"Das deutsche Brot vermisse ich nach drei Wochen in Spanien"

Daniel Brühl im Gespräch mit Waltraud Tschirner · 23.09.2012
Barcelona sei lange Zeit sein Sehnsuchtsort gewesen, sagt Schauspieler Daniel Brühl, der gerade ein Buch über seine Geburtsstadt Barcelona geschrieben hat. Er könne sich gut vorstellen, im Alter ganz dorthinzuziehen.
Waltraud Tschirner: Über unserem Gespräch stehen sozusagen drei große Bs: Brühl zwischen Berlin und Barcelona. Stimmt für Sie mittlerweile die Reihenfolge Barcelona-Berlin?

Daniel Brühl: Ja, die meiste Zeit verbringe ich nach wie vor in Berlin, aber ich kann schon sagen, dass ich wirklich pendle und in Barcelona halb lebe. Und Brühl, da bin ich ab und zu ja auch noch gerne, in der Nähe von Köln - aber das wäre dann an dritter Stelle, ja.

Tschirner: Sie sind 1978 in Barcelona geboren, waren dort als Kind regelmäßig in den Ferien, sind aber eigentlich normal aufgewachsen in Köln - spanische Mutter, deutscher Vater -, wie haben sich denn so im Laufe dieser mittlerweile ja doch ganz paar Jahre so die Anteile, die spanischen und die deutschen, verschoben oder ergänzt? Wie ist jetzt so das Gefühl?

Brühl: Ja, ich bin ganz glücklich, dass ich in Spanien richtig angekommen bin, und das Land und die Stadt auch noch mal viel besser kennengelernt habe. Das fing 2005 an, als ich da zum ersten Mal gearbeitet habe - ich habe ja auch seitdem relativ viel im spanischen Kino zu tun gehabt -, und habe da dann das Gefühl gehabt, ich bin nicht mehr nur Besucher oder Tourist, sondern ich bin wirklich Barceloneser. Und als Kind war das immer Sehnsuchtsort, und das war auch immer ein bisschen verklärt, weil man das immer mit Urlaub in Verbindung brachte, und Urlaub ist natürlich immer das Tollste.

Da waren wir dann mit unserer Familie und meinen Freunden unterwegs, und immer ein tränenreicher Abschied, wenn ich zurückfahren musste nach Köln, wieder in die Schule musste, das heißt, das war immer nur alles sehr positiv behaftet. Und jetzt, wenn man mal am Stück dort lebt, fallen natürlich einem auch die Sachen auf, die hier vielleicht in Berlin toller sind. Und das können dann auch mitunter Kleinigkeiten sein - wenn wir beim Frühstück anfangen: Das deutsche Brot vermisse ich nach drei Wochen in Spanien.

Das kulturelle Angebot ist schon groß in Barcelona, aber in Berlin - auch was das Nachtleben angeht - ist zum Beispiel auch viel mehr los, und da muss man, wenn man in Spanien bleibt, schon nach Madrid. Also Madrid ist absolut die Hauptstadt, und das spürt man auch. Und das ist aber das Süße an Barcelona, dass es eine große kleine Stadt ist, dass es auch mitunter provinzieller ist als man denkt, obwohl es ja dieses Weltstadt-, dieses Image hat. Aber es ist dann doch keine Hauptstadt, das spürt man.

Tschirner: Also Sie sind da seit vielen Jahren immer wieder und auch in den Jahren, wo Sie schon bewusst Ihre Umgebung verfolgt haben - Stichwort Krise: Merken Sie das richtig auch in Ihrem Lieblingsviertel, merken Sie, dass das was mit Ihren Freunden macht, dass die plötzlich um ihre Existenz bangen müssen?

Brühl: Ja, also die Unruhe spürt man auf jeden Fall. Vor ein paar Jahren, als das losging, so 2008, da war die Krise etwas, was man in den Nachrichten sah, aber was einen noch nicht so unmittelbar betroffen hat, und mittlerweile ist es auch in meiner Familie und auch bei Freunden angekommen, da ist eine große Sorge. Und im Moment war es ja noch in Anführungsstrichen "nur" eine Empörung - diese Bewegung war ja sehr groß in Barcelona.

Meine Angst bei der hohen Jugendarbeitslosigkeit ist, dass das dann in Wut umschlägt, was irgendwann dann zwangsläufig passieren muss, und ich hoffe, dass Spanien - die Experten meinen ja, dass es 2014 da leicht wieder bergauf geht, dass das dann auch wirklich passiert.

Tschirner: Was sind da Ihre konkreten Ängste, wovor haben Sie Sorge, wohin könnte das eskalieren?

Brühl: Na, erst mal, das hat man jetzt auch letzte Woche gespürt bei dieser großen Kundgebung da, wo anderthalb Millionen eigentlich sich für die Unabhängigkeit ausgesprochen haben, dass diese alten Befindlichkeiten, die ja in Spanien immer geherrscht haben zwischen den einzelnen autonomen Regionen, wieder hochkochen, dass es dann wieder um Unabhängigkeitsbestrebungen geht und um Abkapselung von Spanien, was ich ziemlich anachronistisch fände, in so einem Gefüge, was wir jetzt haben, in der Welt und in Europa, dann wieder zu so Kleinstaaten zurückzukommen. Spanien hat natürlich auch viel Immigration, das heißt, ich habe Angst, dass der Rassismus wieder ansteigen wird, wie man das ja auch in Griechenland sieht - ja, also da gibt es viele Sachen, die noch sehr unangenehm werden können.

Tschirner: Daniel, Sie sind hier ein Star und Sie sind dort inzwischen ein Star. Wo werden Sie mehr als solcher wahrgenommen, und wo werden Sie auch mehr genervt als ein bekannter Mensch?

Brühl: Also früher war das ja so, dass ich froh war, wenn ich in Spanien war, dass mich eben keiner erkannt hat. Ich habe jetzt gemerkt, dass dann aber doch die Eitelkeit des Schauspielers überwiegt und man ja doch gerne erkannt wird. So ist das halt eben bei uns, deshalb bin ich schon stolz darauf, dass ich in Spanien es geschafft habe, als Schauspieler wahrgenommen zu werden und erkannt zu werden.

Die Spanier sind aber auch tatsächlich sehr offensiv und emotional, wenn sie einen erkennen. Das freut mich meistens, und manchmal, wenn man halt keinen guten Tag hat, kann es halt auch nerven. Ein Freund von mir, ein Deutscher, der mit mir in Barcelona war, meinte, dass er das in Barcelona heftiger empfunden hätte, das mit dem erkannt werden, als in Deutschland, weil hier haben sich die Leute an einen gewöhnt, und vielleicht haben einen einige Leute auch vergessen. Auf jeden Fall meinte er, dass er das in Barcelona ... hätte er das als nervig empfunden. Ich fand es gar nicht so schlecht.

Tschirner: Wenn wir jetzt schon gerade bei der internationalen Karriere waren: Sie haben große Vorteile, Sie sprechen wirklich mehrere Sprachen, offenbar ziemlich gut, und hatten halt die Möglichkeit, jetzt auch schon mit klangvollen Namen - Tarantino, da haben Sie ja auch nicht den dritten Baum von links nur gespielt, sondern eine richtig gute Rolle - zu arbeiten. Letztens haben Sie in diesem wunderbaren Ältere-Menschen-Film "Und wenn wir alle zusammenziehen" gespielt mit Größen - Jane Fonda, Geraldine Chaplin - also, "Der große Blonde mit dem schwarzen Schuh", das macht sicher erst mal Spaß, weil man irgendwann jung war und dachte: Wow, mit dem kann ich spielen. Aber was macht so den Unterschied aus? Gibt es den überhaupt, wenn man plötzlich an so einem internationalen Set ist, hat man da das Gefühl, es tickt irgendwie anders?

Brühl: Na, in dem Fall war das so, dass es ja unter der Regie eines Franzosen war - das waren die entspanntesten Dreharbeiten mit dem leckersten Essen, da legen die Franzosen ja großen Wert drauf.

Tschirner: Da gibt es auch immer Wein, wurde mir erzählt.

Brühl: Genau, genau, was sehr gut ist, das hilft ungemein. Und wenn man mit diesen Größen zusammenarbeitet und denen einfach nur zuhört, was die so aus dem Nähkästchen plaudern, und wenn eine Fonda auf eine Chaplin trifft, dann kann man sich ja vorstellen, was dann abgeht, da kann man sich zu jedem Vornamen, den die nennen, ja natürlich auch den Nachnamen denken. Und da habe ich die absurdesten Geschichten gehört, dass ich mich dann eigentlich als relativ langweilig fühlte, so als junger Mensch, weil ich dachte, was die alles erlebt haben in den 60ern, 70ern, das geht ja auf keine Kuhhaut.

Und manchmal, den Unterschied spürt man, wie bei dem letzten Film, den ich mit Ron Howard gemacht habe, wo ich zum ersten Mal eine Hauptrolle in einem amerikanischen Film spiele - es klingt sehr absurd, aber ich spiele Niki Lauda, es geht um ein Formel-Eins-Drama in den 70er-Jahren -, da spürt man dann eine gewisse Größe. Also da ist mehr Zeit, bestimmte Dinge zu drehen, da werden Sachen sehr aufwändig aufgelöst und gedreht, und das ist natürlich dann Luxus, den man auch als Schauspieler spürt.

Tschirner: Niki Lauda - Sie haben ja irgendwann auch schon mal die Stimme für den Animationsfilm "Cars" für ein Auto gegeben. Jetzt sind Sie sozusagen der Rennfahrer persönlich. Kam da so mit großer Begeisterung der kleine wilde Junge in Ihnen durch?

Brühl: Ja, so ein bisschen. Also ich war nie der Riesen-Formel-Eins-Fan, aber ich habe mich dann so ein bisschen eingearbeitet in das Thema, ich war sehr ergriffen von diesem Dokumentarfilm über Senna - das ist ein ganz fantastischer Film -, habe dann auch Kurse belegt, um Formel-Drei-Auto zu fahren, was ja nun die kleinere Stufe der Formel Eins ist, und da kommt der Junge wieder in einem raus. Das hat schon Spaß gemacht, das so eine Zeit lang zu machen und sich so als Rennfahrer zu fühlen.

Tschirner: Daniel Brühl ist im Studio, eigentlich als Schauspieler bekannt, jetzt hat er aber ein Buch geschrieben über seine Geburtsstadt und seinen Sehnsuchtsort Barcelona. Aber natürlich denke ich, jeden interessiert auch das, was Sie im Moment alles machen und noch vor sich haben. Und es ist ja interessant, man kann verfolgen, wenn man so noch mal nachguckt, was Sie in Interviews gesagt haben, dass sie offenbar damals mit diesen für Sie ja großartigen Film "Goodbye Lenin" so das kleine Brühl-Trauma gekriegt haben, weil da waren Sie halt der artige Alex, der artige Junge, Muttis Liebling, der überall nach Spreewaldgurken und sonst was sucht. Und es wirkt so, als ob sie seither eigentlich immer mal gerne so richtig der Unsympath vom Dienst sein möchten. Haben Sie deshalb zum Beispiel diese Rolle in Zusammenarbeit mit dem damaligen Regisseur angenommen "Ich und Kaminski", weil da ein ziemlicher Aufdreher am Werk ist?

Brühl: Ja, also ich merke, dass uns das beiden große Freude macht, auch dem Regisseur, was völlig Konträres zu machen und auch mich in einer ganz anderen Art zu inszenieren, und also für mich ist das wirklich eine Traumfigur. Ich habe das ja auch immer nicht so ganz verstanden und meine Mutter auch nicht, die hat sich immer totgelacht, wenn sie sagte, dass die ganzen Mütter der Nation mich plötzlich lieben, weil sie meinte: "Die können sich gar nicht vorstellen, was du bist für eine kleine Ratte!" Und das ist auch wirklich so. Ich habe damals das Gefühl gehabt auch, ich spiele tatsächlich auch eine Rolle. Viele dachten ja, ich bin einfach immer so wahnsinnig sympathisch - ich bin jetzt nicht der totale Arsch und Unsympath, aber es ist auch nicht so, als ob ich dieser wahnsinnig nette Kerl wäre.

Tschirner: Ja, aber wie kommt es denn, dass alle das denken? Also jetzt sitzen Sie auch wieder über die Maßen nett vor mir ... Wieso lassen Sie das nicht raus?

Brühl: Das liegt daran, wenn ich bei so einer charmanten Frau wie Ihnen sitze, wenn Sie so nett sind, bin ich auch nett. Aber ich werde sehr fuchsig, wenn ich Leuten gegenüber sitze, die nicht nett sind. Insofern - ja, ich glaube, jeden Tag im Straßenverkehr, die, die sich wahnsinnig über mich aufregen, weil ich mich über die aufrege und regelrecht anschreie und wüst beschimpfe, sind dann manchmal auch ein bisschen irritiert, wenn sie mich denn erkannt haben. Dann merkt man plötzlich, dass für die das nicht passt. Aber da spüre ich, das Aggressionspotential, was ich habe, zum Beispiel ganz deutlich

Tschirner: Sie kriegen wahrscheinlich ganz viele Drehbuchangebote. Wo kommen die meisten Angebote her?

Brühl: Na, zuletzt, in den letzten zwei, drei Jahren, kam viel aus Spanien, nur die Krise ist natürlich auch in der Filmindustrie angelangt in Spanien. Deshalb, glaube ich, wird das schwieriger werden jetzt in der nächsten Zeit. Im Moment ist von allem was dabei. Ich freue mich natürlich, dass ich wieder mit deutschen Regisseuren arbeiten werde, also in dem Projekt, was Sie eben ansprachen mit Wolfgang Becker, dann aber auch mit Florian Gallenberger, mit dem ich "John Rabe" drehte. Der hat ein ganz spannendes Buch geschrieben über die Colonia Dignidad in Chile, und das ist auch ein Film, den ich für nächstes Jahr geplant habe, und tatsächlich ...

Tschirner: Da sollen Sie diesen Chef da von dieser Colonia ...

Brühl: Nein, um Gottes willen! Nein, nein, nein.

Tschirner: Das wäre aber mal ein Unsympath!

Brühl: Das wäre was, nicht?

Tschirner: Da hat er dann doch Angst.

Brühl: Das ist ein Voll-Unsympath, das kann man wohl so sagen. Nur leider bin ich - oder zum Glück - zu jung, und das wird meines Wissens - ich weiß gar nicht, ob ich das schon sagen darf - aber wahrscheinlich mein hochgeschätzter Kollege Ulrich Tukur. Und es gibt auch die Anfrage - und das will ich unbedingt gerne machen - von dem Regisseur, der diesen Alten-Film gemacht hat "Wenn wir alle zusammenwohnen", der plant seinen zweiten Film mit mir und Pierre Richard, und das wäre dann wieder in Paris nächstes Jahr, und das will ich auch unbedingt machen.

Tschirner: Kommen wir noch mal zurück zu Ihrer Geburtsstadt, zu den drei Bs vom Anfang, Brühl, Berlin, Barcelona - wenn ich Ihnen Morgen sage, du musst dich entscheiden, es geht jetzt nur noch Berlin oder Barcelona ... ?

Brühl: Oh, das ist aber hart.

Tschirner: Ja.

Brühl: Das ist nicht fair - Dann Bonn. Nein, ich glaube, also wenn ich mich im Alter so sehe, als Opi, dann wäre ich gern spanischer Opi, mit so einer Pfeife, oder was weiß ich, und da sehe ich mich schon rumsitzen auf diesem Plätzen in Barcelona, weil das ist das, was ich sehr schön finde an dem Leben dort. Im Prenzlauer Berg, wo ich lebe, ist ja schon alles sehr uniform - das stimmt ja tatsächlich, dass dort alle einigermaßen gleich alt sind und ein oder zwei Kinder haben und gerne ein S- oder ein K-Kennzeichen haben. Und in Spanien ist das sehr schön, dass die alten Leute sich auch nicht so wegsperren, das Leben draußen einfach stattfindet und man ganz viele alte Menschen sieht, die das Leben auch noch genießen und wirklich tolle Gesichter haben und ein Lächeln, und das gefällt mir da sehr gut. Deshalb, im Alter könnte ich mir vorstellen, komplett nach Barcelona zu gehen.

Tschirner: Und jetzt hat aber Berlin doch noch so viele Reize für den junge Daniel Brühl?

Brühl: Ja, unbedingt. Nicht mehr so jung, aber ...

Tschirner: ... jung genug?

Brühl: ... jung genug.

Tschirner: So, und wenigstens zum Schluss möchte ich auch noch mal das tun, was derzeit alle Kollegen im Zusammenhang mit Ihrem Buch "Ein Tag in Barcelona" gemacht haben: Ich danke Daniel César Martín Brühl González Domingo und wünsche ihm alles Gute!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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