Daniel Defoe: "Robinson Crusoe"

Vorgestellt von Lutz Bunk · 18.03.2005
Es gibt Bücher wie Robinson Crusoe oder Moby Dick, die kennt jeder von Peking bis New York, aber niemand hat sie je gelesen. Umso verdienstvoller, dass sich der Hörverlag für eine werkgetreue Hörspiel-Adaption des Stoffes aus dem Jahr 1719 und nicht für eine der dutzenden Schmalzversionen des 19. Jahrhunderts entschieden hat. Ein insgesamt gelungenes, im besten Sinne konservativ wie prächtig produziertes Hörspiel des Hörbuchverlages.
"Warum ausgerechnet zur See? Warum nicht z.B. Jurist? Vater. Was heißt Vater, du hast alle Aussicht durch Fleiß dein Glück zu machen, und dabei noch ein angenehmes und leichtes Leben zu führen, hier bei uns. Ich wurde im Jahr 1632 in der Stadt York geboren. Haben wir dich falsch erzogen? Mein Vater war ein Ausländer aus Bremen, der als Kaufmann einiges Vermögen erworben hatte…. (O.C.: Bist du aus einem Grund verzweifelt? Nein. Meine Mutter, die aus York stammte, war ebenfalls aus gutem Hause, ihre Familie war in der Gegend hoch angesehen und nannte sich Robinson, mich hieß man daher Robinson Kreuznär, aber durch das gewöhnliche Verderben der Wörter in England hielten wir bald für jedermann und für uns selbst, nur Crusoe.)"

So beginnt die Originalversion von Daniel Defoes Roman Robinson Crusoe. Es gibt Bücher wie Robinson Crusoe oder Moby Dick, die kennt jeder von Peking bis New York, aber niemand hat sie je gelesen. Umso verdienstvoller, dass sich der Hörverlag für eine werkgetreue Hörspiel-Adaption des Stoffes aus dem Jahr 1719 und nicht für eine der dutzenden Schmalzversionen des 19. Jahrhunderts entschieden hat.

In dieser Fassung allerdings muss der Hörer 26 Minuten warten, bis Robinson Crusoe überhaupt erst seiner berühmten Insel ansichtig wird, das allerdings, was für das ganze Hörspiel zutrifft, furios in Szene gesetzt:

"Wir gaben uns in Gottes Gewalt und in die Gewalt der wilden See, der Sturm hatte zwar etwas nachgelassen, aber die See brandete furchtbar hoch über das Ufer, wir schaffen es nicht. Robinson erkannte, dass die See zu hoch ging, als dass ihr Boot standhalten konnte, und dass sie daher unfehlbar ertrinken mussten. Wir ruderten auf das Land zu, schweren Herzens, als ginge es zu unserer Hinrichtung, und sie wussten alle, dass sich das Boot, sobald es sich dem Ufer näherte, von der Brandung in 1000 Stücke zerrissen werden würde, und dann kam die Welle, …….. blub, blub …"

Dass die Insel in Wahrheit Mas a Tierra und der echte Robinson eigentlich Alexander Selkirk hießen, erfährt der Hörer natürlich nicht. Daniel Defoe hatte sich als Vorlage für seinen Roman, der übrigens als erster der Weltgeschichte gilt, jener wahren Reisebeschreibung eines Schotten namens Alexander Selkirk bedient, und das so eng am Original, dass ein Plagiatsprozess gegen Defoe geführt wurde: Informationen, die dem Hörer auch noch die Faszination der real-historischen Dimension dieses Stoffes zugänglich gemacht hätten, fehlen leider im Booklet, was aber das Hörerlebnis an sich nicht schmälert.

"24. Dezember Regen, 25. Dezember Regen, 26. Dezember kein Regen ! Hörst du? …"

Eher lakonisch, episch breit mit lobenswertem Mut zur Ruhe lässt dann das Hörspiel den Leser 40 Minuten allein mit Robinson, mit dessen Monologen und dessen Überlebenskampf, wohltuend wie ein akustisches Lagerfeuer. Aber wo bleibt Freitag, der getreue Gefährte? Zwei Drittel der Hör-Produktion sind um, da taucht er auf, der edle Wilde, das große Thema des 18. Jahrhunderts.

"Hör mal, ich nenne dich Freitag, denn der Tag, an dem ich dir das Leben gerettet habe, ist ein Freitag, … heute ist Freitag, du bist Freitag. Freitag. Jaa, Freitag."

Was die Rolle Freitags, das heißt, was deren sprachliche Gestaltung anbetrifft, hätte die Regie allerdings durchaus frecher sein dürfen, Hauptsache sie hätte nicht einen derartigen Klischee-Freitag wiederaufgelegt. So bleibt er der gutmütige Kannibale. Nichtsdestotrotz: Zwei Stunden und 15 Minuten Robinson Crusoe und keine Minute zuviel:

"Aufbrechen. Das Feuergefecht war kurz aber heftig; der Rebellenkapitän und seine Getreuen feuerten blind in die Dunkelheit …"

Herausragend Felix von Manteuffel in der Rolle als Erzähler und Konstantin Graudus als Robinson, Filmreif die Musik von Jan-Peter Pflug. Ein insgesamt gelungenes, im besten Sinne konservativ wie prächtig produziertes Hörspiel des Hörbuchverlages.

Daniel Defoe: "Robinson Crusoe". Hörspiel, 2 CDs, Gesamtlänge 2:15 Stunden, eine Produktion des Hörverlags, München, 14,95 Euro. In den Hauptrollen Felix von Manteuffel als Erzähler und Konstantin Graudus als Robinson; Regie und Hörspielbearbeitung Sven Sticker.