Buchmesse "Maghreb des Livres"

Paris-Algier, eine komplizierte Beziehung

Besucher der Messe "Maghreb des livres" im Rathaus von Paris
Besucher der Messe "Maghreb des livres" im Rathaus von Paris © Foto: Martina Zimmermann
Von Martina Zimmermann · 19.02.2017
Für zwei Tage verwandelt sich jedes Jahr das Pariser Rathaus in eine riesige Nordafrika-Buchhandlung. Diesmal stand Algerien im Fokus der Buchmesse "Maghreb des Livres". Viele Autoren von dort pendeln zwischen Frankreich und ihrem Heimatland.
Tausende Werke liegen zum Kauf aus, darunter Romane berühmter Schriftsteller wie Assia Djebar, Leila Slimani, Boualem Sansal, Yasmina Khadra oder Kamel Daoud. Aber auch Koch- und Reisebücher, Dokumentationen und philosophische Abhandlungen. 130 Autoren tummeln sich in den vergoldeten Sälen des Pariser Rathauses, signieren ihre Bücher, machen Lesungen, diskutieren in Literaturcafés und auf Konferenzen über aktuelle Themen, die derzeit den Buchmarkt beherrschen, wie der Krieg im Nahen Osten oder der Dschihadismus in Europa.
Wenn von Algerien die Rede ist, geht es nicht nur um aktuelle Literatur, sondern meist auch um den Algerienkrieg, der 1962 der 130 Jahre währenden Kolonialherrschaft ein Ende machte. Slimane Zeghidour präsentiert eine autobiografische Erzählung über seine Kindheit in den Bergen der Kabylei in einem Flüchtlingslager: Der Krieg in den Augen eines Kindes.
Der Algerienkrieg als militärischer und diplomatischer Konflikt sei beendet, meint der Schriftsteller, er lebe aber weiter als komplizierte und neurotische Beziehung zwischen Algeriern und Franzosen.
Marie Chominot veröffentlicht einen Bildband mit Kriegsbildern der Armee, die mal den Zweck der Propaganda hatten, aber auch Einblick geben ins Leben der Einheimischen. Die französische Historikerin erklärt:
"Viele Familien in Frankreich haben eine Verbindung zu Algerien. Mein Vater hat einen Teil seines Wehrdienstes in Algerien geleistet. Nach der Unabhängigkeit kehrte er als Agraringenieur dorthin zurück, um zu unterrichten."

Viele Intellektuelle sind im Exil

Algerische Literatur bewegte sich immer in einem Hin und Her zwischen dem nördlichem und dem südlichem Ufer des Mittelmeeres. Wenige Jahre nach der 1962 erkämpften Unabhängigkeit wanderten algerische Schriftsteller nach Frankreich aus, weil sie sich dort freier fühlten und Pariser Verlage ihre auf Französisch geschriebenen Werke veröffentlichten. Als Algerien in den 90er-Jahren Schauplatz von Anschlägen und Massakern islamistischer Terroristen wurde, suchten viele Intellektuelle in Frankreich Exil.
Literatur-Nobelpreisträger Albert Camus 1957
Literatur-Nobelpreisträger Albert Camus 1957© dpa / picture alliance /
Salah Guemriche lebt seit 40 Jahren in Frankreich und hat ein Dutzend Bücher veröffentlicht. Nur sein letzter Roman, den er im Pariser Rathaus signierte, wurde in Algier publiziert: "Aujourd’hui Meursault est mort" ist eine imaginäre Unterhaltung zwischen Albert Camus und dem Sohn des getöteten Arabers, den Camus in seinem Roman der Fremde sterben ließ.
"Ich habe Probleme mit den Verlagen in Frankreich und ich bin nicht der einzige", erklärt Guemriche. "Denn wenn Sie kritisch mit der Geschichte oder mit Frankreich oder mit der Ikone Camus umgehen, kommt das nicht an. Wenn Sie nicht schreiben, was man von Ihnen erwartet, wird es schwierig."
Heute teilen viele Schriftsteller ihr Leben zwischen Algier und Paris. In Algerien hat sich die Verlagsszene neu belebt. Buchhändler, die in den Krisenjahren Kosmetika oder Gebrauchswaren verkauften, üben wieder ihr ursprüngliches Metier aus, und jedes Jahr findet in Algier eine wichtige Buchmesse statt. Auch wenn sich viele Autoren nach wie vor kritisch mit ihrer Heimat auseinandersetzen: Es gibt wieder einen Platz für Unterhaltungsliteratur, mein Mouloud Achour:
"Mein neues Werk heißt: 'Ein Herbst in der Sonne'. Es ist eine Novelle die eine Liebesgeschichte erzählt zwischen einem alternden Mann, der eine Dame kennenlernt, die zu seiner Sonne wird."

Die Sprache der Straße

Comics aus Algerien, ein weiterer Schwerpunkt, bringen mindestens zum Schmunzeln. Der 70-jährige Slim ist eine Legende, seine Comics gelten als algerisches Kulturerbe:
"Ich begann 1968 und habe damals eine neue Sprache gefunden, die den Lesern gefiel", erzählt der Zeichner: Es sei die Sprache der Straße gewesen, Arabisch, Französisch und die der Berber. Die Leute hätten sich in seinen Zeichnungen wiedererkannt und die Comics hatten sofort Erfolg.
Slim signiert ein "Best of"-Album und ein neues Werk, in dem ein einfacher Bürger Präsident werden möchte. Was ihm nicht gelingt, weil die Wahl nicht an den Urnen entschieden wird. Auch Slim kam angesichts des Terrors in Algerien 1995 nach Frankreich. In den letzten Jahren lebt er zeitweise wieder in Algerien: Nur dort finde er seine Inspiration.
Daiffa ist der Künstlername einer Comiczeichnerin, die sich über Machos lustig macht und Ungerechtigkeiten anprangert, denen vor allem Frauen zum Opfer fallen:
"In den 90er-Jahren war ich eine der wenigen Zeichnerinnen der arabischen Welt. In unserer konservativen arabischen Gesellschaft gelten Zeichnungen als unnützer Zeitvertreib! Als ich klein war und zeichnete, hieß es, mach den Haushalt oder nähe etwas, Zeichnen bringt doch nichts. Wenn Sie das zehn Mal hören, nimmt Ihnen das den Schwung. Aber ich zeichnete heimlich weiter."
In Algerien arbeitete Daiffa für die Presse, in Frankreich war sie erst mal arbeitslos: Die französischen Zeitungen interessierten sich nicht für ihre Frauenfiguren. Auf der Buchmesse im Pariser Rathaus stellte sie dieses Jahr einen Band mit Zeichnungen vor. Titel: "Sei du selbst und sag was du denkst!"
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