Buchpräsentation

Anklage gegen Machtmissbrauch

Der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff stellte am 10.06.2014 in Berlin sein Buch "Ganz oben ganz unten" vor.
Der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff stellte am 10.06.2014 in Berlin sein Buch "Ganz oben ganz unten" vor. © picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm
Von Stephan Detjen · 10.06.2014
Einen wichtigen Beitrag zur Selbstreflektion der Mediengesellschaft hat Christian Wulff mit seinem Buch "Ganz oben, ganz unten" geliefert. Ob er dadurch verlorene Ehre und Würde zurückerlangen kann, steht auf einem anderen Blatt.
Wäre das Bundesverfassungsgericht heute den Anträgen der NPD gefolgt, wäre Christian Wulff niemals Bundespräsidenten geworden. Seine Wahl 2010 wäre ungültig gewesen und Wulff am Ende seines präsidialen Dramas von einem Amt zurückgetreten, das er nie erlangt hat. Doch natürlich ist das Bundesverfassungsgericht der Finte der Rechtsextremisten nicht gefolgt und hat das Rad der Geschichte nicht zurückgedreht. Die Wahl der 14. Bundesversammlung war rechtens und was darauf folgte, ist eine andere Geschichte, die nicht Gegenstand des Karlsruher Verfahrens war.
Dass Wulffs Buchpräsentation in Berlin und die Urteilsverkündung in Karlsruhe heute auf denselben Tag fielen, ist Zufall. Christian Wulff hatte bei der Terminierung seines Auftritts nur die Justizbehörden in Hannover im Blick. Dort muss die Staatsanwaltschaft spätestens übermorgen über eine mögliche Revision gegen den Freispruch Wulffs entscheiden. Für ihn aber sind es längst nicht mehr die Richter der dritten Staatsgewalt, die über sein Schicksal entscheiden. Der Freispruch der Justiz, sagte Wulff heute, könne die Vorverurteilung der Medien nicht aufheben. Sein Buch ist eine Anklage gegen den Machtmissbrauch, den er der vierten Gewalt im Staate vorwirft. Viele der Belege, die er dafür aufführt, sind besser als das dürre Beweismaterial, das die Hannoveraner Staatsanwaltschaft am Ende aufzubieten hatte.
Beachtliches Restvertrauen in die Macht des Wortes
Wulff beweist mit seiner Streitschrift gegen eine ungezügelte Mediengewalt ein beachtliches Restvertrauen in die Macht des Wortes, die das Bundesverfassungsgericht heute in seinem zweiten Urteil, in dem es um die Äußerungsbefugnisse des Bundespräsidenten ging, als eigentliche und einzige Machtressource des Staatsoberhaupts benennt. Um wirken zu können, bedarf das Wort – das des Bundespräsidenten ebenso wie das des Staatsbürgers Christian Wulff – eines Resonanzraumes, den wiederum nur die Medien herstellen können. Zu Recht nimmt Wulff sie in die Verantwortung und fordert von ihnen – von uns Journalisten – das eigene Handeln selbstkritisch zu hinterfragen. Wulff hat mit seinem Buch einen wichtigen Beitrag zur Selbstreflektion der Mediengesellschaft geliefert.
Ob er dadurch wie erhofft verlorene Ehre und Würde wieder erlangen kann, steht auf einem anderen Blatt. In seinem Urteil über die Bundesversammlung schreibt das Bundesverfassungsgericht heute, die Würde des höchsten Staatsamtes werde gerade dadurch geschützt, dass seine Wahl ohne Aussprache stattfindet. Wulff hat diesen Zusammenhang zwischen Schweigen und Würde intuitiv verstanden, als er sich nach seinem Rücktritt dazu entschloss, die Mechanismen des Medienbetriebes konsequent zu unterlaufen, keine Interviews zu geben und alle Talkshows zu meiden. Er hat durch sein Schweigen möglicherweise mehr an verlorener Würde zurückgewonnen, als er in der Diskussion mit den Medien erkämpfen kann.
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