Christopher Ryan und Cacilda Jethá: "Sex"

Allzeit interessiert, allzeit bereit

"Sex – Die wahre Geschichte"
Cover von "Sex – Die wahre Geschichte" © Klett-Cotta / imago/Westend61
Von Susanne Billig · 24.03.2017
Wenn der Mensche monogam wäre, würde es nicht die Untreue geben. Anhand spannender Studien aus Archäologie und Ethnologie belegen Christopher Ryan und Cacilda Jethá in "Sex. Die wahre Geschichte", dass der Mensch das Sex-besessenste Lebewesen auf der Erde ist.
Wenn der Mensch monogam wäre, wäre er monogam. Dann gäbe es keine "Untreue", keine erotischen Ermattungserscheinungen in der Langzeitbeziehung, keine Sex-Fantasien von schönen Fremden und keine Pornografie-Tsunamis, die sekündlich um den Erdball schwappen. Der Mensch, so unterstreicht das Psychologen-Paar Cacilda Jethá und Christopher Ryan in seinem Buch "Sex – Die wahre Geschichte", ist tatsächlich das Sex-besessenste Lebewesen auf der ganzen Erde, allzeit interessiert und allzeit bereit. Nicht einmal unsere Vettern, die zärtlichkeitsverliebten Bonobos, kommen da mit.

Die Tiefen der Evolutionsgeschichte des Homo sapiens

Warum aber tun wir uns so schwer damit, die uns angeborene Intensivsexualität zu akzeptieren und gedeihliche Wege des Erlebens zu finden, ohne die Bande lebenslanger Loyalität und Innigkeit zu zerreißen, die für das soziale Wesen Mensch gleichfalls von überragender Bedeutung sind? Um diese Frage zu beantworten, tauchen die Autoren in hervorragend recherchierten und vielschichtigen Ausführungen tief in die Evolutions- und Kulturgeschichte des Homo sapiens ein. Jäger-und-Sammler-Gesellschaften darbten keineswegs im Armut, wie es ein gängiges Narrativ will. Im Gegenteil lebten sie in großer Fülle und rutschten eher versehentlich in den Ackerbau, der sie, einmal davon abhängig geworden, einem Leben in Mühsal unterwarf.

Jetzt kam es auch zu jenem Umbruch der Besitzverhältnisse, der den tendenziell egalitären, auf Teilen und Ausgleich ausgerichteten Wildbeutern auf der Erde, bis auf wenige indigene und afrikanische Überreste, ein weitgehendes Ende bereitete. Je größer und anonymer das Zusammenleben in den Ackerbaukulturen sich gestaltete und je besser es möglich wurde, Besitz anzuhäufen, ohne einen sozialen Bannstrahl zu erleiden, umso mehr blieb die Gleichheit auf der Strecke: Reich begann über Arm zu herrschen, Erwachsen über Kind, Mensch über Natur und Mann – qua Monogamie und Entsexualisierung – über Frau. Dass dies kein romantisierender Blick zurück, sondern hochwahrscheinliche historische Realität ist, belegen Autorin und Autor mit vielen spannenden Studien aus Archäologie und Ethnologie.

Erhellendes über den Charakter menschlicher Sexualität

Auch die Biologie, die sexuelle Anatomie und das sexuelle Verhalten kommen in ihrer Beweisführung nicht zu kurz: Wer sich ausführlich über den Zusammenhang zwischen Penisdicke, Hodenvolumen und der sexuellen Vorliebe für Mono- oder Polygamie im Tierreich informieren möchte oder über die Frage, warum Gangbang-Pornos mit vielen Männern und einer Frau so beliebt sind, während man dergleichen selten zu sehen bekommt mit vielen dicken Frauen im fortgeschrittenen Alter, die sich über einen jungen Mann hermachen – dieses Buch gibt Auskünfte, die sich nicht nur amüsant lesen, sondern tatsächlich Erhellendes über den Charakter menschlicher Sexualität zu erzählen wissen.
Einem Buch wie diesem ist Schnappatmung und empörter Gegenwind vorprogrammiert. Tatsächlich hagelte es bereits Repliken aus dem prüden Teil Amerikas. Doch wer es schafft, sich seiner Argumentation ohne allzu große Scheuklappen zu nähern, wird mit einer aufschlussreichen Lektüre belohnt.

Christopher Ryan, Cacilda Jethá: Sex – Die wahre Geschichte
Aus dem Amerikanischen von Birgit Herden
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2016
430 Seiten, 24,95 Euro

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