"Brutal schön" im Museum Marta in Herford

Die gewaltsame Seite des Designs

Ausstellung "Brutal Schön" in Herford
Ausstellung "Brutal Schön" mit der Arbeit "Does that mean we don't get any presents" des Künstlers Barnaby Barford im Museum Marta in Herford. © picture alliance / dpa / Foto: Bernd Thissen
Von Volkhard App · 07.02.2016
Ein erschossener Weihnachtsmann liegt in einer Blutlache, Zaunpfosten, die an Auschwitz erinnern. Das Marta-Museum in Herford zeigt in der Ausstellung "Brutal schön" rund 100 Objekte zum Thema Kunst und Gewalt. Manches davon ist kaum zu ertragen.
Wagner-Klänge und Gewehr-Salven aus der Luft: diese martialischen Töne aus dem Filmklassiker "Apocalypse Now" stimmen den Besucher auf das Gewaltthema ein. Die vor dem Museum aufs Pflaster gemalten Umrisse einer Drohne tun ein übriges, und auch der seitlich aufgestellte mächtige Hubschrauber von Michael Sailstorfer ruft mit seinen verspiegelten Fenstern eher ungute Gefühle hervor.
Eine Welt der Kriege und der Gewalt schlechthin drängt sich in der oberen Etage des Marta-Museums. Da posiert ein gut genährtes kleines US-Mädchen auf einem Foto stolz mit einem Kindergewehr, ein rotes Regal ist aus einer Munitionskiste gefertigt und auf Wandteppichen aus Afghanistan finden sich neben traditionellen Ornamenten ganz selbstverständlich sowjetische Kampfhubschrauber als Motiv. Kuratorin Friederike Fast:
"Es geht eigentlich darum, erst einmal dieses Thema 'Gewalt/Gewalterfahrung', das wohl alle betrifft, irgendwie einzuordnen, hier einen Überblick zu verschaffen, eine Bestandsaufnahme vorzunehmen, aber mit Blick auf Designer und Künstler, die durchaus Lösungsvorschläge bereitstellen – in einer Zeit, die sehr geprägt ist von Angst, Unruhe und Verunsicherung. Ein Beispiel ist 'Skateistan'. Das ist ein Projekt, das in Afghanistan, Pakistan und Südafrika stattfindet. Hier werden Kinder, die unter sehr schwierigen Bedingungen aufwachsen, durchs Skateboard-Fahren an Bildung herangebracht."
Wie Gewalt sichtbar wird und wie ihr etwas entgegengesetzt werden kann – das will diese Ausstellung zeigen. Deutlich wird es bei der ökologischen Katastrophe, denn unser Umgang mit der Natur gehört in dieser Schau zur Bandbreite des Gewaltthemas. Hier das Foto mit einem verwesenden Meeresvogel, in dessen Körper sich Plastikabfälle befinden – dort innovative Kubaner, die mit zivilisatorischen Überbleibseln neue Alltagsobjekte schaffen. Und in einem Video wird sogar ein Orchester vorgestellt, das nur auf Recycling-Instrumenten spielt.
Ein Davidstern aus Stahl
Wer im Marta eine reine Design-Ausstellung erwartet, sieht sich mit einer Vielfalt von Exponaten konfrontiert. Dort, wo es tatsächlich um Design geht, ist die Provokation aber nicht weit. Da wird uns, kreiert von Ezri Tarazi, ein Pullover präsentiert, der Elemente einer Gasmaske aufweist und rasch übers Gesicht gezogen werden kann. Der Träger könne so schnell vom Alltags- in den Krisenmodus wechseln, verrät der lapidare Begleittext ganz unerschrocken. An anderer Stelle zieht ein Davidstern aus Stahl die Blicke an, der aufgeklappt als Schale zu nutzen ist. Und die auffälligen, großen Pfosten sind denen nachgebildet, die dem Zaun in Auschwitz Stabilität gaben. Hier werden denn doch Geschmacks-Grenzen überschritten. Wer nur holt sich derartige Garderobenständer ins Haus?
"Das sind jetzt Entwürfe, das sind noch Prototypen. Insofern gibt es die so noch nicht auf dem Markt zu erwerben. Aber es ist ein durchaus ernstgemeintes Objekt. Das ist ein Designer, der lebt in Berlin, ist Israeli. Ronen Kadushin gehört eben zu der Generation, deren Eltern eigentlich die Holocaust-Überlebende waren. Er hat sich damit auseinandergesetzt, wie er jetzt als Kind dieser Generation im Land der Täter leben kann."
Nicht als zynische Reflexe auf eine schier unglaubliche NS-Brutalität, sondern als ernsthafte Impulse, über Geschichte und Gegenwart nachzudenken, werden diese Objekte in Herford gezeigt. Michael Kröger vom Museumsteam:
"Man ist eigentlich hin- und hergerissen: Man ist auf der einen Seite fasziniert von der – in Anführungsstrichen – 'Originalität', und auf der anderen Seite überkommt einen während des Betrachtens ein unheimliches Gefühl, weil man die Ästhetik nicht in Zusammenhang mit der NS-Zeit erwartet. Mit dieser Ambivalenz spielt er natürlich auf eine sehr, sehr erschreckende Art und Weise, und das berührt einen natürlich sehr."
Schon am Eingang hohe Gitterstäbe
Zäune ziehen sich als visuelle Symbole durch die ganze Ausstellung. Schon am Eingang hat der Designer Matthias Megyeri hohe Gitterstäbe errichten lassen, die an den Spitzen mit Figuren besetzt sind und dadurch die Chance, diese Abgrenzung zu überwinden, weiter schmälern.
"Es ist ein viktorianischer Zaun, der relativ typisch ist für Zäune, die man dort im Alltag, im urbanen Umfeld wahrnehmen kann."
Wer mag da entscheiden, ob das majestätisch aufragende Gitter schön ist oder doch eher brutal? Gefertigt wurde es in der örtlichen Justizvollzugsanstalt, und am Ende der Ausstellung kommt tatsächlich der Strafvollzug als Inbegriff der Staatsgewalt noch ins Spiel. Auch die einst inhumane Behandlung von Behinderten in einem Heim der Region wird zum Thema gemacht. Wer soll, wer kann das alles innerlich verarbeiten?
Die Ausstellung hat Probleme, überschaubar zu bleiben und plausible Zusammenhänge herzustellen, weil auf begrenztem Raum zu viele Akzente gesetzt, zu viele Aspekte eines gedehnten Gewalt-Begriffs gestreift werden. Als Materialsammlung immerhin bietet "Brutal schön" einige wichtige Exponate – von denen die "Pfosten von Auschwitz" als unerträglich in Erinnerung bleiben.
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