Chinas grüne Zukunft

Von Astrid Freyeisen · 25.08.2011
Die Volksrepublik will ihren Energieverbrauch bis 2020 zu 15 Prozent aus erneuerbaren Energien decken. Nach chinesischer Lesart gehören dazu allerdings nicht nur Wasser, Sonne und Wind - sondern auch die Atomkraft.
10.000 Arbeiter in Blaumännern formieren sich in Kolonnen und rennen Runden um die Werkshallen. Dann chinesisches Schattenboxen, synchron wie in einem gigantischen Ballett. Auf Englisch wird wiederholt, was die Vorarbeiterin auf Chinesisch sagt: Grüne Energie ist die Zukunft! Yingli-Chef Miao Liansheng ist zufrieden:

"Erneuerbare Energien gehen nie zur Neige. Fossile dagegen haben wir fast aufgebraucht. Wir müssen aber doch unseren Kindern etwas übrig lassen. Mein Lebenstraum ist es, einen Ort zu schaffen, dessen Energie ausschließlich durch die Sonne geliefert wird. Das ist sehr schwierig. Die Effizienz von Solarkraft hängt von der Größe der Panels ab. Durch immer bessere Technik kann ich eines Tages erreichen, bis zu 40 Prozent meines Energiebedarfes zu decken."

Miao Lianshengs Firmenzentrum ist für den Chef so etwas wie ein Großversuch: Weil seine Firma Yingli Green Energy in nur 13 Jahren zu einem der fünf Branchenriesen weltweit aufstieg und er selbst zum Milliardär, leistet sich Miao ein eigenes Luxushotel - als Werbung. Die Außenwände schimmern blau-grau – denn sie sind über und über mit Solar-Panels bedeckt. Ein Firmensprecher erklärt ausländischen Journalisten:

"Diese Panels stammen alle aus unserer Fabrik. Wir können damit 260.000 Kilowattstunden Strom pro Jahr erzeugen. Zehn Prozent des Bedarfs unseres Hotels werden bereits auf diese Weise gedeckt. Wir haben das erste Fünf-Sterne-Hotel mit Photovoltaic-Panels in der Welt gebaut. "

Ist der Superlativ berechtigt? Nebensache. Interessanter ist der Ehrgeiz, der dahinter steckt. Yingli ist das Vorzeigeunternehmen in Baoding, einer unscheinbaren Stadt etwa zwei Stunden südlich von Peking. Schon an der Autobahn-Ausfahrt steht ein großes Schild: Willkommen in Baoding, dem chinesischen Tal der Energie. Die Botschaft: Baoding ist mindestens ebenso innovativ wie Silicon Valley in den USA. Und es gibt viele solche Städte in China. Seit etwa fünf Jahren ist Grün das Schlagwort für Politiker auf allen Ebenen der Macht. Der im Frühjahr verabschiedete zwölfte Fünfjahresplan betont die Bedeutung von alternativen Energien. Man will weg von der Kohle, die immer noch drei Viertel des Bedarfs deckt – aber in immer größeren Mengen importiert werden muss. Schon im März 2010 verkündete Ministerpräsident Wen Jiabao beim Nationalen Volkskongress:

"Wir müssen neue, strategische Industrien aufbauen. Die Finanzkrise hat eine technologische Revolution losgetreten. Die Zukunft eines jeden Landes entscheidet sich danach, wie es sich in diese Entwicklung einfügt. Es geht um neue Energien, neue Materialien, und um Produkte, die umweltfreundlich sind und helfen, Energie zu sparen. Wir sollten zum Beispiel mehr in Autos mit alternativen Antrieben stecken. Wir werden mehr investieren und solche Industrien gezielt fördern, die strategisch wichtig sind."

Seit 2009 ist China das Land, das weltweit am meisten für erneuerbare Energien ausgibt. Die amerikanische Nichtregierungsorganisation Pew vergleicht die Investitionen der G 20-Länder. 2010 führte die Volksrepublik demnach mit 54 Milliarden US-Dollar, gefolgt von Deutschland mit 41 Milliarden. Zum Bruttoinlandsprodukt der Chinesen tragen die alternativen Energien allerdings weniger als ein Prozent bei – was weltweit immer noch der drittbeste Wert ist. Dieser Trend dürfte anhalten, denn der Druck ist enorm. Shi Dinghuan, Vorsitzender der chinesischen Gesellschaft für erneuerbare Energien, erklärt:

"Zu Beginn unserer Wirtschaftsreform vor 30 Jahren verbrauchte China nur 600 Millionen Tonnen Kohle jedes Jahr. 2010 lag die Zahl schon bei drei Milliarden. Pro Kopf sind das über zwei Tonnen Kohle. Und in Zukunft wird der Energiekonsum in China weiter steigen, denn die Wirtschaft entwickelt sich und die Städte wachsen. 2020 könnte der Verbrauch schon bei über vier Milliarden Tonnen Kohle im Jahr liegen. Momentan erleben wir Engpässe in der Stromversorgung, und zwar überall. Die wirtschaftliche Entwicklung treibt den Bedarf nach oben. Bei Engpässen wäre es das Einfachste, mehr Kohle zu fördern und mehr Kohlekraftwerke zu bauen. So aber würden wir nur noch mehr schädliche Klimagase erzeugen. Es würde immer schwieriger, die Luft wieder rein zu bekommen."

China will seinen Energieverbrauch bis 2020 zu 15 Prozent aus erneuerbaren Energien decken. Heute sind es acht Prozent. Wasserkraft ist dabei der große Hoffnungsträger. Vor allem im regenreichen Südwesten werden riesige Staudämme gebaut. Doch die Natur zeigt den Pekinger Planern Grenzen auf: Es regnete im Frühjahr 2011 so wenig, dass die Kraftwerke kaum genug Wasser hatten, um Energie zu erzeugen. Dennoch werden nach dem weltweit größten Staudamm an den berühmten drei Schluchten des Jangtze weitere Riesen-Dämme gebaut. In nur fünf Jahren haben die Chinesen sich auch beim Bau von Solarmodulen und Windrädern weltweit an die Spitze gesetzt. Magali Menant leitet für die deutsche Handelskammer in Shanghai Eco Net, eine Informationsplattform über Chinas grüne Industrien. Sie versteht, warum diese vom Ausland nach wie vor scharf kritisiert werden:

"Das Problem mit den Subventionen ist, dass das jetzt sehr intransparente Systeme sind. Es gibt keine fortschrittlichen Bedingungen im Bereich der Solarindustrie, wo die Unternehmen direkt subventioniert werden. Aber je nach der Region kann die lokale Industrie unterstützt werden mit kostengünstigen Konditionen zum Beispiel für Land und auch Steuervergünstigungen."

Eine Fabrikhalle in der Stadt Changzhou bei Shanghai: Tonnenschwere Ungetüme aus Stahl werden hier gegossen -Turbinengehäuse für Windräder. Li Jianyi ist stolz auf sie. Der Mittvierziger will einer jener Manager sein, die China zu einem grüneren Land machen:

"Die Windkraft ist noch eine neue Industrie. Zweifellos wird sie in den kommenden zwei, drei Jahrzehnten stark wachsen. Sie ist eine Hilfe, Schadstoffe zu verringern. Früher war Changzhou umgeben von kleinen Chemiefabriken. Aber dann kam 2008 die Algenpest am Taihu-See. Die Stadtregierung hat seither alle Chemiefabriken geschlossen, die um den Taihu-See angesiedelt waren. Was hier seither unterstützt wird, ist Wind- und Solarenergie."

Stolz führt Li Jianyi seine Fabrik vor, die halbfertigen Gehäuse, die bald Motoren und Flügel der Windräder zusammenhalten werden. Er betont: Wir produzieren keine giftigen Abwässer und Abfälle:

"Mein Ziel ist es, Weltklasseprodukte herzustellen. Wir haben zu viele Fabriken, die schlechte Qualität liefern. Es ist typisch für China, dass viele Leute gleichzeitig auf eine Sache aufspringen. Windkraft verspricht großes Geld. 1000 Windgeneratoren bedeuten umgerechnet eine Milliarde Euro. Das bringt einige Verwaltungsleute schier um den Verstand."

Li sagt, es wäre ihm lieber, wenn die Chinesen wie die Europäer Innovationen erstmal ausführlich testen würden, statt sofort in die Massenproduktion einzusteigen – mit Folgen, die vielleicht noch niemand kennt. Seine Stadt Changzhou ist Sitz von Trina, einer der bekanntesten chinesischen Solarfirmen. Doch Trina ist in Changzhou nicht allein in der Branche. Auch wir sind in nur drei Jahren ums zehnfache gewachsen, sagt Qin Yumao, Manager von Konkurrent Eging:

"2012 wird China ähnliche Einspeiseregelungen einführen wie Deutschland. Wenn diese in Kraft treten, werden die Marktchancen für die chinesische Sonnenenergie unvorstellbar. Wie die USA, hat China viel ungenutztes Land im Westen. Das bringt große Möglichkeiten für die Solarenergie."

Hat Chinas grüne Zukunft schon begonnen? Im Juni 2011 nahmen die Provinzregierungen von Hebei und Gansu über 1300 Windräder vom Netz, weil sie technisch zu schlecht waren. Laut den Wirtschaftsprüfern von Ernst und Young zeichnete China im zweiten Quartal 2010 zwar für mehr als die Hälfte der weltweiten Ausgaben für Windkraft verantwortlich. Dennoch drehen sich über ein Drittel aller chinesischen Rotoren, ohne an ein Stromnetz angeschlossen zu sein. Auch die Wasserkraft wird nicht effektiv genug genutzt. Zu viel Strom geht auf Tausenden von Leitungskilometern zwischen den Staudämmen und den Megastädten verloren. Die Regierung rationiert selbst Baogang aus Shanghai den Strom, dem größten chinesischen Stahlwerk, und das noch bis September. Denn im heißen Sommer wird besonders viel Energie verbraucht, weil die Chinesen ihre Klimaanlagen einschalten. Die Engpässe sind eine Warnung der Politik. Ganz bewusst schwor deshalb He Wenbo, der Chef von Baosteel, seine Firma im Mai auf einen grünen Kurs ein:

"Der Bedarf an Stahlprodukten wird weiter steigen, dennoch werden wir die Produktion, so wie sie bislang läuft, kaum weiterführen können, sie verbraucht zu viel Energie und erzeugt zu große Mengen an Treibhausgasen. Wir müssen also jeden Teil der Produktionskette überprüfen, alle Technologien verbessern und der Gesellschaft mehr energiesparende Produkte bereit stellen."

So klingen die ersten Elektrobusse der Marke Jiangsu E Motors. Für Firmenchef Henry Chen sind sie nur ein erster Schritt hin zu einem erschwinglichen kleinen Elektroauto. Er weiß, dass Premier Wen Jiabao in fünf Jahren eine Million davon auf den Straßen sehen will. Noch geht die Zahl aber gegen Null, obwohl die Branche weltweit bereits die chinesische Firma BYD kennt. Da muss Henry Chen lachen:

"BYD – sehr interessant! Diese Firma ist zum Symbol für Elektroautos geworden. Dennoch sehen wir keine BYD-Elektroautos auf den Straßen. Dafür umso mehr Benziner. BYD war mal als Batteriehersteller bekannt. Der Chef Wang Chuanfu hat das Konzept des Elektroantriebs benutzt, um sich als Autobauer zu platzieren. Ein smarter Typ! Ich finde es unfair, dass die Regierung vorwiegend Staatskonzerne fördert. Für private Firmen ist das Überleben immer noch schwer. Sie werden kaum unterstützt. Im Gegenteil: Die großen Staatsbetriebe bauen Monopole auf. Also müssen wir auch groß werden, um Unterstützung zu finden."

So groß wie Suntech, die größte Solarfirma der Welt. Suntech gehört dem Zwillingsbruder von Henry Chen und stieg zur neuen Saison in der Fußballbundesliga ein, als Hauptsponsor von 1899 Hoffenheim. Die Geschichte von Suntech klingt märchenhaft: Es war einmal ein Bauernsohn aus China namens Shi Zhengrong. Der brachte es in Australien zum Doktor der Elektrotechnik. Er forschte dort mit Solar-Experten. Was zu Hause auffiel. Und so nahm Shi Zhengrong vor zehn Jahren ein Sechs-Millionen-Dollar-Angebot seiner Heimatstadt Wuxi an. Die Aufgabe für den damals 37-Jährigen: Gründung einer Solarfabrik. Heute ist Suntech Weltmarktführer.

"Wir haben die Konkurrenz überall vernichtend geschlagen. Deshalb klagen sie nun über angebliches Dumping. Ich predige meinen chinesischen Kollegen, die Preise nicht zu sehr zu drücken. Made in China sollte international werden. Wenn wir Fabriken in Amerika und Europa bauen, schaffen wir dort neue Arbeitsplätze. Und bringen unsere Kritiker zum Schweigen."

Suntech hat aktuell fünf Fabriken in China, eine in den USA, und Niederlassungen in 13 Ländern. Die Firma profitierte von Starthilfen des US-Bankenriesen Goldman Sachs und ist seit 2005 an der New Yorker Börse gelistet. Der Hauptsitz liegt aber nach wie vor in Wuxi bei Shanghai. Dort hat sich Suntech einen postmodernen Glaspalast als Zentrale bauen lassen – natürlich betrieben mit Sonnenenergie.

Alternative Energien sind in China politisch erwünscht, worauf auch ausländische Firmen setzen. Erdwärme, Energiegewinnung aus den Gezeiten des Meeres – das sind laut der chinesischen Gesellschaft für erneuerbare Energien neue Themen, die in der Volksrepublik immer mehr beachtet würden. Denn auch dort sehen die Menschen die Atomkraft nach Fukushima kritisch. Kernkraft rechnet die Regierung aber zu den alternativen Energien. Shi Dinghuan, Vorsitzender der Gesellschaft für erneuerbare Energien, berät Peking. Bei einem Wirtschaftsforum in Changzhou machte der Nuklearphysiker klar:

"Die Kernkraft steht vor neuen Herausforderungen. Was in Fukushima passiert, muss uns eine Warnung sein. Weil aber Atomkraft sauber ist und fossile Energie ersetzen kann, müssen wir daran festhalten. China wird nukleare Technologien weiter entwickeln."

Dass Peking wegen der Katastrophe in Japan das eigene Atomprogramm überprüfen lässt, dürfte also nur ein sehr kurzer Stopp sein. 77 Kraftwerke sind geplant, zusätzlich zu den bestehenden 13 Reaktoren, die derzeit nur ein Prozent des chinesischen Stroms liefern. Zu fast drei Vierteln wird der immer noch aus Kohle gewonnen. Magali Menant vom Shanghaier Informationsnetz Eco Net prophezeit:

"Wenn man sieht, was installiert worden ist für Stromerzeugung letztes Jahr, 38 Prozent davon waren grüne Energien und Nuklearenergien. Das heißt 38 Prozent aller installierten Kapazitäten für die Stromerzeugung in China produziert kein CO2, vor allem weil jetzt schon eine große Industrie hier entstanden ist im Wind- und Solarbereich."

Die Expertin der deutschen Handelskammer ist überzeugt: Grün ist in China tatsächlich die Zukunft und nicht nur ein Schlagwort.
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