Das Fenster im Auge

Von Axel Rahmlow · 03.05.2013
Bis zu 40.000 Menschen in Deutschland leider unter einer Form der sogenannten Retinitis Pigmentosa, einer Erkrankung des Sehnervs. Doch in Baden-Württemberg arbeitet ein Forscher daran, den Betroffenen zu helfen.
Wenn er zuhört, fährt Shahram Bagheri mit den Fingern über seine Augenbrauen oder die leicht grauen Bartstoppeln. Die blecherne Stimme seines Computers liest dem blinden Iraner den Text auf dem Bildschirm vor.

Mit 13 kriegt Bagheri die Diagnose: Retinitis Pigmentosa, die lichtempfindlichen Zellen in der Netzhaut seiner Augen bauen ab.

"Es gab einen Schub und ich konnte die Tafel nicht mehr lesen und ein Jahr später konnte ich auch keine Schrift mehr lesen."

Hell und Dunkel - mehr ist ihm nicht geblieben. Trotzdem kommt Bagheri 2003 für seinen Doktor in Politik nach Deutschland. Die Sprache kann er damals kaum. Heute übersetzt er von seiner Wohnung aus deutsche Philosophen ins persische, für den iranischen Buchmarkt.

In Freiburg hat Bagheri auch seine deutsche Frau kennen gelernt. Beim Spaziergang mit ihr verlässt er sich auf einen rot-weißen Blindenstock. Und auf die Erinnerungen an eine kurze Zeit, in der er wieder etwas sehen konnte. Vor ein paar Jahren liest der Iraner über eine Studie der Universität Tübingen. Ein Mikrochip soll die kaputten Zellen ersetzen können. Shahram Bagheri lässt sich testen.

"Die Therapie ist speziell für diese Krankheit. Die restlichen Strukturen müssen intakt und vorhanden sein. Dass ist bei mir noch der Fall und der Sehnerv kann genug übertragen."

Der Iraner muss lachen, als er fast mit einer Mülltonne kollidiert. Beim Reden, sagt Bagheri, konzentriert er sich nicht so auf das Gehen. Er zeigt auf sein rechtes, leicht geöffnetes Auge: 2011 implantieren ihm die Ärzte dort den Chip, hinter die Netzhaut: Grün, drei mal drei Millimeter groß, wie ein einzelnes Konfetti. Dass es funktioniert, kann niemand garantieren.

Ein Chip nimmt Licht auf
"Ich saß mit dem ganzen Team und auch meiner Frau in einem Raum, dann wurde der Chip eingeschaltet. Und dann… ja… musste ich sehen können. Ich habe ein helles, kleines Quadrat vor meinem Auge gesehen. Und das war nichts anderes als eine Taschenlampe, die in mein Auge gehalten wurde. Das war schon ein schönes Gefühl."

Wie ein Fenster, das sich öffnet. Der Chip nimmt das Licht auf, es kommen wieder Signale beim Sehnerv an. Ein Kabel unter der Haut führt vom Auge zum Ohr, dahinter ist eine magnetische Spule implantiert, eine Art Akku.

"Zu den guten, besten Zeiten konnte ich meine Frau umrisshaft sehen und dass sie eine Brille trägt und eine weiße Bluse. Das war der Höhepunkt. Umrisshaft und in grober Auflösung natürlich. Es war ein brauchbares Sehen."

Das Fenster im Auge ist zu
Aber der Chip kriegt Aussetzer, der Kontakt mit dem Kabel ist nicht stabil. Nach gut einem Jahr wird alles entfernt. Narben sind kaum zu sehen. Doch Bagheri sieht wieder nur hell, dunkel und manchmal schwache Kontraste. Das Fenster im Auge ist zu.

"Enttäuschung war natürlich da. Auf der anderen Seite die Erinnerung daran. Ich weiß, was für ein Sehen möglich wird. Das ist verbunden mit viel Leid und Schmerz natürlich. Aber eine Hoffnung für die Zukunft."

130 Kilometer nördlich forscht Eberhard Zrenner in Tübingen seit 1995 an dem Chip, der diese Zukunft ermöglichen soll - lange gefördert vom Bund. Der Professor für Augenheilkunde trägt eine blaue Krawatte unter dem Arztkittel. In seinem Büro wirft ein Beamer Videos an die Wand: Patienten, auch Shahram Bagheri, erkennen bei einem Test Teller und Besteck.

"Das ist auch für unsere Motivation wichtig. Der Patient erzählt, dass er eine Sonnenblume gesehen hat. Man merkt, dass er jetzt im Restaurant alles viel leichter findet und nicht mit dem Finger im Kartoffelsalat landet."

Diese Tests finden in einem Nebenraum statt. Die Patienten sollen erkennen, ob ein Bild hell oder dunkel ist. Entweder sie liegen richtig oder falsch.

Klingt einfach. Aber Zrenner streckt die Arme aus. Mit den Fingern deutet er vor seinem Gesicht ein Din-A4-Blatt an. So groß ist der Ausschnitt - das Fenster ist nicht groß. Und die Bilder sind verpixelt.

"Die Netzhaut kann nicht so viel verarbeiten. Das Bild ist ja schwarz-weiß, es hat acht bis zehn Grautöne und es ist unscharf und flimmert. So wie auf einem altern Schwarz-Weiß-Fernseher, so muss man sich vorstellen, was die Patienten sehen."

Entwicklungskosten von bisher 35 Millionen Euro
36 Patienten aus aller Welt haben den Chip seit 2005 bekommen. Gefährliche Nebenwirkungen gab es nie, sagt Zrenner. Aber auch, dass es nicht immer funktioniert, etwa wenn die Netzhaut doch zu sehr geschädigt ist. Und er gibt zu, dass die Technik nicht immer lange durchhält, so wie bei Shahram Bagheri.

Damit der Chip zukunftsfähig wird, hat Zrenner schon vor zehn Jahren eine Firma gegründet. Diese sucht private Investoren und finanziert die Kosten für die Studie und die Entwicklung - bisher 35 Millionen Euro.

Unten im Keller stehen zwischen Kabeln und Mikroskopen auch zwei umfunktionierte Backöfen. Reinhard Rubow inspiziert die Roste, auf denen die Chips aufgereiht sind, verpackt und verkabelt. Der Test simuliert, wie sie auf die etwa 37 Grad Körperwärme reagieren.

"Es ist eben so, als würden Sie ihr Mobiltelefon... also sagen wir mal im Meerwasser betreiben wollen. Und das über eine längere Zeit, über Jahre hinweg."

Rubow und Zrenner hoffen, dass der Chip dieses Jahr für den Markt zugelassen wird. Dann, ist er sich sicher, werden die Krankenkassen auch Kosten übernehmen. Und so das Fenster für Patienten wie Shahram Bagheri öffnen, einen Spalt weit.
Mehr zum Thema