Burkini-Verbot

Es ist nur ein Stück Stoff

Eine Frau schwimmt im Burkini in einem Schwimmbecken.
Das Oberste Verwaltungsgericht in Frankreich hat das Burkini-Verbot in der Stadt Villeneuve-Loubet ausgesetzt. © EPA
Von Marie Sagenschneider · 27.08.2016
Kleidungsstücke wie Kopftuch, Burka oder Burkini geben Frauen die Möglichkeit, sich in einer für sie fremden Gesellschaft frei zu bewegen und sich zu entwickeln, meint Deutschlandradio Kultur-Wortchefin Marie Sagenschneider. Deshalb sollten wir sie dulden.
Auf die Gerichte ist glücklicherweise Verlass. Beendet dürfte der Streit über ein Für und Wider Burkini damit noch nicht sein, denn die Lunte, die einige südfranzösische Bürgermeister gelegt haben, kam dem Pulverfass schon ziemlich nah.
So nah, dass das US-Außenministerium quasi schon eine Reisewarnung für Frankreich rausgegeben hatte: Wer an die Riviera fährt, solle bitte die örtliche Kleiderordnung beachten. Besonders beim Strandbesuch.
Sprich: Leggins und Bluse – schwierig. Kopftuch – kritisch. Ganzkörperbadeanzug – geradezu kriminell. Wer so auftritt, muss in diesen Tagen damit rechnen, von der Geschmackspolizei umstellt und aufgefordert zu werden, sich nackig zu machen.

Strenggläubige Muslimas als Kampfsymbol instrumentalisiert

Zwei Polizisten mit blauer Uniform stehen mit Rücken zur kamera am Strand von Cannes. Im Wasser sind Badende zu sehen, am Strand Urlauber in sommerlicher Kleidung.
Polizisten am Strand im französischen Badeort Cannes. Dort ist das Tragen von Ganzkörper-Badeanzügen verboten.© picture alliance /dpa /MAXPPP /Patrice Lapoirie
Viel nackte Haut gilt einigen offenbar die einzig angemessene Kleidung am Strand. Zuviel Stoff provoziert. Nicht nur in Frankreich. Auch Brandenburg hatte seinen Burkini-Aufreger: Zwei Frauen wurden in einer Therme von anderen Badegästen beschimpft. Flott setzte sich die AfD aufs Thema und forderte ein generelles Burkini-Verbot in deutschen Schwimmbädern, der rechte Stammtisch im Netz jubilierte.
Was ist eigentlich so gefährlich an Burkini, Kopftuch oder Burka? Es geht ja nicht um ein Stück Stoff zu viel, es geht noch nicht mal um Religion. Der Facebook-Post eines italienischen Imams hat es gut auf den Punkt gebracht: am Strand planschende Nonnen im vollen Habit – also Kopf und alles andere gut bedeckt – erregen keinen Anstoß. Strenggläubige Christinnen gehören halt zu unserem Kulturkreis und sind deshalb unverdächtig. Strenggläubige Muslimas hingegen werden als Kampfsymbol instrumentalisiert. Die Stadtverwaltung von Cannes argumentierte hier in schönster Offenheit, als sie das Strandverbot begründete mit "ostentativer Kleidung, die auf eine Zugehörigkeit zu terroristischen Bewegungen hinweist, die gegen uns Krieg führen".
Frankreich ist traumatisiert durch die Anschläge. Frankreich ist im Wahlkampf. Und Frankreich war schon auf dem Weg durchzudrehen und seinen Kompass zu verlieren.

Trägerinnen sehen Burkini als Akt der Emanzipation

Vier muslimische Frauen in unterschiedlichen Schleiern: dem Hijab, dem Niqab, dem Tschador und der Burka.
Von oben links nach unten rechts: Hijab, Niqab, Tschador, Burka.© AFP PHOTO
Dass im Geburtsland der Menschenrechte, die Freiheit und Gleichheit garantieren, blanker Sexismus zur (lokalen) Staatsraison wurde, ist beschämend. Frauen wurden vor aller Augen und sehr demonstrativ gedemütigt, verunsichert, an den Pranger stellt. Sie werden in den privaten Raum gezwungen, aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen. Alles im Namen der Sicherheit.
Der Burkini wird von denjenigen, die ihn tragen, als ein Akt der Emanzipation begriffen. Es handelt sich ja nicht um Frauen, die vorher freizügig am Strand gebadet haben und sich in plötzlicher religiöser Wandlung verhüllen. Es handelt sich um Frauen, die ansonsten gar nicht öffentlich baden würden. Die ohne Kopftuch oder Burka für sich keine Chance sähen, sich in der westlichen Gesellschaft zu integrieren und weiterzuentwickeln.
In Großbritannien hat man das verstanden. Eine Polizistin in Uniform und mit Kopftuch oder ein Polizist mit Sikh-Turban sind dort nicht nur erwünscht, sie werden sogar umworben. Warum? Aus Gründen der Integration, natürlich. Aber auch weil staatliche Organisationen die Gesellschaft, der sie dienen, repräsentieren sollen.

Wir fremdeln mit Kopftuch und Burkini

Eine indonesische Polizistin trägt einen Hijab im Dienst.
Ein Kopftuch ist nur ein Stück Stoff. Und ein Stück Stoff ist an gar nichts schuld, meint Marie Sagenschneider.© picture alliance / dpa / Hotli Simanjuntak
Unsere Gesellschaft verändert sich. Sie verändert aber auch diejenigen, die zu uns kommen - wenn wir ihnen die Möglichkeiten eröffnen. An religiöser Ausdruckweise sollte es nicht scheitern. Religiosität war schon immer ein Hort des Konservatismus – wo auch immer, in welchem Jahrhundert auch immer. Emanzipation hat sie trotzdem nicht verhindert.
Wir fremdeln mit Kopftuch und Burkini. Und ja, eine Burka, also die Vollverschleierung, ist schwer zu ertragen, weil wir erwarten, dass man Menschen ins Gesicht schauen kann. Gefährlich sind sie alle nicht.
Es ist nur ein Kleidungsstück. Nur ein Stück Stoff. Und ein Stück Stoff ist an gar nichts schuld. Wenn es aber Menschen ermöglicht, sich in einer für sie fremden Gesellschaft frei zu bewegen und sich zu entwickeln, dann sollten wir es dulden.
Wer Kleidungsverbote fordert oder verteidigt, den haben die religiösen Extremisten dort, wo sie ihn haben wollen: auf dem Weg in eine Gesellschaft, die ihre von der Aufklärung geprägten Werte verrät, und die sich auf das gleiche intolerante und rückständige Niveau begibt, das uns diejenigen vorleben, die wir mit einem Burkini-Verbot angeblich bekämpfen wollen.
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