China-Kenner fordert "Dialog mit den Unterdrückten"

Moderation: Andreas Müller · 26.04.2011
Deutsche Kulturschaffende und Intellektuelle haben noch keine Haltung gegenüber autoritären Regimen wie in China gefunden, sagt der Journalist Shi Ming. Er fordert einen Dialog mit breiteren Kreisen der chinesischen Gesellschaft - und nicht nur mit den Machthabern.
Andreas Müller: Seit mehr als drei Wochen ist der weltberühmte chinesische Künstler Ai Weiwei verschwunden. Seit seiner Verhaftung am 3. April durch die chinesischen Sicherheitsbehörden in Peking ist unklar, wo er sich aufhält, wie es ihm geht. Die Universität der Künste in Berlin will Ai zum Gastprofessor machen, die Akademie der Künste erklärt sich solidarisch und veranstaltet heute Abend eine Podiumsdiskussion unter dem Titel "Ai Weiwei und die Kunst der Aufklärung – eine deutsche Debatte". Das ist durchaus wörtlich zu verstehen, es werden tatsächlich nur Deutsche auf dem Podium sitzen. Ich begrüße jetzt den Journalisten Shi Ming, der 1989 ins deutsche Exil ging. Shi Ming, guten Tag!

Shi Ming: Guten Tag!

Müller: Schauen wir einmal auf die Besetzungsliste des Podiums. Akademiepräsident Klaus Staeck hat unter anderem Bernd Neumann eingeladen, den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur, Egon Bahr ist mit dabei – wahrscheinlich als Realpolitiker –, Klaus Schrenk, einer der Macher der Ausstellung "Die Kunst der Aufklärung" in Peking, der Autor und Sinologe Tilman Spengler – das ist eine rein deutsche Runde zu einer deutschen Debatte. Deutsche reden über China. Wo bleibt da überhaupt China?

Ming: Das ist eine sehr gute Frage, denn die Aufklärung oder die Kunst der Aufklärung in Peking war ja eigentlich nach eigenen Angaben der Ausstellungsmacher so gedacht als eine – wie Tilman Spengler sagte – Flaschenpost-Ausstellung. Die Chinesen sollten angesprochen werden, die diese Flaschenpost aufgreifen sollten. Es ist also eindeutig so, dass man einen – wenn man so will – Dialog mit Chinesen im Allgemeinen suchen will, und wenn dem so ist, dann wäre das natürlich zu wünschen, dass bei der sogenannten deutschen Debatte auch Chinesen zu sprechen sind. Diese abgeschlossenen Debatten jenseits der chinesischen Szene muten auch schon deshalb ein bisschen befremdlich an, weil natürlich solche Ausstellungen so oder so gedeutet werden können, zum Beispiel die Verhaftung von Ai Weiwei unmittelbar nach der Eröffnung dieser Ausstellung – da kann man nicht mehr wegdiskutieren, dass diese Verhaftung mit der Ausstellung nichts zu tun hätte.

Müller: Was vermuten Sie? Warum bleiben die Chinesen ausgeschlossen von dieser aktuellen Debatte hier heute Abend zum Beispiel?

Ming: Ich denke, dass deutsche Intellektuelle zumal eher ein Problem mit sich selber haben, dass sie noch keine Haltung gefunden haben, wie sie zum Beispiel gegenüber autoritären Regimes sich verhalten sollen. Sollen sie – um Aufklärung noch mal aufzugreifen – dieses Regime mit aufklären, sozusagen, dass wenn die Machthaber aufgeklärt sind … man kann ja auch auf etwas offenere Machthaber hinweisen, wie Gorbatschow damals, auch der frühere Jelzin. Sollte man das Volk aufklären, dass dann aufbegehrt gegen die Machthaber? Soll man die Intellektuellen aufklären in China? All diese Fragen bleiben den Intellektuellen hier in Deutschland, auch den Ausstellungsmachern, unklar. Diese Flaschenpost ist ja quasi ohne Adressat. Jeder, der da vorbeikommt, der so unverbindlich ein bisschen Interesse findet, der kann die Flaschenpost öffnen. Wird es denn dann sein, dass ein Machthaber Interesse hat? Dass er sagt, guck mal, wie man mich stürzt? Oder soll da ein Intellektueller, ein Dissident, Interesse haben, dann wird er nämlich weggesperrt wie das Beispiel Ai Weiwei zeigt.

Müller: Man hört bei Ihnen raus, dass Sie ein bisschen enttäuscht sind von der Haltung deutscher Kulturschaffender und Museumsleute, jedenfalls bei dem, was in den letzten Wochen zu hören war. Nun gibt es ja seit Samstag den Berliner Appell, wo über 100 deutsche Sinologen, Wirtschafts- und Kulturvertreter ganz deutlich die Freilassung Ai Weiweis fordern, und da haben viele – auch prominente – Namen unterschrieben, und das alles sehr deutlich. Gibt Ihnen das ein bisschen Hoffnung?

Ming: Ja, die Hoffnung ist ambivalent. Es ist immer fast so im Westen, dass man so lange wartet, bis jemand verhaftet wird, und dann fordert man die Freilassung. Und ansonsten macht man weiter so, obwohl man eigentlich voraussehen kann, voraussehen können muss – und insbesondere diejenigen, die lange Zeit mit China sich beschäftigen, um zu wissen, dass selbst die aufgeklärtesten Herrscher in China, Deng Xiaoping zum Beispiel, durchaus in der Lage waren und sind, Schießbefehl gegen das eigene Volk zu geben. Und das zeigt sich jetzt auch pikanterweise im Nahen Osten. Auch Assad wird lange Zeit als sehr westlich-aufgeklärt angesehen, aber wir haben gerade die Nachricht, dass dieser aufgeklärte Despot zu allem fähig ist.

Müller: Es gab sofort Kritik, dass nach der Verhaftung Ai Weiweis die Ausstellung "Kunst der Aufklärung" fortgesetzt wurde. Die Verteidiger der Schau führen ja ins Feld, dass es darum ging, die Werte der Aufklärung nach China zu tragen. Martin Roth, ein weiterer Ausstellungsmacher, sagte in der FAZ nach der Kritik, er glaube an die Macht des Dialoges, das müsse fortgesetzt werden, also die Werte der Aufklärung nach China tragen, Dialog führen. Wie wertig ist dieses Argument, sind diese Argumente?

Ming: Mir ist aufgefallen, dass bei allen, die für den Dialog eintreten – es gibt kaum noch einen Intellektuellen, der nicht dafür eintritt – eine Frage unbeantwortet bleibt: Mit wem führt man den Dialog und über was? Wenn man also mit aufgeklärten Machthabern in Peking Dialog führt, führt man natürlich einen sehr politischen, staatspolitischen Dialog. Dieser Dialog ist natürlich immer auch von Bedeutung. Auch chinesische Andersdenkende in Peking bestätigen immer wieder, dass sie sich nicht wünschen, dass dieser Dialog nicht stattfindet. Aber sie wünschen sich noch etwas anderes: Sie wünschen, dass der Dialog erweitert wird, dass der Dialog nicht ausschließlich mit den Machthabern darüber geführt wird, wie die Machthaber sich bitteschön bessern sollen, sondern dass der Dialog vordergründig mit jenen geführt wird, die unterdrückt werden, die ihre Rechte erkämpfen.

Wenn man also diesen Wunsch folgte, dann stellt sich natürlich eine sehr scharfe Frage an alle, die für den Dialog mit China eintreten, nämlich die Frage: über welche Kanäle gedenken sie den Dialog mit den Unterdrückten zu suchen? Wie soll es gelingen, wenn zum Beispiel in einer machtdemonstrierenden Art und Weise dieses Museum der chinesischen Nation so protzig wieder aufgebaut wird, und mitten in Peking, direkt am Platz des himmlischen Friedens, eine Ausstellung der Kunst der Aufklärung aus Europa stattfindet – wäre das nicht auch symbolisch schon ein Affront? An jenem Platz nämlich wurde gerade die Aufklärung ad absurdum geführt, 1989, als die Studentinnen und Studenten mit ihrem jungen Leben nichts anderes gefordert haben, als die Realisierung der Ideale der europäischen Aufklärung, und als sie dann mit Panzern und Maschinengewehren unterdrückt wurden. Und ich denke, bevor diese Frage, mit wem man den Dialog über was führen will, beantwortet wird – klar und deutlich! – wäre jede Diskussion fast schon eine Heuchelei für sich, denn wer ist nicht für einen Dialog?

Müller: Im Deutschlandradio Kultur spreche ich mit dem Journalisten Shi Ming. Bei all diesen Fragen nach Dialog, nach Aufklärung ins Land tragen, et cetera, ist mir jemand aufgefallen, nämlich der britische Chinakenner Martin Jaques, der hat vor zwei Jahren ein vielbeachtetes Buch veröffentlicht: "When China rules the World", und der ist vor einigen Tagen vom Berliner "Tagesspiegel" interviewt worden, und da sagte er einen interessanten Satz: Wir verstehen erbärmlich wenig von China. Also könnte es sein, dass die, die da jetzt zum Beispiel fordern, die Ausstellung müsse fortgeführt werden, man müsse einen Dialog führen, einfach viel zu wenig wissen?

Ming: Vielleicht wissen sie etwas, aber vielleicht haben sie ihr Wissen eher museal verstanden. Museal heißt: Etwas steht fest, etwas ist abgeschlossen, etwas gilt unangefochten. Aber ist China wirklich so, Gegenstand solchen Wissens? China ist in einem der größten Transformationsprozesse in der Geschichte der Menschheit. Jeden Tag ändert sich das Antlitz der Hauptstadt Peking, noch mehr das Antlitz des Landes. Also selbst die chinesischen Intellektuellen zweifeln an bestehenden Wissenssystemen und diskutieren im Internet, vordergründig über beinahe alle Fragen. Es gibt also Diskussionen, zum Beispiel, ob die Armee noch der Partei unterstellt bleiben sollte oder einer Zivilregierung, Diskussionen über soziale Versicherungen, soziale Absicherung gegenüber familiären Pietäten – schlicht und kurz, es gibt über alles offene Diskussionen, sehr kontroverse, dass das Regime heute sich immer schwerer tut, solche Diskussionen zu verbieten.

Wenn in diesem Kontext Intellektuelle aus Europa hineinplatzen und sagen: Wir haben bestehende Wissenssysteme, wir erachten diese Wissenssysteme als Nonplusultra, als ultima Ratio, als Wahrheit des letzten Tages, sozusagen für Museen reif, dann versteht man in der Tat zu wenig, aber nicht generell zu wenig von China, sondern von Transformationen schlechthin. Und im Übrigen zeigen gerade die Befürworter des offenen Dialoges oft, dass sie ihre eigene Tradition der Aufklärung sehr wenig verstehen. Zum Beispiel Michael Roth, der da sagte, er kann nie, nie, nie verstehen, dass ein Regime so diametral zu einem so offenen Land steht. Hat er denn vergessen, dass Schiller gerade als Aufklärer die damaligen Tyranneien mit schärfsten Worten angegriffen hat? Würde also so ein Museumsdirektor nicht verstehen, dass Aufklärung historisch notwendig geworden ist, gerade weil das Regime ja so autoritär wäre.

Müller: Ganz kurz noch zum Abschluss: Wir haben heute diese Podiumsdiskussion, auf dem Podium sitzen mehr oder weniger Leute, die für eine Fortführung dieser Ausstellung sind. Was erwarten Sie überhaupt noch von deutscher Politik und von deutschen Kulturschaffenden in der nächsten Zukunft, wenn es um diese Fragen geht?

Ming: Ich würde viel mehr von meinen eigenen Wünschen sprechen als von meinen Erwartungen. Ich denke, ich wünsche, dass deutsche Kulturschaffende und Intellektuelle bereit sind, mit breiteren chinesischen Kreisen zu sprechen und nicht allein mit chinesischen Machthabern, dass sie innerchinesische Diskussionen als globale Diskussionen aufgreifen, und nicht bloß von bestehendem Aufklärungsgut ausgehen, und dass sie nicht museal denken, sozusagen: Hier gibt es etwas, was wir euch als komplettes System zeigen können.

Müller: Das war der chinesische Journalist Chi Ming, vielen Dank!


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