Cheryl Della Pietra: "Gonzo girl"

Unterwegs mit Gonzo-Vater Hunter S. Thompson

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Der US-Autor Hunter S. Thompson © picture-alliance/ dpa/dpaweb / Kosmicki
Von Maike Albath · 30.07.2016
Cheryl Della Pietra war einst Muse von Hunter S. Thompson, dem Begründer des Gonzo-Journalismus. Als Ally Russo erzählt sie in ihrem autobiografisch inspirierten Roman "Gonzo Girl" von der Zeit mit Walker alias Thompson und entwirft das Psychogramm eines Egomanen.
Hey – cooler kann ein Job für eine abenteuerlustige Universitätsabsolventin mit literarischen Ambitionen doch kaum sein: Assistentin bei einem Pulitzerpreisträger! Der Inbegriff des New Journalism, systemkritisch, umschwärmt wie ein Rockstar! Dass die Sache nicht bezahlt wird und unkalkulierbare Risiken birgt, ist zweitrangig. Alley Russo, Ich-Erzählerin und weibliche Hauptfigur des autobiographisch inspirierten und semidokumentarischen Romans Gonzo girl, verschreibt sich ihrer Aufgabe mit Haut und Haaren.
Etwas anderes bleibt ihr allerdings auch kaum übrig. Für ihre schwarzen Klamotten, ihr ledergebundenes Notizbuch und ihre bebrillt daher kommende Professionalität hat man hier nur Spott übrig. Der Mann, um den sich alles dreht, heißt Walker Reade, lebt mit seiner Entourage in den Bergen bei Aspen in Colorado und verbringt den Tag damit, bewusstseinserweiternde Substanzen zu konsumieren und Spaß zu haben. Da eine Menge Leute von ihm abhängen und sein Lebensstil mehr als kostspielig ist, braucht er dringend Geld. Ein Roman muss her, was sonst.

Walker alias Thompson - der klassische Kotzbrockentyp

Hinter Walker Reade verbirgt sich unverkennbar Hunter S. Thompson (1937-2005), und Alley ist das alter ego von Cheryl Della Pietra, die tatsächlich Assistentin bei dem Urheber des Gonzo-Journalismus und legendären Reporters des Rolling Stone war. Ihr Roman ist das Zeugnis dieser Erfahrung und zugleich das Psychogramm eines unverbesserlichen Egomanen, von dem die junge und äußerst ehrgeizige Frau dennoch profitiert. Walker alias Thompson ist der klassische Kotzbrockentyp, dem es gefällt, andere mit seinem unausgegorenen Gefühlsleben zu tyrannisieren.
Er transformiert Alley im Handumdrehen in eine scharfe Gonzo-Braut, die im Stretch-Minirock Drinks mixt, für gute Stimmung sorgt und sogar am Schießstand ihren Mann steht. Nebenbei presst sie Nacht für Nacht ein bis zwei Seiten aus ihrem Idol raus, die sie umschreibt und an den Lektor faxt. Höhepunkte der in ihrer Exaltiertheit eintönigen Tage sind Zusammenkünfte mit Freunden. Dem Schauspieler Larry, leicht als Johnny Depp zu identifizieren, kann Alley natürlich nicht wiederstehen.

Drei Frauen für einen Mann

"Gonzo girl" kommt schnoddrig und unterhaltsam daher – Cheryl Della Pietra bietet leichtes braincandy und liefert einen Einblick in die Popkultur der 90er-Jahre. Walker ist mit 52 Jahren längst ein Drogenwrack, das kaum mehr etwas zustande bekommt. Trotzdem schafft er es, drei Frauen in Atem zu halten. Seine Privatsekretärin Claudia, eine Mischung aus Mama, Freundin, PR-Agentin und Hausdame, außerdem das Schluder-Luder Deavney, aktuelle Bettgespielin, halb so alt wie Walker, die immer in Nachtwäsche gekleidet zwischen Couch und Whirlpool hin und her pendelt. Ergänzt wird das Ganze durch die Herkunftsgeschichte der Heldin, die aus einem bodenständigen italienischen Klempnerhaushalt mit mehreren Brüdern stammt und eigentlich die Buchhaltung der Familienfirma hätte übernehmen sollen.
Verblüffend ist, dass Della Pietra das Frauendemütigungsgenie Walker zwar entlarvt, aber sich ihm am Ende doch unterwirft und auf kritische oder ironische Brechungen verzichtet. Am Ende klappt man das Buch mit einem Seufzer der Erleichterung zu: Alles ist besser, als ein gonzo girl zu sein.
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