China zu Gast bei der Londoner Buchmesse

Von Esther Dischereit · 16.04.2012
Die regimekritischen Autoren sind offiziell nicht eingeladen, wollen aber trotzdem die Londoner Buchmesse besuchen. Bei Ling und andere Schriftsteller der unabhängigen Literaturszene Chinas sollen Gäste des Standes der Verleger aus Hongkong sein. Esther Dischereit hält das Verhalten der London Bookfair für einen Skandal.
Während Chinas Kulturoffensive mit Zhang Yimous Film "Reine Liebe” in Berlin die Völker und Gefühle einander näher bringen sollte, entbehrt der chinesische Auftritt in London zum gleichen Zeitpunkt jeglicher Illusion.

Wir erleben mit der Londoner Buchmesse und dem British Council, wie sich der Gastgeber unter die Ägide des Gastes China begibt, dessen politischen Vorgaben Folge leistet und die dissidenten Autorinnen und Autoren und unabhängigen Stimmen nicht zu Wort kommen lässt.

Während die chinesische Delegation mit den von ihr benannten 21 Schriftstellern an diesem Morgen zum britischen Frühstück erscheint, haben es die Veranstalter selbst nicht für nötig befunden, weitere wichtige Gäste mitzubringen. So wurden die Nobelpreisträger Gao Xingjian, Liu Xiaobo, die aktuell publizierenden Liao Yiwu, Bei Ling und andere, nicht eingeladen.

Im Rahmen der chinesischen offiziellen Delegation befinden sich dabei auch Autoren, die längst andere Pässe haben. Es ist wie im Fußball beim Nationalspiel. Auch hier werden die Auswärtigen, wenn es vom Renommee her passt, nominiert. Der chinesische Dissident Bei Ling, der im Jahr 2000 nach seiner Verhaftung in die USA ausgewiesen wurde, und seitdem in Taiwan im Exil lebt, macht zu Recht geltend, dass das präsentierte Spektrum der Literatur die unabhängigen Stimmen ausschließt, jene, die wegen ihrer Literatur im Gefängnis sitzen, zensiert wurden, ins Exil gehen mussten und doch weiter schreiben.

Werke, die einstmals zur Untergrundliteratur zählten, konnten in den letzten Jahren auch innerhalb Chinas gelegentlich Rehabilitierung und Anerkennung erfahren, andere nicht. Insgesamt spielt die Kraft der unabhängigen chinesischen Literatur eine bedeutende Rolle in den Literaturen der Welt. Es liegt daher der Schluss nahe, dass sie nicht etwa fehlt, weil sie kein oder ein unbedeutender Teil der chinesischen Literatur wäre, sondern weil sie für ein unabhängiges Denken steht und dem Partnerland nicht passte.
Wenn Literatur-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek schockiert ist und schreibt, dass sie es im Gegenteil als eine Verpflichtung ansieht, auf die Unterdrückung von Literaten und Künstlern hinzuweisen, so scheint diese Forderung zwar einerseits selbstverständlich, aber andererseits doch weit vom Selbstverständnis der Buchmessen-Veranstalter entfernt zu sein.

Wiederholt fragte Bei Ling, der Gründer des unabhängigen chinesischen PEN und diesjähriger Leipziger Buchmessen-Autor, die Organisatoren, ob es nicht unbedingt zum literarischen Geist gehöre, unabhängig Denken zu wollen und damit auch Widerspruch zu sein. Er schlug Gespräche zu Zensur und Selbstzensur vor.

The London Book Fair und British Council sprechen von 180 chinesischen Verlagen, von China als Markt und ihrer Aufgabe, eine Geschäftsmesse zu sein. Die Frankfurter Buchmesse-Organisatoren schafften es im Jahr 2009 immerhin noch, sich zu besinnen und luden die Unerwünschten nach Protesten wieder ein.

The London Book Fair wird als Skandalon in die gegenwärtige, auch europäische Buch-Geschichte eingehen. Zhu Yufu zum Beispiel ist seit Februar 2012 verurteilt wegen der Zeilen: "Es ist Zeit. Chinesisches Volk. Es ist Zeit. Der Platz gehört allen...ein Lied gehört allen...China gehört allen. Es liegt in Deiner Hand / Es ist Zeit zu entscheiden über das, was aus China wird.” 7 Jahre Haft.

Esther Dischereit, Lyrikerin, Erzählerin, Essayistin, Theater- und Hörstückautorin, 1952 in Heppenheim/a.d.B. geboren; Studium in Frankfurt am Main; Gewerkschaftsreferentin; Kuratorin bis 2006, Berlin: contemporary art/new media; 1995 Fellow am Moses-Mendelssohn-Zentrum für europäisch-jüdische Studien in Potsdam. Ab 1996 Gastlesungen an der University of Massachusetts, Amherst, Washington University of St. Louis, Cornell-University, Ithaca, MIT, Boston, University of California, Berkeley, Princeton University u.a. in USA und Kanada. 2004 Deutsches Haus New York, 2010 writer-in-residence Oberlin-College, USA. Esther Dischereit erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Stipendien. Jüngste Arbeiten: "Nothing to know but Coffee to go", Hörstück DLR, 2007; ständige Klanginstallationen in Zus. mit Dieter Kaufmann, Eichengrün-Platz, Dülmen, 2008; Ausstellung Goethe-Institut, Jerusalem, 2009; "Der Morgen an dem der Zeitungsträger", Erzählungen, Suhrkamp, Frankfurt a.M., 2007, "Im Toaster steckt eine Scheibe Brot", Vorwerk 8, Berlin, 2007; "Vor den Hohen Feiertagen gab es ein Flüstern und Rascheln im Haus", Berlin, 2009; Tanzperformance zus. mit Holly Handman-Lopez "Yours Faithfully, 1933", 2010; "Anna Kaufmann" Wurfsendung DLR, 2012 - Erich-Fried-Preis
Die Lyrikerin, Erzählerin und Autorin Esther Dischereit
Esther Dischereit© Deutschlandradio - Bettina Straub
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