Chemischer Krieg

Von Irene Meichsner · 07.02.2007
Zwei Millionen Hektar tropischen Regenwalds haben die Amerikaner während des Vietnamkriegs mit Pflanzengiften zerstört. Gesundheitsschäden für die Menschen in den verseuchten Gebieten leugnen sie bis heute. Vor 40 Jahren begann der flächendeckende Einsatz des Giftes "Agent Orange".
"Damit die Piloten, wenn sie jeweils unterschiedliche Mittel unter ihre Tragflächen schnallen sollten, damit die es einfacher hatten, hat man die Fässer mit dem jeweiligen Entlaubungsmittel mit unterschiedlichen Farbringen versehen, das waren dann also Fässer mit weißen Farbringen, blauen Farbringen - oder eben orangen. Und so bekamen diese dann den Namen 'Agent White‘, 'Agent Blue‘ oder eben 'Agent Orange‘. 'Agent Orange' hat eben durch seine starke Vermischung mit Dioxin zu den schwersten Folgeschäden geführt."

Heinz Palla ist Arzt, hat während des Krieges in Vietnam gearbeitet, unterstützt heute "Agent Orange"-Opfer. Weit über 70 Millionen Liter Pflanzengifte versprühten die Amerikaner auf Wälder und Felder, zu zwei Dritteln "Agent Orange" mit dem Ultragift Dioxin. Weil Dioxin das Erbgut schädigt, erstrecken sich die Folgen über Generationen. Schätzungsweise hunderttausend Babys, über deren Eltern und Großeltern sich "Agent Orange" ergossen hatte, kamen wie die Tochter von Nguyen Thi Gai mit schweren Behinderungen zur Welt.

"Als mein Kind geboren wurde, war ich sehr traurig, weil ich mich fragte: Was geschieht mit ihr, wenn ich einmal nicht mehr lebe? Bis zum heutigen Tag ist das meine Sorge geblieben, und sie wird bis zu meinem Tode bleiben. Ich hoffe nur, dass die Wissenschaft Fortschritte machen wird und dass der Staat meine Familie unterstützt."

9141 Sprüheinsätze flogen die Amerikaner. Strategisches Ziel: eine Entlaubung des Dschungels, um den kommunistischen Rebellen ihre Tarnung zu nehmen und sie so von ihrem Nachschub abzuschneiden. Schon im November 1961, lange bevor die ersten regulären US-Truppen in Vietnam einmarschierten, hatte Präsident John F. Kennedy der Aktion zugestimmt. Anfangs waren es nur kleinere Mengen Gift. Dann wurden die Sprühaktionen häufiger, deckten immer größere Flächen ab.

Im Februar 1967, als die USA schon mit einigen hunderttausend Soldaten in Vietnam vertreten waren und ihre größte Offensive in Gang setzten, entflammte auch der chemische Krieg. Allein auf ein Dschungelgebiet nordwestlich von Saigon gingen Anfang 1967 969.000 Liter Giftbrühe nieder. Die Ärztin Phan Thi Phi Phi stieß in den betroffenen Regionen auf höhere Raten bei Leberkrebs, Lungenkrebs und Krebs im Nasen-Rachen-Raum.

"Zwar fehlt uns das Geld für exaktere wissenschaftliche Untersuchungen. Aber ich sehe es doch mit meinen eigenen Augen: Menschen, die in belasteten Gebieten lebten, haben mehr Krebs, ihre Kinder haben mehr Geburtsschäden, die Frauen haben mehr Gebärmutterkrebs."

Die USA leugnen solche Zusammenhänge. Doch das Thema holt die Amerikaner immer wieder ein - heute nicht mehr nur wegen "Agent Orange". Jeanne Stellman, Chemikerin an der Columbia University in New York, wertete bis dahin geheime Militärakten aus. Das Ergebnis schlug im April 2003 wie eine Bombe ein.

"Vor 'Agent Orange' wurde bereits 'Agent Purple' eingesetzt. Es enthielt die gleichen Wirkstoffe, nur in anderer Formulierung. Als die chemische Industrie begriff, wie groß die Sache mit den Herbiziden wird, schaltete sie auf 'Agent Orange' um. Es ließ sich billiger herstellen. Das vorher benutzte 'Agent Purple' aber war wesentlich höher mit Dioxin belastet als 'Agent Orange', vielleicht 100 Mal so stark. Und auch wenn nicht so viel davon versprüht wurde, 'Agent Purple' setzte enorme Mengen Dioxin frei."

Stellman kommt zu dem Schluss, dass über Vietnam doppelt so viel Dioxin verteilt wurde wie bislang angenommen.

"Bis heute gibt es keine einzige Studie zu der Frage: Was sind die Langzeiteffekte für Umwelt und Gesundheit? Das kann und sollte jetzt in Gang kommen. Es ist schon beschämend: 32 Jahre nach dem Krieg kann diese Frage noch immer niemand beantworten."