Christentum

Streifzug durch die antike Welt

Von Irene Binal  · 22.02.2014
Wer war Jesus? Und wie entwickelte sich das Christentum durch die Jahrhunderte? Der Historiker Werner Dahlheim entwirft in seinem Buch ein Panorama der antiken Welt und beschreibt, wie sich das Christentum zu dem entwickelte, was es heute ist.
In der Zeit der römischen Kaiser waren technische Umwälzungen noch so fern wie der Gedanke an soziale Umbrüche. Die Grundregeln des Lebens blieben unerschüttert: Der Vornehme war „hochgestellt von Geburt, reich an Kapital und ausgezeichnet durch Freigiebigkeit“. Der kleine Mann gehorchte ihm, solange er Grund dazu hatte. Ein eigenes Profil hatte er nicht, auch keine eigenen Wertvorstellungen. Der Maßstab seiner Orientierung war und blieb der große Herr.
In diese Welt wurde Jesus von Nazareth hineingeboren - eine Welt, deren Werte und Glaubensvorstellungen uns heute sehr fremd erscheinen. Es war eine gleichförmige Welt, stellt der Historiker Werner Dahlheim fest, in der das Römische Imperium dafür sorgte, dass die Lebensweise der Menschen über Jahrhunderte hinweg weitgehend unverändert blieb. Vor diesem Hintergrund wird ein Mann geboren, der alles verändern wird - in ärmlichsten Bedingungen, wie unter anderem der Evangelist Lukas berichtet:
"Da machte sich auf auch Joseph aus Galiläa aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum dass er von dem Hause und Geschlechte Davids war, auf dass er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe, die war schwanger. Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge."
"Jesus sei ein Magier"
Allerdings geht es Werner Dahlheim nicht nur um die Person Jesus Christus, sondern auch um sein Umfeld. Um Pontius Pilatus etwa, jenen Statthalter, der sogar im christlichen Glaubensbekenntnis erwähnt wird - und der als historische Figur nur schwer greifbar ist. Die Quellen sind spärlich, die Berichterstatter in der einen oder anderen Form voreingenommen. Erst lang nach seinem Tod wurde Pilatus von den Christen zum Kronzeugen für Jesu Göttlichkeit gemacht: Der christliche Chronist Tertullian berichtet mit klar antijudaistischem Zungenschlag von einem Schreiben des Pilatus, in dem Roms Statthalter in Palästina Jesu Auferstehung und Himmelfahrt schildern soll:
"Der Erfinder dieser Geschichte, an deren Historizität Tertullian nicht zweifelte, bleibt - wie sollte es anders sein - im Dunkeln. Nicht jedoch sein Blickwinkel. Der Brief, den er Pilatus als dienstlichen Bericht in die Feder diktierte, spricht den Statthalter von jeder Schuld frei, da die Juden 'eine Lüge nach der anderen erdichtend', ihn hintergangen und erklärt hätten, Jesus sei ein Magier und tue, was den römischen Gesetzen widerspreche; dies habe er ihnen geglaubt und Jesus daraufhin ausgeliefert."
Damit, so Dahlheim, wurde aus dem römischen Statthalter ein christlicher Sympathisant.
Aber der Historiker befasst sich nicht nur mit den direkten Zeitgenossen Jesu: Dahlheims Streifzug durch die antike Welt umspannt mehrere Jahrhunderte, führt durch Südeuropa, Palästina und Nordafrika und tief in die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse der damaligen Zeit. Dahlheim beleuchtet das römische Denken und Erleben, die Gier und Grausamkeit der Eliten, den starken Einfluss der Griechen und die Stellung der ersten Christen, die sich als römische Bürger verstanden und für den Bestand des Imperiums beteten. Aber wie kam es zu den Christenverfolgungen, wenn die Christen den Staat unterstützten und die Gesetze beachteten? Dahlheim verweist einerseits darauf, dass die christlichen Gemeinden den Kaiserkult ablehnten:
"So laut sie auch den Himmel anflehten, er möge ihrem kaiserlichen Herrn gnädig sein, so wenig nützte es ihnen, wenn sie sich weigerten, eine Handvoll Weihrauchkörner zu streuen."
Damit gerieten die Christen unter den Verdacht der Illoyalität. Eine weitere Erklärung findet Dahlheim im römischen Denken:
Die Apostel als Exorzisten
"Rom zog aus einer einfachen Beobachtung eine ebenso einfache Schlussfolgerung: Da der Christ die Lebensart seiner städtischen Nachbarn ablehnte und sie zu Tumult und Aufruhr reizte, störte er die öffentliche Ordnung und gefährdete am Ende den Frieden in der Provinz - Grund genug, ihn als Feind von Kaiser und Staat zu verfolgen."
Und wie sah der Glaube der ersten Christen aus? Er hat nur wenig mit der heutigen Vorstellung vom Glauben zu tun. Die Gemeinden konzentrierten sich auf die Evangelien und die Apostelgeschichte:
"Die Darstellungsweise der Geschichten befriedigte das elementare Bedürfnis nach Erzählungen. Sie entführten ihre Leser in ferne Räume und Zeiten und jagten ihnen mal sentimentale, mal furchtsame Schauer über den Rücken, kurz: sie schufen eine Atmosphäre in der sich Erbauung mit Unterhaltung mischte und sich der Wunderglaube der Zeit nie gekannte Ausschweifungen gestattete."
Überhaupt war der Glaube im antiken Denken vom Aberglauben nicht weit entfernt. Die Apostel traten oft als Wundertäter und Exorzisten auf und christliche Intellektuelle hatten es schwer, sich abzugrenzen...
"...da niemand leugnen konnte, dass Leben und Taten Jesu auffallend denen eines heidnischen Zauberers glichen."
Bei all dem zeigt sich Werner Dahlheim als kluger Erzähler, der oft über die rein historische Sichtweise hinausgeht: Er lässt Platz für Transzendenz, für das Wunder des Glaubens, und zeichnet gleichzeitig ein farbiges Bild jener versunkenen Welt, in der sich die ersten Christen durchsetzen konnten - trotz des Misstrauens, das sie erregten, und der Auseinandersetzungen innerhalb der jungen Kirche. Dahlheim spannt seinen Bogen bis ins 3. Jahrhundert, in dem die Verfolgungen abgeklungen waren und es um die Frage ging, ob abtrünnige Christen in die Gemeinschaft zurückkehren könnten. Die Antwort bestimmt das Bild der Kirche bis heute:
"Im Konflikt mit den Bekennern setzte sich der Bischof durch. Den Preis der Vergebung, festgelegt in der Buße, bestimmte er allein. Damit gehorchte die Kirche von nun an einem neuen Selbstverständnis: Sie war keine Versammlung der Heiligen mehr, sondern eine Bußanstalt für Sünder."

Werner Dahlheim: Die Welt zur Zeit Jesu
Verlag C.H.Beck, München 2013
492 Seiten, 26,95 Euro