Das Duo Vil

Auf der Suche nach der Stille

Der Vulkan Grimsvötn in Island spuckt Asche in den Himmel
Inspirationsquelle des Duos Vil ist Island © dpa / picture alliance
Von Martin Risel · 28.03.2017
Wir leiden unter der permanenten Geräuschkulisse die uns umgibt: dem Dröhnen der Autos, dem Hämmern der Baustellen, dem lauten Fernseher der Nachbarn; der Hektik im Alltag. Das dänisch-isländische Duo Vil hingegen zelebriert die Ruhe und Stille.
Ein minimalistisches Klangbett, darüber in dänischer Sprache die fragile, leicht laszive Stimme von Maria Bay Bechmann. Die hat zwar eine isländische Oma, ist aber Dänin und lebt in Aarhus. Die Klanglandschaften unter ihrem Gesang möchte man klischeehaft sofort nach Island verorten, zu Bands wie Sigur Ros oder Mum. Was in diesem Fall nicht ganz falsch, aber auch nicht ganz richtig ist.
Die Musik von Vil stammt in erster Linie von Julius Rothlaender. Und der ist wiederum in Lübeck geboren, lebte lange in Berlin, bevor er vor zwei Jahren nach Island gezogen ist. An den Rand der Hauptstadt Reykjavík, 4 Minuten vom Meer entfernt – auf der Suche nach einem neuen Rückzugsraum und mehr ausgleichenden Kräften.
"Oh, Du kommst ja gar nicht aus Island!‘ Und ich dachte dann fast schon: Sind die enttäuscht, dass ich nicht ein gebürtiger Isländer bin? Weil sie sich dann, glaube ich, so ein bisschen von dieser isländischen Zauberei erhofften. Und ich weiß nicht genau, wie viel davon Mythos oder romantische Verklärung oder das wirklich so n Island-Ding ist? Aber ich weiß nicht, ob man nicht auch das gleiche Album in Wanne-Eickel oder in der Sächsischen Schweiz hätte schreiben können?"

Zwischen Avantgarde und Gebrauchsmusik

Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Denn die Musik von Vil lebt tatsächlich von der Ruhe. Steht in der Tradition der künstlerischen Beschäftigung mit der Stille. Funktioniert fast ein bisschen wie das entsprechende Genre Ambient, zwischen musikalischer Avantgarde und Gebrauchsmusik entstanden aus ruhigen soundscapes in Verbindung mit Umgebungsgeräuschen. So wie jetzt bei Vil die wenigen glasigen Beats aus Werkzeugtönen gesampelt wurden.

Die leicht depressive Melancholie des Trip Hop durchweht manche Songs von Vil, andere leben von einer folkigen Friedlichkeit oder einer gospelartigen Andächtigkeit. Das Ruhen auf Klangflächen, die Stille zwischen den Noten ist von größerer Bedeutung als die gespielten Noten. Vil zelebrieren innere Einkehr und bewusste Besinnung, das Einfrieren der Zeit auf ihrem komplett entschleunigten Debutalbum.
"Der Titel "Mens vi falder stille" – im Deutschen könnte man vielleicht sagen: "Wenn wir still fallen". Oder im Englischen: "When we fall sile"‘. Was da wahrscheinlich mehr Sinn ergibt. Also es geht um Stille und um Ruhe und fallen lassen wahrscheinlich auch."

Kunst der Stille

Julius Rothlaender spielt als musikalischer Autodidakt Tasteninstrumente und Gitarre, Maria Bay Bechmann ein bisschen Klavier. Außerdem haben sie Alltagsgeräusche eingestreut: Eine Art Zahnbürste sorgt für sphärisches Feedback auf der Gitarre und feine Schwingungen auf dem Xylophon, ein Wandspachtel und anderer Baustellen-Kleinkram für zarte perkussive Tupfer. Entstanden sind die so schlichten wie schönen Kompositionen an gemeinsamen Songwriting-Wochenenden in der Einsamkeit des dänischen oder isländischen Nordens.
Klischee oder Kunsttradition der Romantik: Die Stille ist auch da immer wieder an Orte in der Natur gebunden: In den Bergen, wo Maria Bay Bechmann ihre Ruhe findet oder am Meer wie Julius Rothlaender. Neben solchen Orten wird sie bestimmten Zeiten zugeordnet: Die Nacht- oder Abendstille.
In Nietzsches "Also sprach Zarathustra" heißt es: "Die größten Ereignisse – das sind nicht unsre lautesten, sondern unsre stillsten Stunden." Und die Neue Musik trieb es auf die Spitze mit John Cages Klavierstück "4′33″: Drei Sätze, die nur aus Pausen bestehen.

Die Stille zelebrieren als Stille

"Es gibt ja auch John Cage und Stücke, die Stille quasi wirklich zelebrieren als Stille. Für uns war’s dann eher der Versuch, dieses Thema Stille zu behandeln auf ‘ne vertonte Weise. Für uns war das eher dann als Thema so ein roter Faden im ganzen Album, wie Stille sich anfühlt, wie’s klingt, wir wir’s in Worte verpacken können in Marias Texten. Es geht eben genau um diesen Moment - "Mens vi tier‘ heisst "Wenn wir schweigen". Und das war für uns auch immer ein persönlich wichtiger Moment im Entstehungsprozess des Albums, dass wir gemerkt haben: Oft ist in der Stille und im gemeinsamen Schweigen sehr viel mehr enthalten und mehr Kennenlernen möglich als in zig Worten. Weil, wenn man das wirklich zusammen teilt, glaube ich, sehr viel Tiefe entdecken kann."
Nicht nur zu zweit. Bei ihren Konzerten herrscht andächtiges Schweigen, das fordert die Musik einfach ein. Nicht nur bei ihren allerersten Auftritten als Kopfhörerkonzerte. Die für den Jahresbeginn angesetzte Tour mussten Vil allerdings absagen. Vor allem Maria Bay Bechmann sah sich nicht in der Lage, jeden Tag an einen anderen Ort zu wechseln. Übrig geblieben sind zwei Konzerte in Kopenhagen und Berlin im April.
Aber auch das Hören zuhause garantiert ein selten direktes und unmittelbares Klangerlebnis mit einer wunderbar ruhigen Musik ohne übergezogene Produktionsschicht, die für Abstand zum Hörer sorgen könnte. Egal, ob in Europas mystischem Norden oder in Wanne-Eickel.
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