Bülan Ucar: Den Islam in die Moderne hineintragen

Bülent Ucar im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 13.07.2010
Eine islamische Religionspädagogik "auf der Höhe der Zeit" fordert der Osnabrücker Wissenschaftler Bülan Ucar. Im Schulunterricht solle das in Familie und Gemeinde erworbene Wissen kritisch reflektiert werden.
Jan-Christoph Kitzler: Gerade haben wir über die Burka berichtet. Sie soll nun in Frankreich verboten werden, und das, obwohl es dort nur schätzungsweise 2.000 Frauen gibt, die dieses Kleidungsstück tragen. Das zeigt vielleicht auch das Dilemma, wenn in der Öffentlichkeit auch bei uns in Deutschland über den Islam diskutiert wird. Die Debatten bewegen sich dann meist in den Extremen zwischen radikalen Islamisten und ganz entschiedenen Islam-Gegnern. Die vielen normalen Muslime, die in Deutschland ihren Glauben leben und genauso wenig auffallen wie Christen, kommen in der Diskussion nicht vor.

Darüber spreche ich jetzt mit Bülent Ucar, Professor für islamische Religionspädagogik an der Universität Osnabrück. Guten Morgen!

Bülent Ucar: Guten Morgen!

Kitzler: In Deutschland dürfen muslimische Frauen die Burka tragen. Was halten Sie denn von dem geplanten Verbot in Frankreich?

Ucar: Grundsätzlich glaube ich, dass das ein quantitatives Randphänomen ist und deshalb sich die Auseinandersetzung mit dieser Frage nicht wirklich lohnt, und zum anderen wird man das erreichen, was man immer nicht erreichen möchte, nämlich eine Trotzreaktion bei den Betroffenen. Deshalb halte ich insgesamt wenig von dieser Debatte.

Kitzler: Die Frage ist ja, wie der Staat mit dem Islam umgeht. Kommen wir mal nach Deutschland. Bundesinnenminister de Maizière fordert, dass der Staat mit dem Islam genauso kooperieren soll wie zum Beispiel auch mit den christlichen Kirchen, zum Beispiel beim Thema Studiengängen. Sind Sie für solche staatliche Hilfestellung?

Ucar: Diese Forderung ist richtig und berechtigt. Gerade westliche Gesellschaften, Demokratien, zeichnen sich ja dadurch aus, dass sie unabhängig von der jeweiligen Religionsgemeinschaft alle Menschen gleich behandeln, und wenn es nun einmal in Deutschland katholische, evangelische, jüdische Studiengänge gibt, die theologischer Art sind, dann ist es auch richtig, folgerichtig und sachlich angemessen, dass man Studiengänge schafft für islamische Theologie und islamische Religionspädagogik. Ich glaube, dass diese Forderung richtig ist.

Kitzler: Die Frage ist ja nur, wenn man islamische Studiengänge einrichten will und dabei der Staat kooperieren soll mit dem Islam, wer sind die Ansprechpartner? Die muslimische Szene in Deutschland ist höchst zersplittert. Man weiß ja eigentlich gar nicht, mit wem man verhandeln soll, zum Beispiel über neue Lehrstühle.

Ucar: Ja, das ist eine schwierige Frage. Diese Frage lässt sich so einfach nicht beantworten. Letztlich ist es eine politische Ermessensentscheidung, die entweder auf der Ebene der Politik der Länderebene zu treffen ist, weil die letztlich dafür die Kompetenz haben, oder es muss der Weg über die Gerichte gegangen werden und die höheren Gerichte müssen an dieser Stelle entscheiden. Ich glaube, dass man einfach so die Verbände nicht als Ansprechpartner nehmen kann. Ich glaube aber auch nicht, dass man diese Verbände einfach so umgehen kann. Man muss da irgendwie Wege finden, und ich glaube, dass der Wissenschaftsrat jetzt hier auch über die Beiratslösung einen ersten Versuch unternommen hat, wie man dieses Problem umgehen kann. Ich halte diese Lösung insgesamt für pragmatisch und damit auch richtig.

Kitzler: Die Verbände repräsentieren aber natürlich auch unterschiedliche Richtungen des Islam. Kann es überhaupt eine einheitliche Islam-Wissenschaft in Deutschland geben unter diesen Voraussetzungen?

Ucar: Insgesamt ist natürlich der Islam so vielfältig wie die Muslime von Indonesien bis nach Marokko auch. Das ist ebenfalls richtig. Allerdings hat der Islam auch sozusagen einen breiten Konsensbereich, der zwischen allen Muslimen oder den allermeisten gleich und identisch ist. Ich vergleiche es immer mit dem Katholizismus. So wie sich der Katholizismus im Rheinland von dem in Bayern oder in Brasilien unterscheidet, gibt es auch letztlich Gemeinsamkeiten zwischen allen Katholiken weltweit und Ähnliches auch mit Muslimen. Und am Ende des Tages, wenn es dann sozusagen zwei verschiedene islamische Studiengänge gibt, die einen eher sunnitisch geprägt, die anderen eher schiitisch oder alevitisch, dann muss man damit auch umgehen können.

Kitzler: Die Frage ist natürlich, wie man wissenschaftlich mit dem Islam umgeht. Bei den christlichen Theologen gibt es ja zumindest Einigkeit darüber, dass man wissenschaftliche Methoden auch auf die Bibel anwendet, sie als Quelle liest und auf historische Wahrheiten hin überprüft. Im Islam wird ein solches Herangehen von den allermeisten Theologen ja nicht akzeptiert, oder?

Ucar: So einfach kann man das nicht sagen. Das Thema ist viel zu komplex. Es gibt sicherlich einen Teil, der sozusagen das ähnlich sieht, wie Sie das vorhin dargestellt haben. Es gibt aber auch immer mehr muslimische Theologen, die durchaus auch unterschiedliche methodische Zugänge zu den islamischen Quellen akzeptieren. In Bezug auf den Koran gibt es in der Tat dort eher eine restriktive Position. Das hängt aber auch grundsätzlich mit der Konstitution des Korans in der Glaubenstheorie der Muslime zusammen. Aber ich glaube, dass man gerade über solche Studiengänge auch solche Fraktionen innerhalb der islamischen Theologen stärken kann.

Kitzler: Es geht ja auch um die Frage, wie kann man den islamischen Glauben vermitteln, zum Beispiel in Schulen. Heute beginnt in Köln eine Tagung des Wissenschaftsrates über islamische Studien in Deutschland. Dort nehmen auch Sie an einer Diskussion teil über die Zukunft der islamischen Religionspädagogik. Wo liegt sie denn für Sie, diese Zukunft?

Ucar: Na ja, einerseits hat man jahrzehntelang in diesem Bereich in Deutschland nichts oder sehr wenig getan. Man hat die religiöse Unterweisung der muslimischen Kinder und Jugendlichen völlig den Familien und Gemeinden, Moscheegemeinden überlassen. Und jetzt in den letzten Jahren wird vermehrt darüber nachgedacht, einen islamischen Religionsunterricht einzuführen. Ich glaube, wir brauchen eine moderne islamische Religionspädagogik auf der Höhe der Zeit, die letztlich auch Rücksicht nimmt auf die Interessen der Schüler und pädagogische Kriterien einarbeitet, und nur so kann es wirklich gelingen, den Islam sozusagen in die Moderne hineinzutragen und auch hier angemessen umzusetzen.

Kitzler: Soll dieser Islam-Unterricht in den Schulen, den Sie ansprechen, Glaubensvermittlung leisten?

Ucar: Grundsätzlich ist zwischen verschiedenen Stufen, Ebenen der religiösen Tradierung und auch der Glaubensvermittlung zu unterscheiden. Jede Glaubensvermittlung oder jede religiöse Tradierung fängt zunächst in der Familie an, wird in der Gemeinde vertieft, und ich glaube, dass Schule eine andere Aufgabe hat. Glaubensvermittlung darf in einem bekenntnisgewohnten Religionsunterricht sicherlich nicht völlig ausgeklammert werden, das nicht, aber vornehme Aufgabe des islamischen Religionsunterrichts, wie auch des katholischen oder evangelischen, ist es meines Erachtens, das angelernte Wissen der Familie und in den Gemeinden zu reflektieren, und zwar kritisch zu reflektieren, nicht im negativen Sinne, sondern kritisch im wörtlichen Sinne.

Kitzler: Die Zukunft der Islam-Wissenschaft und der islamischen Religionspädagogik in Deutschland. Das war Bülent Ucar, Professor für Religionspädagogik an der Universität Osnabrück. Vielen Dank und einen schönen Tag.

Ucar: Gerne!
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