Das Fest, das keiner will

11.06.2013
Die Romane der norwegischen Literaturkritikerin Linn Ullmann handeln von innerfamiliären Problemen, Geheimnissen, Offenbarungen und Lügen. In "Das Verschwiegene" löst die Anwesenheit, vor allem aber das Verschwinden eines Kindermädchens bei allen ein seelisches Drama aus.
Jenny Brodal wird 75 Jahre alt, es ist der Juli 2008. Die ehemalige Buchhändlerin lebt in ihrem weißen Haus in einem kleinen Küstenstädtchen südlich von Oslo. Ihre Tochter Siri bereitet eine krachende Party mit Spanferkel und Champagner, Musik und Tanz vor. Das Problem ist nur, dass ihre Mutter das Fest gar nicht will. Lieber würde sie mit ihrer Enkelin Alma einen besinnlichen Spaziergang machen.

Siris Mann Jon ist Schriftsteller und steckt in einer Schreibblockade. Er schafft es beim besten (wirklich besten?) Willen nicht, das dritte Buch einer Trilogie fertigzustellen. Ständig schweifen seine Gedanken ab. Die Schulden wachsen ihnen über den Kopf. Mit Karoline, der Frau eines befreundeten Ehepaars, hat er ein oberflächliches Verhältnis. Und jetzt steht er, statt zu schreiben, am Fenster des weißen Hauses seiner Schwiegermutter und beobachtet Mille, das Kindermädchen, das sie für den Sommer engagiert haben.

Diese Mille ist die vielleicht interessanteste Figur des Romans. Sie, die Fremde, macht Siri und Jon deutlich, wie weit sie sich schon voneinander entfernt haben. Außerdem hat Mille sich entschlossen, "in diesen Sommer eine andere zu werden". Sie will erwachsen werden. Sie spürt, dass Jon sich für sie interessiert, aber wie weit das geht, ist eine andere Frage. Er berührt ihre Wange, leiht ihr eine CD mit bedeutungsvollen Dylan-Songs, mehr nicht. Dann verschwindet Mille am Abend der Geburtstagsfeier, die außer Siri keiner will. Ihre Anwesenheit und ihr Verschwinden lösen dramatische Gefühle aus.

Pessimismus als Leitmotiv
"Doch etwas stimmte nicht", das ist das Leitmotiv des Romans. Linn Ullmann versteht es, geheimnisvolle Spuren zu legen, Spannungselemente zu erfinden, ungeahnte Verbindungen herzustellen, die manchmal etwas herbeigeholt wirken und übrigens oft an die vielgelesenen skandinavischen Krimis erinnern, besonders übrigens die ihrer Landsfrau Karin Fossum. Zur schwarzen Perspektive Linn Ullmanns gehören (teils symbolische) Äußerlichkeiten: Die Feier ist verregnet und in Nebel eingehüllt, das Geburtstagskind Jenny fängt nach 20 Jahren wieder an zu trinken. Schwerwiegender aber: Hier ist wirklich in jeder Handlung, jeder Entscheidung das Scheitern vorgezeichnet. Linn Ullmann bezeichnet sich selbst nicht als pessimistische Person, "dann würde ich keine Bücher schreiben". Aber ihre Lebensanschauung – ganz wörtlich verstanden – ist pessimistisch.

Man darf vermuten, dass sie, die Tochter der berühmten Schauspielerin Liv Ullmann und des noch berühmteren Regisseurs Ingmar Bergman, viel von ihrer eigenen Familiengeschichte einfließen ließ; ihre Eltern hätten ein "ganz normales kompliziertes Verhältnis" gehabt, hat sie gesagt. Da Verschweigen und Ehrlichkeit ihr Thema ist: Wäre es nicht ehrlicher gewesen, eine Art autobiographischen Roman zu schreiben? So wie es ihr Vater mit den Büchern "Sonntagskinder" und "Einzelgespräche" getan hat.

Besprochen von Peter Urban-Halle

Linn Ullmann: Das Verschwiegene
Roman, aus dem Norwegischen von Ina Kronenberger
Luchterhand Verlag, München 2013
352 Seiten, 20 Euro
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