CocoRosie und ihr Album "Heartache City"

Rückkehr des alten Zaubers?

Sierra Casady, Sängerin von CocoRosie
Sierra Casady, Sängerin von CocoRosie © dpa / picture alliance / Kote
Von Christoph Reimann · 15.10.2015
New Weird America - das war ein popmusikalischer Minitrend Anfang der Nullerjahre, zu dem auch Bands wie CocoRosie beitrugen. Nun erscheint mit "Heartache City" deren sechstes Album.
Sierra Casady: "Es gibt nichts Schöneres als eine alte Celesta. Unsere funktioniert nicht, aber das macht nichts. Wenn man die Tasten anschlägt, dann wollen diese kleinen, unglücklichen Glocken unbedingt einen Ton von sich geben, können sich aber kaum bewegen. Es gibt kaum etwas Emotionaleres. Dieser Klang ist das Fundament von 'Heartache City'. Die Celesta kommt fast in jedem Song der Platte vor."
Diese Empathie für schräge Töne war es, mit der CocoRosie verzauberten, 2004, als ihr Debüt "La Maison de mon Rêve" erschien. Die Welt befand sich im Post-9/11-Schock. Zwei Frauen, die ihrer Zeit so sehr entrückt schienen, nur kostümiert auftraten und von kindlich-fantastischen Welten voller Fabelwesen sangen, kamen da gerade recht.
CocoRosie kreierten ihren eigenen Kosmos: mit angeklebten Schnurrbärten und kopulierenden Einhörnern auf dem Album-Cover. Die beiden Schwestern halfen, Queerness populär zu machen – ohne sich mit ihren Texten aufzudrängen. Schnell war man den so einzigartigen Klängen von Bianca und Sierra Casady verfallen, nur ...
Nur: Welcher erste Kuss hält schon, was er verspricht?
Je populärer CocoRosie wurden, desto erwartbarer wurde ihre Musik. Die bizarren Verkleidungen, die musikalische Andersartigkeit wurde zum Selbstzweck. Vielleicht ist es bezeichnend, dass die beiden Amerikanerinnen jetzt auf ihrer sechsten Platte zum Lo-Fi-Sound ihrer Anfangstage zurückkehren.
Sierra Casady: "Wir wollten mal wieder ohne festen Zeitplan arbeiten, zu den Uhrzeiten, an denen wir uns kreativ fühlten. Und das kam dabei heraus."
Schreib-Exil in Südfrankreich
Für "Heartache City" begaben sich CocoRosie ins Schreib-Exil nach Südfrankreich. Ein alter Bauernhof, Strom gab es nur vom Nachbarhaus. Nachts flogen Schwalben durch die Löcher im Dach. Die Platte spiegelt diese unheimliche Atmosphäre. Inhaltlich orientierten sie sich an alten Texten:
Sierra Casady: "Wir wollten eine Reihe alter Gedichte von Bianca vertonen, die wir in einem Koffer gefunden, der jahrelang verschlossen war. Musikalisch haben wir uns bei den kaputten Instrumenten bedient, die uns umgaben."
Oft geht es in den Texten um Kindheitserinnerungen - typisch CocoRosie.
Sierra Casady: "Als Schwestern habe wir diese einzigartige Beziehung zueinander, die uns immer wieder zurück zu unserer gemeinsamen Kindheit führt. Manchmal passiert es, dass uns urplötzlich Dinge einfallen, die uns gar nicht bewusst waren."
Als Beispiel nennt Sierra den Song "Tim & Tina". Mit vermutlich mehr Fantasie als tatsächlicher Erinnerung stellen sich die Schwestern darin vor, wie sich ihre Eltern kennengelernt haben könnten.
"Heartache City" ist ein solides Album. Aber die zehn Songs der Platte können nicht mehr so berauschen, wie es einmal der Fall war. Da hilft es auch nichts, dass die beiden dieses Mal auf jede Form von Produktionspolitur verzichtet haben: Der CocoRosie-Zauber ist verblasst. Das kann man ihnen nicht unbedingt vorwerfen, nur schwindet die Lust am Außergewöhnlichen, wenn es zur Verlässlichkeit wird.
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