das Traumgeschehen haben. Sie hielten ihren schlafenden Versuchspersonen frisch aufgeschnittene Zitronen unter die Nasen und weckten die Träumenden kurz darauf. Und tatsächlich: die meisten von ihnen hatten von Zitronen geträumt. Seither gilt es als wissenschaftlich gesichert, dass äußere Reize direkt in Träume aufgenommen werden. Zumindest wenn es um Gerüche geht, anders sieht es nämlich aus, wenn man Schlafenden Schmerzen zufügt. Die werden seltener in den Traum integriert. So einfach funktioniert Wissenschaft eben doch nicht.

Auch was Michael Schredl über die Forschung zu Trauminhalten berichtet, dürfte viele Leser überraschen. Denn wer ahnt schon, dass die meisten Frauen von Kleidung und Haushaltwaren träumen. Während Männer am häufigsten von anderen Männern träumen.

Trauminhalten, so Schredl, spiegeln eben die Realität wieder, also das was wir im Wachen erleben und was uns wichtig ist. Dabei zeigte sich, dass vor allem Emotionen wie etwa Stress einen entscheidenden Einfluss auf Träume nehmen. Für die Schlafforschung ist aber genau das ein großes Problem: Versuchspersonen, die im Schlaflabor von ihren Träumen erzählen sollen, träumen häufig vom Versuchsleiter, von den Elektroden an ihrem Körper und den sie umgebenden Messinstrumenten. Auch dann wenn man versuchte, ihre Wahrnehmung durch Farbbrillen oder erotische Filme zu beeinflussen.

Auf eine sympathische und unprätentiöse Art macht Michael Schredl immer wieder deutlich, wie schwierig die Arbeit mit Träumen ist. Denn Träume, so der Psychologe, werden letztlich aus der Erinnerung erzählt. Trotzdem lohnt es sich, sich mit ihnen zu beschäftigen. Auch davon erzählt dieses Traumbuch. Denn schließlich geht es in der Traumforschung in erster Linie darum, Informationen zu sammeln, die in unserem Gedächtnis schlummern, um sie abschließend möglichst positiv für unser Wachleben zu nutzen. Was also im Traum glücklich und zufrieden macht, sollte dann auch im Wachen funktionieren.

Rezensiert von Kim Kindermann

Michael Schredl: Träume. Die Wissenschaft enträtselt unser nächtliches Kopfkino
Unter der Mitarbeit von Georg Rüschemeyer
Ullstein Verlag, Berlin 2007
287 Seiten, 19,90 Euro