Constantin Emanuel Zimmermann

Knabensopran mit Karriereaussicht

Blick auf Zürich und die Limmat, sowie den Zürichsee
Heimatstadt von Constantin Emanuel Zimmermann: Blick auf Zürich und die Limmat, sowie den Zürichsee © picture-alliance/ dpa
Von Ulrike Thiele · 04.03.2015
Er ist 15 und singt noch immer den Knabensopran. Jetzt hat Constantin Emanuel Zimmermann aus Zürich seine erste CD mit Liedern und Arien aus Schemellis Gesangbuch aufgenommen. Sie heißt "Musik aus der Konserve" - denn so, wie aktuell, wird er schon bald nicht mehr singen können.
"Musik aus der Konserve" – das klingt denkbar abfällig, beliebig und ist häufig auch durchaus derart pejorativ gemeint. Doch es gibt auch Ausnahmen, bei denen das "Konservieren" edler Gedanke ist und das "Konservierte" ein kleiner Schatz. So ein Fall ist die neue CD von Ton Koopman und dem Knabensopran Constantin Emanuel Zimmermann. Mit seinen 15 Jahren präsentiert Constantin einen gereiften, griffigen Knabensopran, der schon nah am Countertenor ist. Das ist eine historische Rarität, die konserviert gehört, meint auch Ton Koopman:
"Ich fand es wichtig, dass die Stimme von Constantin dokumentiert wird. Im Moment sind wir gewohnt, dass Knabensoprane hören auf mit 13, zwölf, und ein Knabensopran, der noch über 15 singt, ist außergewöhnlich. Bei Bach wäre ein Sopran von zwölf Jahren überhaupt unakzeptabel. Und in heutiger Zeit, die meisten Knabensoprane gehen, wenn sie zwölf sind schon wieder weg. Wenn man heute in eine Chorschule kommen würde als Knabe mit zwölf, dann würde man vielleicht mit 13 schon wieder weg sein. Ich dachte, das ist wichtig zu dokumentieren, aber auch, ich fand es schön, mit meinem Patenkind das zusammen zu machen."
Eine Auswahl, die den Knapensopran nicht überfordern soll
Dass der Patenonkel aus den Niederlanden einer der renommiertesten Barock-Spezialisten der Musikwelt ist, war sicherlich nicht die schlechteste Ausgangslage für ein CD-Debüt. Ausgewählt hat Koopman für seinen Schützling 14 Lieder und Arien aus Georg Christian Schemellis "Musicalischem Gesangbuch", die zum Großteil zu Unrecht Johann Sebastian Bach zugeschrieben wurden, sich aber dennoch ihren festen Platz im Repertoire der Gesangsausbildung erobert haben. Dazu noch Gottfried Heinrich Stölzels beliebtes "Bist Du bei mir". Eine pädagogisch geschickte Auswahl, die den Knabensopran nicht überfordern sollte. Denn Koopman hat früher selbst miterlebt, wie es dem bekannten Knabensopran der 1980er-Jahre, Sebastian Hennig, unter anderen Umständen erging:
"Er hat dann die Bach-Kantaten mitgesungen bei Leonhardt, die Arien – die schweren Arien – gesungen, und ich hab' auch gesehen, wie er gelitten hat. Und so ich hab auch gedacht für die CD: Constantin soll nicht leiden, natürlich es muss präzis sein und das ist genug Leiden."
Und so meistert Constantin denn auch den Großteil der intonatorischen Hürden, vor allem aber überzeugt er mit seiner Musikalität. Da wird nicht kindlich abgesungen, durchgerauscht und abgehakt, sondern behutsam phrasiert, verständig gewichtet und ausgestaltet – schlichte, zerbrechliche Schönheit wechselt ab mit jugendlicher Kraft.
Ein von Natur aus unbeständiger Zustand ist das Dasein als Knabensopran. Constantins Eltern sind beide arrivierte Profimusiker und erkannten und förderten nicht nur behutsam die Gesangausbildung des Sohnes u.a. bei den Luzerner und Zürcher Sängerknaben, sondern boten frühzeitig eine Alternative an – wie Constantin erklärt:
"Die Vorstellung war ja immer, was mach ich in dem Stimmbruch, weil ich hab mir immer vorgestellt: Im Stimmbruch setz‘ ich aus. Und dann hab ich gedacht, muss ich, wird ich das Cello weitermachen, aber ich hab nie aufgehört zu singen bis jetzt … - Darum, es ist im Moment so eine parallele Schiene."
Er wird immer auf den Stimmbruch angesprochen
Für sein Cellospiel wie auch für seine gesanglichen Darbietungen wurde Constantin inzwischen bei Wettbewerben in der Schweiz und in Deutschland hochdekoriert. Bei einem dieser Wettbewerbe, beim Bundeswettbewerb in Braunschweig vor einem Jahr, kam es dann zu einem regelrechten Befreiungsschlag für die gesangliche Entwicklung, wie seine Mutter Ulrike-Verena Habel erklärt:
"Das war wirklich ein großes Thema, weil alle ihn nur auf seinen Stimmbruch fixiert haben und das hat ihm wirklich Angst gemacht. Und als Constantin dann in diesem Bundeswettbewerb dieses Jurygespräch gehabt hat und die Juroren mit dem Constantin außerordentlich lieb gesprochen haben und ihn ausnahmsweise mal nicht auf den Stimmbruch fixiert haben, sondern ihm gesagt haben, Du bist schon im Stimmbruch, hat das beim Constantin unglaublich viel freigesetzt. Also er war wie von einer Last befreit und von dann an war das nie mehr ein Thema. Constantin ist natürlich noch im Stimmbruch, das hört man gut an der Sprechstimme, aber er geht sehr viel selbstbewusster damit um und er akzeptiert, dass der Weg jetzt im Moment über eine Counterlage jetzt über die Zeit hinwegbewegt und dann wird man sehen, ab wann er seine Männerstimme benutzen kann und ob er das überhaupt in der Modallage tun möchte. Oder ob ich direkt in die Counterlage gehe, was ich mir durchaus vorstellen könnte."
Auch wenn noch nicht ganz klar ist, wohin die vokale Reise des 15jährigen geht, hat Constantin etwa sein Operndebüt am Opernhaus Zürich nachhaltig begeistert. Und auch den Patenonkel konnte er mittlerweile für diese Idee gewinnen. Für Constantins Zukunft sieht Koopman aber verschiedene Möglichkeiten – und natürlich eine für ihn alles überragende Option, in deren Richtung auch die Debüt-CD gewichtig deutet:
"Aber ich bin ganz neugierig, wie das weitergeht, weil er auch schön Cello spielt. Und was kommt da raus: Kann man beide Sachen tun? Für Countertenöre gibt es Raum. In der Oper gibt es sehr viel Raum, man braucht viele. Als er, nachdem wir die Aufnahme gemacht haben, ein kurzes Interview gegeben hat in Holland und geredet hat über 'OPER – das ist meine Sache', da hab' ich gedacht 'WAS?!' Ich finde Oper schön, aber ich mache sehr wenig Oper, und ich denke dann immer: Für einen Countertenor, was gibt es Besseres als BACH?!"