Casting fürs Schloss

Gesucht: Farbloses Staatsoberhaupt!

Bundespräsident Joachim Gauck schreitet durch einen großen Saal auf zwei Flügeltüren zu, mit dem Rücken zum Betrachter.
Bundespräsident Joachim Gauck verlässt nach der Bekanntgabe, dass er kein zweites Mal für das Amt des Staatsoberhauptes kandidiert, den Raum der Pressekonferenz im Schloss Bellevue. © dpa/Kay Nietfeld
Von Marie Sagenschneider · 11.06.2016
Nicht die Farbe der Partei, sondern die persönliche Farbe des Kandidaten prägt Erfolg und Qualität des Amtes, mahnt Marie Sagenschneider. Statt des üblichen taktischen Kandidaten-Castings um das Bundespräsidentenamt sollte besser über die Erwartungen an ein Staatsoberhaupt geredet werden.
Kaum hat Joachim Gauck angekündigt, dass es nach fünf Jahren auch mal gut ist, geht das Gerangel los: wer sucht gemeinsam mit wem eine Kandidatin, einen Kandidaten? Wer muss sich gegeneinander profilieren? Ist eine Person mit Unionshintergrund für die SPD wählbar, eine mit sozialdemokratischem Hintergrund für die Union? Verbündet sich rot-rot-grün gegen die Union?
Wenn ja, welche Signale werden damit gesetzt mit Blick auf die kommende Bundestagswahl, auf mögliche Konstellationen oder Bündnisabsichten?
Ja, Herrschaften – wen interessiert das denn? Außer natürlich eine Handvoll Politiker und Journalisten, die jedes My an mehr oder weniger ernstzunehmenden Gerüchten in diesem Sinne interpretieren werden: Geht Angela Merkel bei der Kandidat*innen-Suche auf die Grünen zu, um anzudeuten: schwarz-grün ist mein Favorit? Oder sucht sie gemeinsam mit den Sozialdemokraten?

Bundespräsidentenwahl entscheidet nicht über Bundestagswahl

Huch, doch wieder große Koalition! Vielleicht will sie aber auch beide im Boot haben, um sich alle Optionen offenzuhalten?
Optionen für was? Die Bundestagswahl?
Zur Erinnerung: Die Bundesversammlung wird im Februar 2017 einen neuen Bundespräsidenten – oder vielleicht eine Bundespräsidentin wählen. Die Bundestagswahl findet im September statt, also sieben Monate später.
Und dann? Stehen wir dann wirklich in der Wahlkabine und grübeln darüber nach, welche Person das präsidiale Amt innehat und wie uns das in unserer Entscheidung beeinflusst?
Lächerlich. Sieben Monate sind in unserer schnelllebigen Welt eine Ewigkeit. Andere Ereignisse werden uns längst beschäftigt und aufgeregt haben, die Wahl der Bundesversammlung ist fast schon der Vergessenheit anheimgefallen. Außerdem sind die Zeiten vorbei, in denen sich Parteien auf ihre Wähler*innen verlassen konnten.
Wir leben nicht mehr in der alten Bundesrepublik, als Wahlentscheidungen von Tradition und Treue geprägt, kaum veränderlich waren. Das Wahlvolk entscheidet kurzfristiger und ist unberechenbarer geworden – wie der überraschende Wiederaufstieg der bereits tot geglaubten AfD zeigt. Manchmal reicht eine Silvesternacht in Köln.

Kandidatensuche der Parteien ist ein überholtes Ritual

Wir werden trotzdem wieder erleben, wie parteipolitische Taktik die Suche nach einem Bundespräsidenten prägt. Wie Namen in den Ring geworfen, fröhlich zerredet und potenzielle Kandidat*innen beschädigt werden. Ein vorhersehbares, langweiliges und unzeitgemäßes Spiel, weil es die meisten Menschen gar nicht mehr interessiert. Im Grunde drückt es nur die Selbstentfernung der politischen Elite von der Bevölkerung aus.
Wenn die Person erst gewählt ist, denkt doch kaum einer von uns darüber nach, welcher Partei sie angehört oder welcher sie nahesteht. Hat man etwa Johannes Rau, als er Bundespräsident wurde, als SPD-Politiker wahrgenommen? Oder Richard von Weizsäcker als CDU-Politiker?

Wer unter den Geeigneten erfüllt unsere Erwartung?

Nein. In diesem Amt ist Überparteilichkeit gefragt. Und Haltung, wenn es drauf ankommt. Gute Reden schreiben zu können, ist definitiv auch nicht von Nachteil.
Es gibt viele Menschen, die geeignet wären, dieses Amt auszuüben. Eine Parteikarriere ist dafür nicht notwendig – aber auch kein Hindernis.
Einige Namen sind bereits genannt worden: Navid Kermani, Margot Käßmann, Norbert Lammert – jeder von uns kann diese Liste problemlos erweitern. Genau das sollten die Politiker tun und jenseits von Partei-Arithmetik offen darüber diskutieren, welche Erwartungen wir alle an dieses Amt haben.
Denn die Erfahrung zeigt ja: ganz gleich, wer es wird – er oder sie kann diesem Amt einen Stempel aufdrücken. Und dieser Stempel ist nie schwarz, rot oder grün, er hat immer eine persönliche Farbe.
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