C.P.E Bach

"Ganz eigene Tonsprache"

Anlässlich des Bach-Jahres wehen am 23.01.2014 vor der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) (Brandenburg) Flaggen mit dem Konterfei des Komponisten Carl Philipp Emanuel Bach. Das Jahr 2014 steht für die Europa-Universität Viadrina und Frankfurt (Oder) ganz im Zeichen von Carl Philipp Emanuel Bach und seinem 300. Geburtstag. Der große Musiker hat nicht nur als Bürger der Stadt in Frankfurt (Oder) musikalisch gewirkt. Er war seit 1734 auch Student der Rechte an der alten Frankfurter Universität. Aus dieser Verbindung erwächst für das Jubiläumsjahr eine enge Kooperation zwischen der Stadt und der Europa-Universität Viadrina.
Konterfei von C.P.E. Bach auf Fahnen in Frankfurt an der Oder © dpa-Zentralbild / Patrick Pleul
Alexander Steinhilber im Gespräch mit Dieter Kassel · 07.03.2014
Der Bach-Sohn Carl Philipp Emanuel ging ab den 1760er-Jahren intensiv in die Öffentlichkeit und vernetzte sich mit Gleichgesinnten. Auch in Hamburg setzte er als Komponist viele neue Impulse, sagt der Leiter des dortigen Musikreferats, Alexander Steinhilber.
Dieter Kassel: Ana-Marija Markovina spielte das "Allegro" aus der Klaviersonate A-Moll, Wotquenne-Verzeichnis 57.2 von Carl Philipp Emanuel Bach. Über den reden wir heute, einen Tag, bevor wir seinen 300. Geburtstag begehen, bevor das unter anderem drei Städte, in denen er sich aufgehalten hat, gemeinsam begehen – die haben sich in einem Netzwerk zusammengeschlossen, und stellvertretend für dieses Netzwerk redet mit uns Alexander Steinhilber. Er ist der Leiter des Musikreferats der Kulturbehörde der Stadt Hamburg.
Herr Steinhilber, in Weimar wurde er geboren, dann gab es kurz Köthen, dann kam danach Leipzig, wegen seines Vaters natürlich. War Leipzig vielleicht die erste Stadt, in der auch Carl Philipp Emanuel musikalischen Einflüssen ausgesetzt war?
Alexander Steinhilber: Auf jeden Fall, natürlich im Kontext der Arbeit seines Vaters, aber er besuchte auch dort die Thomasschule, die berühmte Thomasschule und wirkte dort im Thomanerchor mit, war allerdings im Unterschied zu seinem älteren Bruder Wilhelm Friedemann zunächst vom Vater weniger für den Musikerberuf als für ein ganz anderes Fach vorgesehen, nämlich für das Jurastudium, das er in Leipzig dann auch begonnen hat.
Kassel: Stand er denn ein bisschen im Schatten seines Vaters damals? Später, das wissen wir inzwischen, war er unter den Zeitgenossen viel berühmter als der Vater, aber war das am Anfang anders?
Steinhilber: Das war am Anfang sicherlich anders. Er hat bei seinem Vater natürlich Klavierunterricht bekommen und er sagte, er hat nie einen anderen Lehrmeister gehabt als seinen Vater, aber er war natürlich noch in einem jugendlichen Alter. Es gibt erste Kompositionen, die wir aus dieser Zeit erhalten haben, aber natürlich war sein Vater der Leipziger Thomaskantor.
Kassel: Er hat – Sie haben es ja selber gerade gesagt – das Jurastudium in Leipzig begonnen und dann in Frankfurt an der Oder fortgesetzt. War das so ein Moment in Carl Philipp Emanuels Leben, wo eventuell er an einem Scheideweg stand, ob er überhaupt Berufsmusiker wird?
Steinhilber: Ich glaube, das stand nicht zur Frage. Es war nicht die Frage, wenn man ein Jurastudium anfängt, ob man am Ende Jurist wird, sondern das Jurastudium war damals eher so ein Generalstudium, in dem man lernte, auch Briefsteller zu sein, in dem man auch lernte, sich mit anderen Themengebieten auseinanderzusetzen. Heute würde man das vielleicht als Studium generale bezeichnen. Und insofern, glaube ich, war es nie die Frage, ob er selbst für sich entschieden hat, Musiker zu werden. In Frankfurt an der Oder, wo er ab 1734 war, hat er natürlich auch musikalische Aktivitäten entwickelt. Er hat Klavierunterricht gegeben, er hat dort ein Collegium musicum geleitet und Eigenkompositionen und Werke des Vaters aufgeführt.
"Vielerlei Musikaktivitäten" in Frankfurt an der Oder
Kassel: Er hat an der Viadrina damals studiert, eine damals sehr bedeutende Universität in Europa. Aber war Frankfurt eigentlich, Frankfurt an der Oder, damals eine Musikstadt?
Steinhilber: Frankfurt an der Oder war sicherlich keine Musikstadt im eigentlichen Sinne. Das würde mir jetzt schwerfallen, das zu sagen. Aber man kann natürlich schon sagen, dass es im 18. Jahrhundert in Frankfurt an der Oder, weil die Universität tatsächlich bedeutend war, vielerlei Musikaktivitäten gab, und es waren auch wichtiger Vertreter der Musikgeschichte in Frankfurt an der Oder und haben dort studiert.
Kassel: Es kam dann am Ende der Frankfurter Zeit zu einem Kontakt, der vielleicht der wichtigste in Carl Philipp Emanuels Leben war, wobei das schwer zu sagen ist, weil er viele wichtige und berühmte Leute kennengelernt hat in seinem Leben: Der spätere Preußenkönig Friedrich II. hat ihn dann zuerst nach Ruppin geholt und später dann als König an den Hof nach Potsdam und Berlin. War das möglicherweise die wichtigste und, was eine andere Frage ist, die schönste Zeit in seinem Leben?
Steinhilber: Ich glaube, dass es eine sehr wichtige Zeit für ihn war, denn an der Hofkapelle, wo er ab 1740 war, waren damals etwa 40 Musiker beschäftigt, das war eine der bedeutendsten und eine der größten Hofkapellen in Deutschland, und er hat dort sicherlich, wenn man es neudeutsch mal so formulieren möchte, eine sehr kreative Atmosphäre vorgefunden. Er war am Berliner bzw. Potsdamer Hof als eine Art pianistischer Alleskönner angestellt. Er war für das Accompagnement, für die Begleitung zuständig, und das musste er absolut stilsicher machen. Andererseits muss man natürlich sagen, dass der König ihn sehr lange nicht den Status eines Komponisten oder Virtuosen zugebilligt hat, und nach dem Siebenjährigen Krieg ist der Musenhof am Hof Friedrichs II. auch etwas zum Erliegen gekommen, worunter Carl Philipp Emanuel sehr gelitten hat.
Kassel: Das heißt, es war ein bisschen so wie heute: Wenn das Geld ausgeht, wird zuerst an Kunst gespart?
Steinhilber: Das mag in Teilen so sein. Wir wissen allerdings auch, dass Carl Philipp Emanuel ab den 1760er-Jahren mit seinen Veröffentlichungen sehr stark noch an die Öffentlichkeit getreten ist und seine Netzwerkaktivitäten, wenn man das so sagen will, deutlich entwickelt hat. Er hat mehrfach versucht, die Hofkapelle zu verlassen, hat sich zwei Mal leider erfolglos um das Amt des Leipziger Thomaskantors beworben, und es gab zu einem bestimmten Zeitpunkt auch eine Gehaltserhöhung für ihn.
Kassel: Es gibt, glaube ich, also er behauptet in seinen Memoiren ja, er hätte mehrfach eine bekommen, wirklich überliefert ist nur eine, aber Sie sagen Gehaltserhöhung – da hat er, soviel ich weiß, fast das Doppelte plötzlich bekommen.
Steinhilber: Da hat er das Doppelte bekommen. Es gab zuvor einen relativ erbitterten Streit mit einem Kollegen, und am Ende hat ihm der König dann fast das Doppelte zugebilligt.
Kassel: Nun könnte man ja glauben: So einen König zu haben wie Friedrich II. muss für einen Musiker ein Geschenk sein, denn Friedrich II. war ja selber Musiker. Er hat sich gerne an der Flöte betätigt, hat auch selber komponiert. War das immer nur ein Segen für jemanden wie Carl Philipp Emanuel Bach, oder könnte das manchmal auch ein Fluch gewesen sein?
Steinhilber: Wir haben über das Musizieren Friedrichs II. sehr unterschiedliche Auskünfte, und man muss schon sagen, dass sich Carl Philipp Emanuel häufig sehr bemühen musste, die Unsicherheiten des Königs, die Unsicherheiten im Rhythmusverständnis des Königs elegant auszugleichen.
Kassel: Mit anderen Worten, das ist wie heute: Wenn man einen Chef hat, der sich auskennt, aber auch nur so ein bisschen, kann das heikel sein.
Steinhilber: Das kann durchaus heikel sein.
Der Befreiungsschlag in Hamburg
Kassel: Wir hören passenderweise an dieser Stelle Musik aus der Berliner Zeit von Carl Philipp Emanuel Bach, wir hören einen Ausschnitt aus dem Konzert für Flöte solo, Streicher und Basso continuo in D-Dur, den Finalsatz "Allegro assai" hören wir, gespielt vom Ensemble il Gardellino.
Wir reden heute, einen Tag, bevor wir dann wirklich alle ganz offiziell seinen 300. Geburtstag begehen können, stellvertretend für ein Städtenetzwerk von sechs Städten, in denen Bach gelebt und gewirkt hat, mit Alexander Steinhilber, dem Leiter des Musikreferats der Kulturbehörde einer dieser Städte, der Stadt Hamburg nämlich. Und nun tun wir Ihnen mal den Gefallen, Herr Steinhilber, und verlassen Berlin und Potsdam, so wie Carl Philipp Emanuel Bach das dann nach fast 30 Jahren auch getan hat, als er nach Hamburg gegangen ist. Wir haben ja vorhin über Friedrich II. und die Vor- und Nachteile dieses Königs geredet. Als er nach Hamburg gegangen ist, war das auch so eine Art Befreiungsschlag?
Steinhilber: Das war sicherlich eine Art Befreiungsschlag, denn Bachs Dienstherr in Berlin hatte sich im Laufe der Jahre vom schöngeistigen Musenkönig eher zu einem verbitterten Kriegsfürsten verwandelt, und das Königreich steckte in seiner tiefsten Wirtschaftskrise seit Jahren – und nun kam Carl Philipp Emanuel Bach in die weltoffene Atmosphäre in Hamburg, der bürgerlich geprägten Handelsmetropole und hat dort eine ganz andere Situation vorgefunden, auch in wirtschaftlicher Hinsicht, denn sein Gehalt hat sich deutlich weiterentwickelt.
Kassel: Einerseits schon, aber andererseits hat man heute leicht die Vorstellung, ein – und das war er ja zu der Zeit – so berühmter Mann, der kommt, kassiert und wirkt nur so ein bisschen. Er hatte aber doch ganz schön viele konkrete Aufgaben in Hamburg.
Steinhilber: Er hatte enorm viele Aufgaben, vor allem hatte er ganz andere Aufgaben, als er sie zuvor hatte, denn er hatte als städtischer Director musices die Verantwortung für die Kirchenmusik an den fünf Hauptkichen, und das waren im Jahr bis zu 200 Aufführungen, die er zu musizieren und die er musikalisch zu gestalten hatte.
Kassel: Sein Vorgänger war sein eigener Patenonkel Telemann. Hat er versucht, anzuschließen, oder hat er versucht, alles neu zu machen?
Steinhilber: Er hat sicherlich versucht, auch anzuschließen, er hat aber auch viele neue Aspekte aufgenommen, er hat viele neue Impulse auch durch seine ihm ganz eigene Tonsprache gesetzt, aber er war natürlich erst mal in der schwierigen Situation, diese Unmenge von Kompositionen jeden Sonntag auf die Bühne bzw. in die Kirche zu bringen, und zu diesem Zweck hat er sehr häufig Anleihen von seinem Vorgänger Telemann, von seinem Patenonkel, aber auch von seinen Berliner Kollegen, von seinem Vater genommen.
Kassel: Wie weit kann man beurteilen nach so langer Zeit – es gibt natürlich keine Ton- oder gar Bildaufnahmen –, wo er sich am wohlsten gefühlt hat? Hat er besser in die Atmosphäre Preußens gepasst oder besser doch in die bürgerliche Kaufmannsstadt Hamburg?
Kirchenmusik und Klavierkomposition
Steinhilber: Ich glaube, das kann man so nicht gegeneinander abgrenzen. Ich glaube, dass für ihn beides wichtig war: Für die preußische Atmosphäre war ihm natürlich wichtig, sehr viel Repertoire zu spielen in der Hofkapelle, sehr viel Musik auch kennenzulernen, und aus diesem Aspekt dann auch seine Kompositionsweise in Hamburg dann auch weiterzuentwickeln. In Hamburg hatte er natürlich diese kirchenmusikalische Verpflichtung, aber er war weiterhin sehr aktiv als Klavierkomponist, und Klavier bedeutet in diesem Zusammenhang natürlich nicht das heutige Klavier, wie wir es kennen, sondern es bedeutete bei ihm vor allem das Cembalo, aber auch das Clavichord und später dann das Fortepiano.
Kassel: Mir geht natürlich so als ein Mensch, der nicht frei ist von Vorurteilen, bei Hamburg auch durch den Kopf, dass es nun mal eine Kaufmannsstadt ist, dass es ums Geschäft geht und dass vielleicht Carl Philipp Emanuel da nicht so schlecht reingepasst hat, denn, Sie haben es erwähnt, sein Jurastudium in Leipzig und in Frankfurt war so eine Art Studium generale, und ich glaube, er kannte sich doch mit kaufmännischen Dingen, auch wenn es um seine eigene Musik ging, gar nicht so schlecht aus.
Steinhilber: Carl Philipp Emanuel Bach passte hervorragend in das Hamburger Kaufmannsmilieu, denn er war ja auch als Verleger tätig und er gab seine Ausgaben nur heraus, wenn sich genug Leute gefunden haben, sogenannte Pränumeranten, die seine Ausgaben auch kaufen wollten, und dafür hatte er Agenten in ganz Europa unterwegs, bis nach Moskau.
Kassel: In ganz Europa muss man nicht unterwegs sein morgen, aber man kann unterwegs sein in den sechs Städten, die sich zu einem Netzwerk zusammengeschlossen haben zum 300. Geburtstag von Carl Philipp Emanuel Bach, das sind Weimar, Leipzig, Frankfurt an der Oder, Potsdam, Berlin und Hamburg, aber auch an anderen Orten gibt es Konzerte und andere Veranstaltungen. Auch bei uns kann man alles im Internet nachlesen, hören werden wir jetzt gleich noch Musik. Erst mal möchte ich mich bei Ihnen bedanken und von Ihnen verabschieden, Alexander Steinhilber war das, er ist der Leiter des Musikreferats der Kulturbehörde der Stadt Hamburg. Herr Steinhilber, vielen Dank und ganz viel Vergnügen vor allem morgen!
Steinhilber: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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