Bundestag

50 Jahre Aktuelle Stunde

Bundeskanzlerin Merkel spricht vor dem Plenum des Bundestags in der Haushaltsdebatte für 2015.
Seit 50 Jahren gibt es die Aktuelle Stunde im Deutschen Bundestag. © Clemens Bilan / AFP
Von Änne Seidel · 10.02.2015
Spontaner, aktueller, interessanter sollten sie werden, die Debatten im Bundestag. Deshalb führten die Abgeordneten vor 50 Jahren die "Aktuelle Stunde" ein. So kamen immer wieder aktuelle, umstrittene Themen auf die Tagesordnung - von der Wiedervereinigungspolitik bis hin zu Plagiatsvorwürfen gegen Politiker.
Carlo Schmid: "Es ist das erste Mal, dass wir von diesem neuen Instrument parlamentarischer Demokratie Gebrauch machen. Aller Anfang ist schwer…",
… warnt der SPD-Politiker und Bundestagsvizepräsident Carlo Schmid die Abgeordneten. Es ist der 10. Februar 1965 und der Bundestag übt sich in einer ihm bis dahin unbekannten Form der parlamentarischen Debatte: Die "Aktuelle Stunde" soll mehr Leben in die oftmals zähen Diskussionen im Bundestag bringen. Oberstes Gebot ist daher: vorgefertigte Reden und Statements sind tabu.
"Ich werde also, wenn ich feststelle, dass einer der Sprecher glauben sollte, auf diese Hilfe nicht verzichten zu können, ihn einmal ermahnen und, wenn er seine 'Krücken' nicht wegstellt, werde ich ihm das Wort entziehen!"
Eine knappe Stunde diskutiert das Parlament an diesem Tag Äußerungen des französischen Präsidenten Charles de Gaulle zur Wiedervereinigungspolitik. Sogar Bundeskanzler Ludwig Erhard ergreift das Wort. Die Opposition ist zufrieden, am Ende zieht der SPD-Politiker Karl Mommer positive Bilanz:
"Meine Damen und Herren, ich glaube, dass es sich gelohnt hat, dass wir diese aktuelle Stunde hier veranstaltet haben."
Teilung Deutschlands immer wieder Thema
Bis in die 80er-Jahre machten die Abgeordneten dennoch eher selten Gebrauch von der neuen Diskussionsform. Inzwischen aber kommt der Bundestag über 100 Mal pro Legislaturperiode zu einer "Aktuellen Stunde" zusammen – meist auf Antrag der Opposition. Bis zur Wende war die Teilung Deutschlands immer wieder Thema. Heute diskutiert das Parlament mal die Anschaffung von Kampfdrohnen:
Christine Buchholz (Die Linke): "Frau von der Leyen, ziehen Sie jetzt die Reißleine, wir wollen keine gekauften, aber auch keine geleasten Kampfdrohnen, wir wollen gar keine Kampfdrohnen!"
… und mal die Auswirkungen der Euro-Krise:
Michael Roth (SPD): "Jeder zweite Jugendliche in Griechenland hat keinen Job, hat keine Perspektive, das ist eine Tragödie, das ist für uns alle, die wir ein Herz haben, eine Tragödie!"
Mehr Mut zu freier Rede
Nicht immer sind die Debatten emotional und konfrontativ, aber immer wieder. Hoch her ging es etwa 2011 in einer "Aktuellen Stunde" zu den Plagiatsvorwürfen gegen den damaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg von der CSU. Regierungs- und Oppositionsparteien lieferten sich einen hitzigen Schlagabtausch. Mit dabei: Thomas Oppermann von der SPD und Hans-Peter Friedrich von der CSU.
Thomas Oppermann: "Diese Arbeit ist in großen Teilen nicht Ihre Leistung, Herr Guttenberg, Sie haben getäuscht, Sie haben betrogen, Sie haben gelogen!"
Hans-Peter Friedrich: "Das was Sie, lieber Herr Oppermann, hier aufgeführt haben, das ist keine ordnungsgemäße parlamentarische Opposition, das ist eine Unverschämtheit, was Sie hier gemacht haben!"
Dennoch: Für Oppositionspolitiker, wie etwa Hans-Christian Ströbele von den Grünen, könnten die Diskussionen in der Aktuellen Stunde noch lebendiger sein – Ströbele wünscht sich wieder mehr Mut zur freien Rede. Ganz im Sinne von Carlo Schmid, der diese heute vor fünfzig Jahren so vehement eingefordert hatte.
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