Claus Peymann: "Mord und Totschlag"

Vom jungen Wilden zum ergrauten Grantler des Berliner Ensembles

Claus Peymann posiert mit geballten Fäusten für die Kamera.
Claus Peymann blickt zu seinem 80. Geburtstag auf sein Theaterleben zurück. © dpa picture alliance/ Jörg Carstensen
Von André Mumot · 10.12.2016
Der scheidende Intendant des Berliner Ensembles, Claus Peymann, blickt in "Mord und Totschlag" auf sein Leben zurück. Das Buch besticht durch Interviews, üppige Bebilderung und charismatisch dahingepolterte Selbstzeugnisse.
"Peymann rülpst - und sieht sich triumphierend um." 1947 hat ihm ein Lehrer diesen Satz ins Klassenbuch geschrieben. Nun bildet er den idealen Einstieg in über 500 Seiten Lebens- und Theaterbetrachtung. Schon hier zeigt sich die fröhliche Selbstzufriedenheit des Provokateurs. Gerülpst hat er dann später nicht mehr ganz so öffentlich, dafür umso lauter skandaliert. Passenderweise begann sein Siegeszug als Regisseur, als er, gut zwanzig Jahre später, Peter Handkes "Publikumsbeschimpfung" vom Stapel ließ und, wie es in einem Artikel von 1968 heißt, "den neuen Sound einer ganzen Generation kreierte ... um mit Schülern, Gammlern und Studenten ins rhythmisch gestampfte, poppig bewegte Bühnennirwana einzugehen."
Es tut gut, sich daran zu erinnern, dass der ergraute Grantler vom Berliner Ensemble einst ein junger Wilder gewesen ist, einer der wildesten sogar. Man weiß das natürlich, es ist Teil der Theatergeschichte, aber scheint doch ziemlich lange her.
"Wenn eine Gesellschaft vor sich hin dämmert, sich nur noch selbst gefällt", sagt Peymann, "sind Ohrfeigen das letzte Mittel." Man kann jetzt nachlesen, wie er ausgeholt hat, immer wieder und wieder, über 50 bewegte Arbeitsjahre lang - in einem Buch, in dem der launigste, der unverschämteste Selbstdarsteller von allen zu Wort kommt. "Ich halte mich mittlerweile für einen Regisseur, dessen Inszenierungen, selbst wenn sie misslingen, zu den besten gehören", sagt Claus Peymann. Natürlich.

Keine objektive Beschreibung von Peymanns Inszenierungen

Jutta Ferbers, Anke Geidel, Miriam Lüttgemann und Sören Schulz haben mit "Mord und Totschlag" ein Buch herausgegeben, das sich nicht aus Beweihräucherungstexten zusammensetzt, sondern vor allem aus Interviews und charismatisch dahingepolterten Selbstzeugnissen. Keine objektive Beschreibung von Peymanns Inszenierungen findet man hier, dafür umso mehr üppig bebildertes Reibungsmaterial, das sich zu einem hinreißend unterhaltsamen Porträt zusammensetzt. Es geht um Shakespeare, Handke, Thomas Bernhard. Um die nicht enden wollende Liebe zur Literatur, zu Autoren, zum Theater als utopischem Ort, an dem man klar benennen kann, wie die Welt sein sollte und wie nicht.
Auch ist es die Chronik seiner Skandale: wie er 1977 in Stuttgart für die Zahnbehandlung von Gudrun Ensslin Geld gesammelt hat, oder als Leiter des Burgtheaters auf offener Straße angespuckt wurde, als er 1988 Thomas Bernhards "Heldenplatz" inszenierte. Hinausgeworfen hätte man ihn dort aber beinahe wegen eines seiner unfassbar polemischen Interviews, in denen er gegen alles und jeden ausgeteilt hat: gegen Bernhard Minetti, gegen Dieter Dorn, auch gegen George Tabori, von dem er mal eben so sagt: "Der ist eine absolute Sau in der Arbeit." Mit Kulturstaatssekretär Tim Renner ist er bekanntlich erst vor Kurzem ganz ähnlich umgegangen, als er ihn "ein leeres, nettes weißes Hemd" nannte.

Ein Zirkusdirektor, den die Leute lieben, aber nicht ernst nehmen

Claus Peymann und Tim Renner
Der Intendant des Berliner Ensemble Claus Peymann und Berlins ehemaliger Kulturstaatssekretär Tim Renner© picture alliance / dpa / Foto: Jörg Carstensen, Paul Zinken
Auch diese schallende Ohrfeige ist hier dokumentiert - nur fällt auf, dass sie nicht mehr das ganze Theaterland erschüttert hat, wie so viele seiner früheren Wut- und Glanzauftritte. "Mord und Totschlag" - so benannt nach einer Fahne, die Thomas Bernhard einst über dem Burgtheater hissen wollte, ist in mehrfacher Hinsicht ein Abschied. Vom Intendanten des Berliner Ensembles und von einer ganzen Generation, vom autoritär bis despotisch geführten Regietheater, das ein klares Feindbild hatte in der trägen, reaktionären Bürgerlichkeit. "Die Deppen, die die Literatur zerstört haben, zerstören jetzt das Theater", sagt Peymann. Achtzig wird er nächstes Jahr und räumt das Berliner Ensemble - unfreiwillig - für Oliver Reese, seinen Nachfolger. "Ich würde mein Alter gern vertiefen", sagt er am Ende des Buches, "aber ich bleibe auf eine bestimmte Weise doch der politische Entertainer, ein Zirkusdirektor wie in den Stücken Thomas Bernhards, einer, den die Leute vielleicht lieben, aber nicht ernst nehmen."
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