Das Endlos-Schnitzel

Von Udo Pollmer · 29.04.2012
Eine namhafte deutsche Forschungseinrichtung hat sich der Nöte der Vegetarier angenommen. Im Rahmen eines EU-weiten Projekts wurde ein neues Verfahren entwickelt, um aus Pflanzeneiweiß ein Endlos-Fleischband zu formen. Udo Pollmer berichtet.
Die Fraunhofer-Gesellschaft, eine der großen deutschen Forschungseinrichtungen, hat der Öffentlichkeit eine nahrhafte Erfindung präsentiert: Ein Vegetarierschnitzel. An sich sind Fleischimitate zwar nicht ungewöhnlich, aber meistenteils unbefriedigend. Diesmal, so heißt es, sei es gelungen, pflanzliches Eiweiß, namentlich von Soja, Lupinen oder Weizen - ich zitiere - in "ein etwa ein Zentimeter dickes Endlosfleisch, das sich nach Belieben formen lässt" zu verwursten. "Konsistenz und Biss sind bereits gut" versichern die Technologen, nur der Geschmack ließe noch zu wünschen übrig.

Auch das wäre so neu nicht, aber wenigstens gilt das Verfahren als innovativ. Nach der bisher üblichen Methode wird der Eiweißbrei gewöhnlich in einem Extruder erhitzt, verschert und verpresst, wie es auch bei der Herstellung von Kunststoff üblich ist. In diesem Falle wird das Eiweiß in besonderer Weise erhitzt, damit - ich zitiere wieder - "die Eiweißmoleküle Ketten bilden. So entsteht eine faserige Struktur, die der von Fleisch sehr ähnlich ist". Wie schön. Das Projekt ist bei den Verpackungstechnologen der Fraunhofer-Gesellschaft sicher gut aufgehoben, schließlich sind chemische Kettenreaktionen die Grundlage der Synthese von Kunstfasern, beispielsweise für Nylonstrümpfe.

Das faserige Endlosfleisch soll nicht nur Vegetariern munden, sondern auch Allergikern eine Alternative bieten. Das ist schon merkwürdig, denn Allergien gegen Schnitzel oder Steaks sind eher selten, dafür gibt es reichlich Allergiker auf Soja, Lupine und vor allem auf Weizen. Weizeneiweiß, auch Gluten genannt, verursacht Zöliakie, eine chronische Darmkrankheit. Die kontinuierlich wachsende Zahl an Patienten wird dadurch noch weiter steigen. Einfach deshalb, weil das Eiweiß nicht fermentativ abgebaut wird, wie es bei der traditionellen Nutzung des Getreides in der Bäckerei üblich ist.

In Kindergärten und Schulen tauchen schon jetzt immer mehr dubiose Fleischimitate auf der Basis von Gluten auf - einem Restprodukt der Stärke- und Bioäthanolindustrie -, als "gesunde" Alternative zu echtem Fleisch. Bisher war das Zeug vor allem Schweinefutter. Das machte den Borstentieren nichts, weil sie alsbald geschlachtet wurden. Da spielen Krankheiten, die im fortgeschrittenen Alter auftreten, keine Rolle mehr. Aber bei Kindern schon.

Schließlich bemüht die Fraunhofer-Gesellschaft auch ökologische Gründe: Man bräuchte fünf bis acht Kilo Getreide für ein Kilo Fleisch. Diese Aussage macht mich fassungslos. Warum fragen die keine Tierernährer? Da haben die Endlosfleischchemiker offenbar mal schnell gegoogelt. Würde ein Rind fünf Kilo Getreide in den Trog bekommen und wegmampfen, könnte es nur durch eine beherzte Not-OP gerettet werden. Rinder sind mit viel Getreide alsbald tot. Noch dazu ist es ein recht teures Futter, weshalb es auch Mäster gibt, die gar kein Getreide füttern.

Die Basis der Fütterung von Rindern ist cellulosehaltiges Raufutter, also für uns Menschen Unverdauliches wie Gras, Rübenschnitzel, Heu, Silage und so weiter. Der Anteil an Vollkorn liegt je nach Fütterung bei zehn Prozent und besteht primär aus Futtergerste. Die ist sonst für nix gut, da kann man nicht mal Bier draus brauen. Der Anteil an Getreide in der Ration - wohlgemerkt an Getreide aus dem sich gerade kein Brot backen lässt, liegt bei etwa zwei Kilo am Tag. Mit dieser Ration legt ein Bulle anderthalb Kilo zu.

Und wie viel Weizen braucht man fürs Vegetarierfleisch? Da Fleisch doppelt soviel Eiweiß liefert wie Futtergetreide braucht man für ein Kilo Imitat zwei Kilo Weizen. In der Ration eines Mastbullen bekommt man für die zwei Kilo aber deutlich mehr echtes Fleisch. Bei Hühnern und Schweinen ist die Futterverwertung aufgrund ihres anderen Verdauungstraktes weitaus besser als beim Rind.

Natürlich mag man einwenden, dieses Weizeneiweiß, das man fürs Endlos-Imitat verwendet, sei eh ein Restprodukt der Bioäthanol-Synthese; da ist es doch gut, wenn es noch gegessen wird. Bleibt die Frage, ob die Verwendung von Weizen zur Herstellung von Bioäthanol nicht noch unsinniger ist, als zum synthetisieren von Vegetarierschnitzeln? Mahlzeit!

Literatur:
Fraunhofer: Das Vegetarier-Schnitzel. Mediendienst 2012/3, Thema 1
Wild F et al: Evaluation of the texturing properties of protein isolates from lupin, pea and soya in gluten-free white bread. Poster at C&E Spring Meeting. Texture, Flavour and Taste, Freising-Weihenstephan, 11.-13.04.2011
Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft: Gruber Tabelle zur Fütterung in der Rindermast. Freising-Weihenstaphan 2011
Keckl G: Die globalisierte Kuh. Humboldt Forum, Berlin 2011
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